Wie Covid-19 die Volksrepublik China verändert hat

Am Ausgangspunkt der Pandemie ist man nicht gewillt, die Ereignisse aufzuarbeiten

  • Fabian Kretschmer
  • Lesedauer: 5 Min.
August 2021: Covid-19-Test in einem mobilen Labor in Wuhan
August 2021: Covid-19-Test in einem mobilen Labor in Wuhan

Es mutete wie ein Déjà-vu an: überfüllte Krankenhäuser, Patienten mit Fieber-Symptomen und alarmierende Postings in den sozialen Medien. Fünf Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie sorgte rund um die Jahreswende erneut ein Virus-Ausbruch in China für Schlagzeilen. Doch beim Humanen Metapneumovirus gibt es keinen Grund zur Panik. HMPV ist seit 2001 bekannt, vermutlich schon seit vielen Jahrzehnten im Umlauf und sorgt meist für milde Erkältungssymptome.

Anders war dies vor fünf Jahren, als erstmals die Gerüchte über eine mysteriöse Lungenkrankheit aus Wuhan die Runde machten. Der Erreger wurde am 10. Januar von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als »neuartiges Coronavirus« oder kurz »Sars-Cov-2« bezeichnet. Chinesische Behörden verschleierten den Ausbruch zunächst, reagierten dann aber mit einer rigiden »Null-Covid«-Politik, wodurch weite Teile des Landes immer wieder in Lockdown-Schleifen gestürzt wurden. Über allem nutzte die Parteiführung die Pandemie, die Gesellschaft grundlegend zu verändern.

Wo das Virus mutmaßlich seinen Ausgang nahm, erinnert heute weder eine Gedenktafel noch ein Traueraltar an die Ereignisse. Der Huanan-Fischmarkt, einen Steinwurf vom Bahnhofsviertel in Wuhan entfernt, wird von blauen Bauplanen abgeschirmt. Wo sich im Dezember 2019 Dutzende Personen mit dem neuartigen Erreger ansteckten, soll nichts mehr daran erinnern. Zumal sich wenige Kilometer entfernt ein Institut für Virologie befindet, in dem Forscherinnen und Forscher Proben von Fledermäusen aus Südchina sammelten und vor der Gefährlichkeit der entnommenen Viren warnten.

Wichtige Informationen unter Verschluss

Ob Corona nun von Tieren auf den Menschen übersprang, wie die meisten Experten vermuten, oder fahrlässig aus einem Labor entwich: Dass diese Frage nicht abschließend geklärt werden konnte, hat mit der Intransparenz der Behörden zu tun, die während der kritischen Anfangsphase der Pandemie wichtige Daten unter Verschluss hielten.

Darüber hinaus stellten chinesische Staatsmedien bereits wenige Monate nach dem ersten Lockdown die Pandemie als vornehmlich ausländisches Phänomen dar. Nicht nur das: Den Ursprung des Virus vermuteten viele Bewohner Wuhans, ermutigt durch krude Verschwörungstheorien der Parteizeitungen, in einem US-Biowaffenlabor. Im Gefolge wurden ausländische Besucher während der ersten Pandemie-Jahre gerade in Wuhan argwöhnisch beäugt, sie könnten ja das Virus erneut einschleppen.

Im größten Museum der Millionenstadt wurde bereits 2021 eine patriotische Ausstellung über den gewonnenen Corona-Kampf der Chinesen gezeigt. Dabei wurde nicht nur eine Erfolgsgeschichte inszeniert, sondern Covid auch als bereits überwunden dargestellt. Zhao Lijian, Sprecher des Außenministeriums, sagte gegenüber internationalen Korrespondenten, sie könnten sich glücklich schätzen, in China in Sicherheit leben zu dürfen.

