- Wirtschaft und Umwelt
- Geldpolitik
EZB und Fed: Suche nach dem neutralen Zins
Donald Trump beschert den großen Notenbanken EZB und Fed weitere Unsicherheiten
In dieser Woche treffen zwei große Notenbanken wichtige Entscheidungen. Am Mittwoch tagte die US-amerikanische Federal Reserve (Fed) und einen Tag später ist die Europäische Zentralbank (EZB) an der Reihe. Finanzmarktakteure waren sich vorher einig: Die Fed werde abwarten (Entscheidung nach Redaktionsschluss), die EZB werde ihren Leitzins minimal um 0,25 Prozent senken.
Was auf den ersten Blick nach Langeweile aussieht, hat es durchaus in sich. Hinter den eigentlich politischen Entscheidungen steht die Frage, wie die Notenbanken auf die neue US-Regierung reagieren werden. Donald Trump beschert auch der Finanz- und Wirtschaftswelt in seiner zweiten Amtszeit immer weitere Unsicherheiten. In seiner Videoansprache auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos hatte der US-Präsident vor einigen Tagen schon seine Drohung bekräftigt, Zölle auf bestimmte Einfuhren in die Vereinigten Staaten zu verhängen. Während etwa in Kanada über Gegenschläge diskutiert wird, plädiert die EU bislang für Zugeständnisse an Washington. Die Hauptalternative zum US-Markt – das China-Geschäft – hat aus politischen Gründen kaum noch Zukunft. Der linke Infodienst »German Foreign Policy« sieht damit die EU, die Preise und auch die Geldpolitik der EZB »in der Falle«.
Hinzu kommt die Regulierung von Banken. In der EU werden die harten Eigenkapitalregeln »Basel III« umgesetzt. Dagegen versuchen die USA, ihren global agierenden Investmentbanken Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, was aber auch erhebliche Risiken birgt.
Trump droht außerdem, sich für eine Senkung der Leitzinsen in den USA starkzumachen, da dies generell der Konjunktur zugutekommt. Und am Horizont ziehen weitere Konflikte für die Geldpolitik auf, etwa durch Inflation. Ferner ist die Fed auf dem Weg, einen digitalen Zentralbankdollar herauszugeben. Dies ist heftig umstritten, zumal Trumps Unterstützer aus der Finanzszene mit sogenannten Kryptowährungen ihre Geschäfte machen wollen, denen ein Digi-Dollar im Wege stünde. Jerome Powell – 2018 von Trump in seiner ersten Amtszeit als Fed-Präsident nominiert – wird auf die Unabhängigkeit seiner Zentralbank pochen.
Darauf wird ebenfalls Christine Lagarde beharren. Doch auf die EZB-Spitze wächst der politische Druck: Aus dem politischen Lager links der politischen Mitte gibt es Forderungen, angesichts der Wirtschaftsflaute in der EU die Leitzinsen drastisch zu senken. Dies würde Kredite verbilligen und könnte mit einem gewissen Zeitverzug die Konjunktur ankurbeln. Niedrigere Zinsen würden zudem den derzeit wieder klammen Staatshaushalten der Mitgliedsländer mehr finanziellen Spielraum bescheren. In Deutschland könnte dies neben einer Lockerung der Schuldenbremse der entscheidende Hebel sein, um Regierungen und Unternehmen zu kräftigeren Investitionen anzuregen.
Die EZB ist jedoch offiziell einzig auf Preisstabilität geeicht. In etwas milderer Form gilt dies für die Fed. Als preisstabil gilt beiden Notenbanken eine Inflationsrate auf Jahressicht um etwa zwei Prozent. In dieser wirtschafts- und geldpolitischen Gemengelage rücken strategisch-theoretische Fragen in den großen Notenbanken in den Vordergrund. Vor allem geht es darum, was eigentlich ein »neutraler Zins« wäre, der die Wirtschaft weder bremsen noch künstlich anschieben würde. Anders ausgedrückt, wie ein voll ausgelastetes Produktionspotenzial mit der konstanten Zielinflationsrate vereinbar wäre.
Linke Ökonomen sprechen von einem »schwammigen Konzept«, da sich die Größe je nach Wirtschaftsdaten ständig ändert. Auch Experten aus dem Mainstream verweisen darauf, dass insbesondere die US-Notenbank in der Vergangenheit immer wieder das neutrale Zinsniveau unter- oder überschritten hat, wenn eine Wirtschaftskrise oder bei einem Boom eine Überhitzung drohte. Dennoch möchten die meisten EZB-Ratsmitglieder, wie man hört, den »neutralen Zins« in ihren Instrumentenkasten legen. Notenbankpräsidentin Lagarde hatte auf der Pressekonferenz nach der letzten Zinssitzung angekündigt, dass dieses Thema in den kommenden Monaten ausdiskutiert werden solle.
Wie schwammig es wird, wenn der »neutrale Zins« konkret bestimmt werden soll, zeigten EZB-Ökonomen bereits Anfang 2024 in einer Studie, in der verschiedene Konzepte diskutiert wurden. Dafür verwendeten die Ökonomen eine Reihe komplexer mathematischer Gleichgewichtsmodelle. Gleichzeitig leitete die EZB eine Schätzung aus den spekulativen Terminmärkten ab. Im Ergebnis verorten die EZB-Ökonomen den »neutralen Zins« in einer Bandbreite zwischen zwei und drei Prozent. Da die EZB ihren »Hauptrefinanzierungssatz« zuletzt auf 3,15 Prozent gesenkt hatte, gäbe es also noch viel Luft nach unten. Erwartet wird, dass die europäischen Notenbanker ihren Leitzins angesichts konjunktureller Sorgen bis zum unteren Rand senken werden.
Dass solche theoretischen Debatten derzeit eine so große Rolle spielen, hat wohl mit dem angespannten politischen Umfeld zu tun. Mit dem Verweis auf den »neutralen Zins« möchte die EZB – und auch die Fed – Forderungen den Wind aus den Segeln nehmen. Die Notenbanken möchten sich objektiv neutral verhalten – innen- wie außenpolitisch.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.