Deutschlands Handballer spielen gegen die eigene Vergangenheit

Im Viertelfinale der Weltmeisterschaft trifft das DHB-Team auf die jungen Überflieger aus Portugal

  • Erik Eggers, Oslo
  • Lesedauer: 4 Min.
Heiß begehrt: Portugals 19-jähriger Rückraumspieler Francisco Costa steht bei vielen Spitzenklubs ganz oben auf dem Wunschzettel.
Heiß begehrt: Portugals 19-jähriger Rückraumspieler Francisco Costa steht bei vielen Spitzenklubs ganz oben auf dem Wunschzettel.

Die Pause. Sie ist ungewohnt für die deutschen Handballer. Normalerweise werden die Profis bei großen Turnieren alle 48 Stunden auf das Parkett geschickt, die Handballer gehören bekanntlich zu den Brauereipferden des Mannschaftssports. Doch bei den laufenden 29. Weltmeisterschaften durften die Stammkräfte im Team von Bundestrainer Alfreð Gíslason nun sechs Tage ruhen.

Das hatte mit der vorzeitigen Qualifikation für das WM-Viertelfinale zu tun, in dem das Team an diesem Mittwochabend in Oslo gegen das Überraschungsteam aus Portugal antritt (20.30 Uhr live, ARD). So konnten diejenigen Profis, die zuvor viel zu rackern hatten – etwa Kapitän Johannes Golla, Renārs Uščins, Julian Köster und auch Torwart Andreas Wolff – im letzten Hauptrundenspiel gegen Tunesien (31:19) auf der Bank zuschauen. »Ich denke, die Pause wird uns guttun«, hatte der isländische Coach zuvor erklärt.

Mit dabei sein wird dann auch wieder Regisseur Juri Knorr, der bereits seine dritte WM spielt. Der hochbegabte 24-Jährige von den Rhein Neckar-Löwen, der ein paar Tage mit einer schweren Erkältung ausgefallen war, konnte am Montag in die norwegische Hauptstadt anreisen.

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Dass die Leitfigur Knorr dringend benötigt wird für das erste K.-o.-Spiel, steht außer Frage. Die Portugiesen, die erstmals ein Viertelfinale einer WM erreicht haben, verfügen über ein starkes und homogenes Team. »Wenn man sieht, was für Mannschaften die hinter sich gelassen haben, sagt das vieles über das, was sie jetzt spielen«, zollt Gíslason dem Gegner Respekt. »Eine superinteressante Mischung von Alt und Jung, erfahrenen Spielern und sehr frischen, richtig guten Spielern. Sie spielen wirklich gut.«

Tatsächlich sind die bisherigen Ergebnisse der Iberer nicht weniger als eine Sensation. Das Team um den charismatischen Trainer Paulo Pereira hat auf dem Weg ins Viertelfinale die skandinavische Nomenklatura aus Norwegen (31:28) und Schweden (37:37) geschockt – und dann auch das Schwergewicht aus Spanien (35:29) aus dem Turnier befördert.

Das verschafft ihnen auch bei den deutschen Profis enormen Respekt. »Bei denen ist es vielleicht so ähnlich wie bei uns bei Olympia, dass sie einen Flow und die Leichtigkeit haben«, zog Rückraumspieler Uščins einen Vergleich mit seiner Auswahl, die im vergangenen Sommer olympisches Silber gewonnen hatte. Am Vorhaben seines Teams ändere das aber nichts: »Unser Ziel ist es, dass wir ins Halbfinale kommen und um die Medaillen spielen.«

Der Leistungssprung der Portugiesen kommt indes nicht komplett überraschend. Schon bei der EM 2020 hatte der Außenseiter Rekordweltmeister Frankreich düpiert und aus dem Turnier geworfen. Die Spieler, die damals die Fachwelt verblüfften, bilden heute das Gerüst des Teams: der bullige Kreisläufer Luís Frade von Barcelona, Spielmacher Rui Silva und der linke Flügel Diogo Branquinho – und eigentlich auch Regisseur Miguel Martins, der aber wegen eines dubiosen Dopingfalls kurzfristig nicht für die WM zur Verfügung stand.

Doch die markantesten Figuren der Portugiesen sind die Brüder Francisco (19 Jahre) und Martim (22 Jahre) Costa, die gemeinsam mit dem ebenfalls noch jungen Salvador Salvador auch bei ihrem Klub Sporting Lissabon als Rückraumgespann prächtig miteinander harmonieren. In der Champions League steht Sporting in Vorrundengruppe A nach spektakulären Resultaten auf Platz drei (direkt vor den Füchsen Berlin) und träumt noch vom direkten Einzug in die K.-o.-Runde der Handball-Königsklasse.

Wie selbstbewusst und frech sich die Costa-Brüder bei der WM präsentieren, illustrierte eine Szene im Spanien-Spiel, als Francisco seinem Bruder einen Kempa-Trick zum 24:21 auflegte, jenen Spielzug, in dem der Passempfänger in den Wurfkreis springt und in der Luft stehend den Ball ins Tor weiterleitet. Insbesondere Francisco wird von den europäischen Spitzenklubs gejagt; der Linkshänder bringt nicht nur Sprungkraft, Torgefahr und Tempo mit, sondern auch eine grandiose Spielübersicht.

»Wir können gegen alle gewinnen, aber auch gegen alle verlieren«, sagte Martim Costa, dem Internetportal »Stregspiller« vor dem Viertelfinale. Um Deutschland zu besiegen, benötigten sie ein perfektes Spiel. »Ich denke, das können wir. Aber wir müssen wirklich perfekt sein, weil die Deutschen ein herausragendes Team haben. Sie spielen auf dem höchsten Level.«

Nimmt man die Wettquoten als Basis, werden beide Teams in Oslo nahezu auf Augenhöhe agieren. Der Aufschwung des portugiesischen Handballs dürfte sich allerdings auch in den kommenden Jahren fortsetzen. »Der Handball wird in Portugal immer populärer«, sagte Salvador vor der WM. »Es wachsen viele Spieler nach. Wir alle freuen uns sehr auf die Zukunft.«

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