Aus Görlitzer Waggonbau wird Panzerschmiede

Bahnkonzern Alstom übergibt Standort an Rüstungskonzern KNDS. Bundeskanzler Scholz bei Bekanntgabe

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
175 Jahre lang wurden in Görlitz Bahnwaggons gebaut. Diese Tradition endet jetzt.
175 Jahre lang wurden in Görlitz Bahnwaggons gebaut. Diese Tradition endet jetzt.

Der Görlitzer Waggonbau hat eine beachtliche Tradition. Im Jahr 1849 wurde in der Stadt ein Werk begründet, in dem vor allem Personenwagen gebaut wurden, das speziell für seine Doppelstockwaggons bekannt war und Mitte der 90er Jahre sogar ICE-Triebwagen fertigen durfte. Kurz nach dem im vergangenen Jahr gefeierten 175-jährigen Jubiläum zog der Alstom-Konzern, der den Betrieb erst vor rund vier Jahren vom Konkurrenten Bombardier übernommen hatte, einen Schlussstrich unter dieses Kapitel Industriegeschichte. Das Werk immerhin besteht weiter – als Panzerschmiede. Höchstwahrscheinlich wird es vom deutsch-französischen Rüstungskonzern KNDS übernommen, der dort Teile für seinen Radpanzer Boxer fertigen lassen könnte.

Dass es so kommen dürfte, geht aus der Einladung für einen hochkarätig besetzten Termin am 5. Februar hervor. Bei diesem wollen die Unternehmen Alstom und KNDS über »aktuelle Entwicklungen und die Zukunft des Standortes Görlitz« informieren, wie es heißt. Anwesend sein werden neben hochrangigen Firmenvertretern und dem IG-Metall-Bezirkschef auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Dass zu der Pressekonferenz gut zwei Wochen vor der Bundestagswahl die beiden Politiker anreisen, deutet darauf hin, dass es keine schlechten Nachrichten zu verkünden gibt und zumindest ein Gutteil der aktuell noch 750 Arbeitsplätze erhalten bleibt.

Das zumindest ist eine gute Nachricht für die Region Ostsachsen, in der erheblicher Mangel an größeren Industriebetrieben mit tariflich bezahlten Arbeitsplätzen herrscht. Der Waggonbau zählt zu den größten Arbeitgebern in Görlitz. Allerdings wurde auch er zuletzt »schleichend ausgeblutet«, wie es bei der IG Metall heißt. Vor zehn Jahren arbeiteten in dem Werk noch 2000 Menschen. Ihre Jobs standen aber mehrfach auf der Kippe. 2016 stellte Bombardier seine ostdeutschen Werke zur Disposition, darunter auch Görlitz. Nach massiven Protesten blieb der Standort erhalten; mit dem Abzug der Entwicklungsabteilung begann aber ein schleichender Niedergang.

»Unser Land braucht mehr Züge, um die Bahn wieder fit zu machen – keine gepanzerten Fahrzeuge oder anderes Kriegsgerät.«

Rico Gebhardt Ex-Fraktionschef Die Linke

Anfang 2021 stieg dann der Alstom-Konzern ein und pries sich als neuen »Weltmarktführer« für nachhaltige Mobilität. Wenige Monate später wurde freilich ein »Transformationsplan« vorgelegt, der 1300 Jobs in Deutschland kosten sollte. Im Oktober 2024 teilte Alstom mit, dass es im Unternehmen für das Werk Görlitz keine Perspektive mehr gebe und dieses nach Auslaufen eines Vertrags zur Standortsicherung im Frühjahr 2026 geschlossen werden sollte. Gleichzeitig gab es erste Gerüchte über Verhandlungen mit einem Investor aus dem Rüstungsbereich. Zunächst wurde Rheinmetall als potenzieller Käufer gehandelt.

Nun übernimmt wohl KNDS das Werk. Die 2015 gegründete Holding, deren beide Vorläufer die Unternehmen Krauss-Maffei Wegmann aus Deutschland und Nexter aus Frankreich sind, befindet sich nicht zuletzt wegen des Krieges in der Ukraine auf Expansionskurs. Für das Jahr 2023 vermeldete es ein Auftragsplus von 130 Prozent gegenüber dem Vorjahr. KNDS fertigt unter anderem Leopard-2-Panzer, Haubitzen, Munition und den Radpanzer Boxer. Für diesen könnten in Görlitz Teile gefertigt werden; auch über eine Wartungsabteilung wird spekuliert. Zunächst war der Abschluss des Geschäfts zwischen dem Bahn- und dem Rüstungsunternehmen bereits für Ende 2024 erwartet worden. Nach Informationen der »Sächsischen Zeitung« wartete KNDS aber noch auf Investitionszusagen der Bundesrepublik und deren Bestätigung im Haushaltsausschuss.

In der Region stößt die Übernahme auf gemischte Reaktionen. Ein Gewerkschafter sagte »nd«, man sei einerseits froh über den Erhalt von womöglich sogar tarifgebundenen Arbeitsplätzen, kenne gleichzeitig aber auch die »Bedenken« gegen KNDS als Rüstungsunternehmen und rechne damit, dass einzelne Beschäftigte aus »moralischen Gründen« nicht zum neuen Arbeitgeber wechseln. Auch öffentlichen Protest gegen die KNDS-Ansiedlung gab es bereits. Im November fand eine Kundgebung statt, die vom Bündnis Oberlausitz organisiert wurde, einer Regionalgruppe der rechtsextremen Freien Sachsen. Dort trat auch ein BSW-Landtagsabgeordneter auf. Für die Linke warnte Kreischef Mirko Schultze, die Region werde »stetig, aber sicher kriegstüchtig gemacht«. Der Truppenübungsplatz Oberlausitz werde für Manöver genutzt, auf der Bahnmagistrale durch Görlitz »fahren Panzer gen Osten«, nun komme ein Rüstungsbetrieb dazu. Die Fähigkeiten der Waggonbauer würden dringender benötigt, »um die Verkehrswende hinzubekommen und die Klimakrise anzugehen«.

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