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Zu kurze Frist für kleine Parteien
Fünf Berliner Landeslisten für die Bundestagswahl scheitern an der Hürde von 2000 Unterschriften
Es ist am Freitag nicht ganz einfach für die Vertreter kleiner Parteien, den Landeswahlausschuss von Berlin zu finden. Eigentlich wollte er bei der Senatsinnenverwaltung in der Klosterstraße 47 tagen und dort über die Zulassung der Landeslisten für die Bundestagswahl befinden. Kurzfristig wurde die Sitzung jedoch in die gegenüberliegende Hausnummer 64 verlegt. Wer das nicht mitbekommen hat, wird am Einlass der ursprünglichen Adresse freundlich dorthin verwiesen. Doch damit ist das Problem nicht erledigt. Denn instiktiv laufen viele erst einmal in die Tordurchfahrt, die in die Hinterhöfe führt – und dort deutet nichts auf die Ausschusssitzung hin. Zum Glück ist Landeswahlleiter Stephan Bröchler vom ersten Hinterhof aus durchs Fenster im Erdgeschoss zu sehen. Durch Klopfen an die Scheibe aufmerksam gemacht, beschreibt er mit dem Arm einen Bogen. So deutet Bröchler an, dass sich der Eingang zum Saal außen herum rechts neben der Tordurchfahrt befinde.
Das Hinfinden ist dann allerdings das geringste Hindernis für viele kleine Parteien. Eine hohe Hürde sind schon immer die 2000 Unterschriften von Unterstützern gewesen, die sie beibringen müssen, damit ihre Landesliste auf dem Wahlzettel stehen darf. Besonders knifflig ist das jetzt, wo die Bundestagswahl kurzfristig vom 28. September auf den 23. Februar vorgezogen wurde. Damit verkürzte sich die zum Sammeln der Unterschriften gewährte Frist erheblich.
Insgesamt wurden fristgemäß bis 20. Januar um 18 Uhr 25 Landeslisten beim Landeswahlamt eingereicht – zuletzt noch am selben Tage fünf Minuten vor der Angst die Liste der Werteunion von Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen. An den 2000 Unterschriften scheitern in Berlin fünf Parteien. Die Werteunion legte mit nur 74 Unterschriften die wenigsten vor. Auf lediglich 262 Unterschriften brachte es die Partei der Humanisten, wobei von dieser Zahl noch sechs abzuziehen wären, weil versehentlich sechs Unterschriften dazugezählt wurden, die bereits für die Europawahl 2024 geleistet worden waren. Die Piraten konnten jetzt nur 440 Unterschriften vorlegen, die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖPD) 858 und die aus der Querdenkerszene hervorgegangene Partei Die Basis 1094.
Vor Ort dürfen sich die Betroffenen äußern. Sie sagen mehr oder weniger dasselbe. Zum Beispiel: »Wir hätten noch ein, zwei Monate gebraucht.« Kleine Parteien, die früher bei ausreichend Zeit die 2000 Unterschriften immer zusammenbrachten, hätten es nun nicht schaffen können. Wörtlich bemängelt Andreas Schramm von den Piraten: »Wir halten dieses Quorum von 2000 Unterschriften für ungerecht.« Eine Chancengleichheit sei nicht gegeben. Die Kleinen seien ohnehin schon benachteiligt gegenüber den großen Parteien. Denn die sind vom Sammeln der Unterschriften befreit, wenn sie mit mindestens fünf Abgeordneten im Bundestag oder in einem Landtag sitzen. Mit der kurzen Frist jetzt seien die Kleinen noch mehr benachteiligt, kritisiert Schramm. Viele werden nun auf dem Wahlzettel fehlen. »Das schadet der Demokratie«, findet Schramm.
