Parteitag rüstet sich für Habeck-Wahlkampf

Grüne Kritik an Merz und Scholz – aber auch vom Linke-Chef an der grünen Partei

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»Zuversicht« in das Wahlprogramm haben die Grünen-Mitglieder auf jeden Fall: Der Beschluss erfolgte ohne eine Gegenstimme.
»Zuversicht« in das Wahlprogramm haben die Grünen-Mitglieder auf jeden Fall: Der Beschluss erfolgte ohne eine Gegenstimme.

Berlin. »Nichts daran ist harmlos«, sagte Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck in seiner Rede auf dem Grünen-Programmparteitag zu Äußerungen von Friedrich Merz über mögliche Mehrheiten mit Hilfe der AfD. »Man sollte das nicht als strategische Fehlleistung abtun«, warnte der Vizekanzler und Wirtschaftsminister. Es zeige, »wie sehr die Dinge in Europa schon ins Rutschen geraten sind«, wie sehr die Diskussion verrückt sei. Der Unionsvorsitzende Merz will in dieser Woche im Bundestag einen Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik einbringen. Er ließ durchblicken, dass er auch Stimmen der AfD in Kauf nehmen würde, um dafür eine Mehrheit zu erreichen.

Ähnlich äußerte sich Grünen-Chef Felix Banaszak in seiner Parteitagsrede. Die Union dürfe nicht den Weg der ÖVP in Österreich gehen. Mit seinen Äußerungen habe Merz bereits »großen Schaden« angerichtet – ob nun aus »mangelnder Impulskontrolle oder aus zynischem Kalkül«. Weitere ranghohe Mitglieder der Grünen, darunter die Ko-Chefin Franziska Brantner und die politische Bundesgeschäftsführerin Pegah Edalatian schlossen sich in Reden der Kritik an.

Die Grünen haben bei dem eintägigen Treffen ihr Wahlprogramm für die Bundestagswahl beschlossen – mit großer Mehrheit, ohne Gegenstimmen und nur zwei Enthaltungen. Zum Programm mit dem Titel »Zusammen wachsen« waren vorab fast 1900 Änderungsanträge gestellt worden. Über einen Großteil davon verständigte sich die Partei jedoch bereits im Vorfeld, auf dem Parteitag wurde deshalb nur noch über wenige Anträge diskutiert und abgestimmt. Angenommen wurde ein Änderungsantrag für ein bundesweites Böllerverkaufsverbot.

Angemeldet waren zu dem eintägigen Treffen 829 Delegierte, mehr als je zuvor. Grund sei die in den vergangenen Wochen und Monaten deutlich gestiegene Zahl der Parteimitglieder – auf mittlerweile rund 160 000, sagte Edalatian. Seit dem Zusammenbruch der Ampel-Koalition Anfang November gingen demnach allein 30 000 neue Mitgliedsanträge ein.

Die Grünen legen in ihrem Wahlprogramm den Fokus darauf, den Menschen den Alltag bezahlbar zu machen. Dazu fordern sie laut Entwurf unter anderem die Einführung eines Klimagelds, ein wieder auf 49 Euro reduziertes Deutschlandticket und einen Mindestlohn von 15 Euro. Hinzu kommen Steuerentlastungen, vor allem für Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen. Ko-Chefin Brantner attackierte auch Kanzler Olaf Scholz (SPD), weil dieser »Rentenangst gegen Ukraine-Hilfe« ausspiele. damit wolle der Kanzler seine Partei »in eine neue GroKo« retten mit einem »Stillstand 2.0«.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock warnte auf dem Parteitag in Berlin vor Bedrohungen des Landes durch autoritäre Regime und durch Extremismus von innen wie von außen. »Es gibt zwei Herren, die dieses Land regieren wollen, aber komplett die Nerven verlieren«, attackierte Baerbock die Kanzlerkandidaten von Union und SPD, Friedrich Merz und Olaf Scholz. Merz warf sie mit Blick auf dessen Offenheit für Unterstützung durch die in Teilen rechtsextreme AfD vor, »seine Partei, das Land, eine ganze Gesellschaft zu verunsichern«. Nachdrücklich forderte sie, die »Brandmauer« zur AfD aufrecht zu erhalten.

Zu den sicherheits- und migrationspolitischen Forderungen von Merz sagte Baerbock, es sei nach den furchtbaren Morden der vergangenen Monate in der Tag notwendig, Antworten zu finden für »eine verantwortungsvolle Sicherheitspolitik«. Dies gelte besonders für den Umgang mit psychologisch auffälligen Straftätern, auch müssten »alle Sicherheitsbehörden besser zusammenarbeiten«. Allerdings sei es die Union, die Sicherheitsgesetze im Bundestag blockiere.

Baerbock warnte auch vor Grenzschließungen und Ausgrenzung von Migrantinnen und Migranten oder Menschen aus Familien mit Migrationsgeschichte. »Unser Land würde stillstehen, wenn diese Menschen nur einen Tag nicht zur Arbeit gehen«, sagte die Grünen-Politikerin. Es gehe darum, »Vielfalt als Chance« zu sehen und als Stärke.

Zum Kanzlerkandidaten hatten die Grünen bereits auf ihrem Parteitag im November Habeck gekürt. Außenministerin Baerbock tritt neben ihm als Spitzenkandidatin an. In den Umfragen zur Bundestagswahl konnte die Partei in den vergangenen Monaten leicht zulegen: Sie steht nun bei 13 bis 14 Prozent – damit könnte es für eine Regierungskoalition mit der Union reichen.

Linke-Parteichef Jan van Aken wirft den Grünen vor, auf ihrem Programmparteitag am Sonntag soziale Themen vernachlässigt zu haben. Ihr Kanzlerkandidat Habeck appelliere mit engagierten Worten an die Einheit der Demokraten und rufe zum Kampf gegen den Rechtspopulismus auf, sagte van Aken am Sonntag der Nachrichtenagentur AFP. Habeck vergesse »aber erneut völlig, dass eine starke Demokratie immer eine soziale Demokratie sein muss«.

»Der Kampf gegen die rechten Demokratieverächter verlangt eine konsequente Sozialpolitik, die Menschen entlastet und ihr Leben wieder einfacher macht.«

Jan van Aken Linke-Parteichef

»Der Kampf gegen die rechten Demokratieverächter verlangt eine konsequente Sozialpolitik, die Menschen entlastet und ihr Leben wieder einfacher macht«, betonte van Aken. »Die Grünen verstehen einfach nicht, was Armut ist, was Armut mit Menschen macht und dass diese Armut unsere Demokratie kaputt macht.«

Der Linke-Spitzenkandidat warf den Grünen vor, es in der Bundesregierung nicht geschafft zu haben, »Kinder aus der Armut zu holen, die Mietenexplosion zu stoppen oder die Lebensmittelpreise zu senken«. Er fügte hinzu: »Was wollen sie eigentlich in einer Regierung Merz durchsetzen, was sie schon gegen die FDP nicht geschafft haben?« Agenturen/nd

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