Wochenlange Lockdowns

Niemand ahnte damals, dass sich mit Omikron das Blatt noch einmal wenden sollte. Spätestens Ende 2022 ähnelte der Alltag der allermeisten Chinesen einem virologischen Spießrutenlauf aus täglichem PCR-Test, digitaler Überwachung und wochenlangen Lockdowns. Während die Menschen in vielen Ländern selbst in solchen Situationen zumindest noch zu Spaziergängen nach draußen konnten, waren die Chinesen eingesperrt – entweder durch einen Bewegungsmelder vor der Wohnungstür oder manchmal auch durch ein breites Stahlschloss. Die Metropole Shanghai wurde knapp drei Monate vollständig abgeriegelt. Vom Lieferkurier bis zum deutschen Konsul: Alle saßen in ihren Wohnungen fest, vollkommen abhängig von staatlichen Essenslieferungen.

Als die Bewohner der Hochhaussiedlungen ihren Frust in den Shanghaier Nachthimmel brüllten, ließ die Lokalregierung ferngesteuerte Drohnen aufsteigen. »Beherrschen Sie den Drang Ihrer Seele nach Freiheit. Öffnen Sie nicht das Fenster – und singen Sie nicht«, verkündeten die Lautsprecher der Flugobjekte.

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Regierung verliert Vertrauen

Bei manchen Chinesen verlor die Staatsführung an Glaubwürdigkeit. Vor allem in Wuhan sahen etliche Bewohner, wie ihre Nachbarn reihenweise todkrank wurden, während die Behörden noch behaupteten, das Virus könne nicht von Mensch zu Mensch übertragen werden. Der Arzt Li Wenliang, der als Whistleblower als erster Alarm schlug, wurde von der Partei mit einem Maulkorb versehen, bevor er im Februar 33-jährig an den Folgen von Covid-19 starb.

Wer das Land während jener Jahre bereiste, traf auf junge Leute, deren Lebenswege durch die Pandemie eine andere Abzweigung nahmen. Etwa der Student Wanke aus Wuhan, der als Freiwilliger bei der Telefonseelsorge aushalf und seinen ursprünglichen Berufswunsch aufgab, Journalist zu werden. Stattdessen entschied er sich für seine Leidenschaft als Rockmusiker, denn nur in der Kunst könne er sich noch wirklich und wahrhaftig ausdrücken. Oder die Mittdreißigerin Lili aus Wuhan, die an die US-Westküste zog, weil sie das repressive Klima und die zunehmende Isolation während der Pandemie nicht mehr aushielt. Als Präsident Xi Jinping auch noch private Englischnachhilfe unter Verbot stellte, brachte dies das Fass für Lili zum Überlaufen. Ihre Emigration wurde dringlich, als immer mehr Chinesen mit Ausreisesperren belegt wurden.

Umfassender Umbau der Wirtschaft

Doch die Pandemie gab der Volksrepublik auch die Möglichkeit, sich wirtschaftlich zu häuten. Die Industriepolitik unter Xi Jinping führte zu einer atemberaubenden Transformation hin zu erneuerbaren Energien und Elektromobilität. Als die deutschen Automanager erstmals nach den geöffneten Grenzen 2023 wieder zur Branchenmesse nach Shanghai reisten, traf sie ein Schock, von dem sie sich bis heute nicht erholt haben: Die traditionellen Marktführer merkten, wie radikal sie bei E-Autos und Batterien technologisch hinterherhinkten. Auf den Straßen der Ostküstenmetropolen fuhren viele futuristisch anmutende Pkw chinesischer Autobauer, von denen die Deutschen nie etwas gehört hatten.

Derweil gibt es nach wie vor Kritik von der WHO über die mangelhafte Transparenz der Anfangszeit. Man solle endlich alle Daten bereitstellen, damit »wir die Ursprünge von Covid-19 verstehen können«, sagte kürzlich ein Sprecher in Genf. Die Behörden hielten die UN-Organisation trotz der medizinischen Notfallsituation über ein Jahr hin, ehe sie ein Expertenteam ins Land ließen. Zu sehen bekamen die Forscher im Frühjahr 2021 in Wuhan lediglich eine Inszenierung. Bei der abschließenden Pressekonferenz sagte Mi Feng, Sprecher der chinesischen Gesundheitskommission: »Wir haben bereits den China-Teil der Ursprungssuche beendet.« Nun empfehle er, in Südostasien weiterzusuchen.

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