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Enthemmte Spießbürger
Christoph Ruf über Gewalt in der Fußballfanszene – und wer dafür aufkommen soll
Auch am vergangenen Wochenende gab es wieder Proteste gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach künftig die Profi-Fußballvereine an den Kosten für Polizeieinsätze beteiligt werden können, sofern es sich dabei um ein »Hochrisikospiel« handelt. »Bundesverfassungsgericht: Hüter der Verfassung oder nur der Staatskasse?«, war beispielsweise in der Hertha-Kurve zu lesen.
Den Verdacht, dass der Staat eine willkommene Gelegenheit nutzt, um die Polizeikassen ein wenig aufzufüllen, äußern derzeit auch Menschen von außerhalb der Fankurven. Er geht allerdings ein wenig an der Sache vorbei, finde ich.
Denn die Frage ist ja – und daraus hat niemand ein Geheimnis gemacht – zum einen, ob die Steuerzahlerin wirklich für Mehrkosten aufkommen muss, wenn am Rande von hochkapitalistischen Veranstaltungen Gefahrenpotenzial entsteht. Dass letzteres vorkommt, kann man nicht bestreiten, wenn man sich schon mal ein Derby wie Karlsruhe gegen Stuttgart oder Dortmund gegen Schalke aus der Nähe angeschaut hat.
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.
Medienwirksam zur Illustrierung von »Fußballgewalt« sind hier immer die Bilder von Hooligans oder Ultras. Doch das Problem an solchen Spielen ist häufig eher die Enthemmung des Spießbürgers. Es passiert beim Derby eben schon mal, dass ein enthemmter Rentner bei der Begegnung mit einem »Scheiß Schalker« auf der Straße gewalttätig wird. Kurzum: Wenn man davon ausgeht, dass bei Borussia Dortmund Gehälter von mehr als zehn Millionen Euro die Regel sind, leuchtet mir nicht ein, warum der BVB nicht die 400 000 Euro übrighaben sollte, die der Bremer Senat 2016 dem SV Werder im Präzedenzfall aufgebürdet hat.
Das Problem an der gegenwärtigen Praxis, die das BVG durchgewunken hat, ist ein anderes, scheint mir. Auch künftig werden nämlich alleine die Polizeibehörden entscheiden, ab wann ein Spiel zum Risiko- oder Hochrisikospiel wird. Die zugrundeliegenden Erkenntnisse stammen oft von den »szenekundigen Beamten«, die aus der Fankurve, an deren Rand sie stehen, auch nicht mehr erfahren als der VIP auf der Haupttribüne. Die Datenbank »Gewalttäter Sport«, die bei der Abwägung hinzugezogen wird, sagt noch weniger aus. Die ist deshalb so aufgebläht, weil darin auch Menschen geführt werden, die sich beim »Verkleben« eines Aufklebers haben erwischen lassen – oder in der Nähe von jemandem standen, der neben jemandem stand, der einen anderen Fan geschubst hat.
Überhaupt täte der Polizei im Fußballkontext dann auch ganz grundsätzlich dreierlei gut: Erstens eine höhere Unabhängigkeit von politischen Vorgaben – für die Wahlkampf-Interessen von Innenministern, die Handlungsfähigkeit demonstrieren wollen, müssen nun wirklich keine Steuergelder verschwendet werden. Zweitens täte vielerorts mehr politische Bildung gut: Nach der Amokfahrt von Magdeburg hatten Fans des örtlichen Zweitligisten Plakate aufgehängt, um ihre Verbundenheit mit den Angehörigen der sechs Toten und den Verletzten in den Kliniken zu demonstrieren. Auch an der Sternbrücke in der City brachten sie ein Plakat an. Daraufhin, so behauptet zumindest die Fanszene, rückten 15 Polizeifahrzeuge an, leiteten Ermittlungen ein, konfiszierten das Plakat und übergaben es an den Staatsschutz. Die Aufschrift darauf lautete: »In tiefer Trauer«.
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