Doch Landeswahlleiter Bröchler stellt klar: »An diesen gesetzlichen Vorgaben kann der Landeswahlausschuss nichts ändern.« Der Ausschuss muss die geltenden Regeln beachten. Es habe schon früher einmal ein Bundeswahlleiter eine geringere Zahl der verlangten Unterschriften angeregt, wird Bröchler erinnert. Ob er sich nicht ähnlich dafür einsetzen wolle. Hier und heute könne er das nicht tun, er müsse neutral bleiben, reagiert Bröchler auf diese Bitte. Er verspricht aber: »Ich nehme es mit.«
Es wird der Verdacht laut, dass die großen Parteien unter sich bleiben und die kleinen zerstören wollen. Die Großen sitzen mit stimmberechtigten Mitgliedern im Wahlausschuss und entscheiden am Freitag alles einstimmig wie von Bröchler und seinem Stellvertreter Roland Brumberg nach Maßgabe der Bestimmungen empfohlen. Sie können auch gar nicht anders, sind zu Neutralität angehalten.
»Auch wenn Die Basis 1999 Unterschriften gehabt hätte, hätte ich den Arm heben müssen«, bedauert Felix Lederle, der für Die Linke das Aus für insgesamt sieben Landeslisten mitbeschließen muss. Bei der Partei der Rentner und der Volksstimmen-Partei Deutschland liegt es nicht an den Unterschriften, sondern daran, dass der Bundeswahlausschuss sie aus formalen Gründen nicht als Parteien anerkannte. Wegen der gebotenen Neutralität muss Lederle auch für die Zulassung der Liste der AfD stimmen.
Die AfD-Liste nicht zuzulassen, fordert Christa Wolfer. Sie ist in Berlin die Spitzenkandidatin der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) und Direktkandidatin in Marzahn-Hellersdorf. Ihr Verlangen begründet Wolfer kurz und bündig: »Wer AfD wählt, wählt Faschismus!« Genau so steht es als Losung auf Wahlplakaten der MLPD. Wolfer weiß natürlich, dass der Landeswahlausschuss in seiner Entscheidung nicht frei ist. Sie will es dennoch gesagt haben.
Mit Einschränkungen zugelassen wird die Liste der Tierschutzpartei. Ein bundesweiter Datenabgleich ergab, dass die Bewerberin auf Listenplatz sechs noch in einem weiteren Bundesland auf der Liste steht, was nicht zulässig ist. Darüber hinaus fehlt für die Bewerber auf den Plätzen sechs und acht die vorzulegende Wählbarkeitsbescheinigung, für die eine deutsche Staatsangehörigkeit eine der Voraussetzungen ist. Diese drei Bewerber werden von der Landesliste der Tierschutzpartei gestrichen, die übrigen zwölf dürfen aber kandidieren.
Zeitgleich zum Landeswahlausschuss entscheiden am Freitag die Kreiswahlausschüsse über die Direktkandidaten in den zwölf Berliner Bundestagswahlkreisen. Fast zeitgleich tagt in Potsdam der Brandenburger Landeswahlausschuss. Hier hatten 16 Parteien Landeslisten eingereicht und vier scheitern an den Unterschriften: Die Basis, Tierschutzpartei, Partei des Fortschritts und mit Mera25 die europäische Partei des ehemaligen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis. In Berlin hat es für die Liste von Mera25 gereicht.
Auf den Wahlzetteln werden die zugelassenen Landeslisten nach dem Ergebnis der Parteien bei der Bundestagswahl 2021 sortiert. Die mit dem damals besten Ergebnis im Bundesland steht ganz oben. In Berlin und Brandenburg ist das die SPD, in Berlin gefolgt von den Grünen, in Brandenburg gefolgt von der AfD. Die Parteien, die damals nicht angetreten sind, weil sie etwa wie das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) noch nicht gegründet waren, schließen sich in alphabetischer Reihenfolge an. Das BSW kommt damit in Berlin auf Rang 16 von 18 und in Brandenburg steht es ganz am Ende des Wahlzettels auf Rang 12.
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