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AfD-Politiker stört Holocaust-Gedenken
Stadtverordneter fühlt sich in Strausberg von Analyse des Wahlprogramms seiner Partei beleidigt
2018 hetzte die Abgeordnete Alice Weidel (AfD) im Bundestag gegen die Einwanderung aus muslimischen Staaten und sagte wörtlich: »Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse werden unseren Wohlstand, das Wirtschaftswachstum und vor allem den Sozialstaat nicht sichern.« Der damalige Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) stufte diese Äußerung als diskriminierend ein und rief Weidel zur Ordnung.
Jetzt konnten sich nach bisherigem Kenntnisstand zwei AfD-Stadtverordnete am Montag beim Holocaust-Gedenken in Strausberg (Märkisch-Oderland) nicht benehmen. Der eine schimpfte während einer Rede lauthals herum. Der andere soll nach der Veranstaltung mit einem anderen Mann in Streit geraten, diesen angerempelt und mit einem Messer bedroht haben. Die Polizei ermittelt und der 35-jährige mutmaßliche Messermann äußert sich nicht öffentlich zu den Vorwürfen. Dem »nd« teilt er auf Anfrage lediglich mit: »Zum jetzigen Zeitpunkt werden keine Stellungnahmen getätigt. Zu einem irgendwann späteren Zeitpunkt werden Stellungnahmen möglicherweise erfolgen.«
In gewisser Weise hat ihn der AfD-Kreisvorsitzende Falk Janke zur Ordnung gerufen. Nach eigenen Angaben legte Janke dem 35-Jährigen nahe, die Partei zu verlassen. Der Betroffene habe tatsächlich am Mittwochmorgen schriftlich seinen Austritt erklärt, was aber nicht als Schuldeingeständnis zu werten sei, wie Janke sagte. Der Stadtverordnete sei auch aufgefordert, nicht zu einer AfD-Wahlkampfveranstaltung am Abend zu kommen. Dem anderen Stadtverordneten habe er keinen Austritt nahegelegt. Dessen Erregung sei nicht professionell gewesen, aber insofern verständlich, da die Familie des 79-Jährigen eher Opfer des Faschismus gewesen sei denn Täter.
Was war geschehen? Nach dem traditionellen Gedenken an der Bonhoeffer-Stele in der Wriezener Straße, zu dem Bürgermeisterin Elke Stadeler (parteilos) eingeladen hatte, soll der Stadtverordnete Nicolai Schirocki (AfD) mit jungen Antifaschisten in Streit geraten sein, einen von sich gestoßen und ein Klappmesser gezogen haben. Die so Bedrohten sollen in ein nahes Seniorenheim geflohen sein. Eine AfD-Stadtverordnete soll beschwichtigend eingegriffen und Schirocki abgedrängt haben. Als herbeigerufene Polizisten den Stadtverordneten später stellten, hatte er dann allerdings kein Messer bei sich. Soweit die Darstellungen der Polizei und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA).
Vorausgegangen war ein Eklat bei der Rede des VVN-BdA-Kreisvorsitzenden Nils Weigt. Der hatte aus einer von Jens-Christian Wagner vorgenommenen Analyse von Wahlprogrammen zitiert und dabei Einschätzungen zu CDU und AfD ausgewählt. Wagner ist Direktor der KZ-Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und widmete sich den Passagen verschiedener Wahlprogramme zur Erinnerungskultur. Weigt zitierte in seiner Rede, deren Manuskript dem »nd« vorliegt, dass im CDU-Wahlprogramm die Ausführungen zu Flucht und Vertreibung von Deutschen nach 1945 aus den dann verlorenen Ostgebieten einen mehr als 20-fachen Raum einnehmen gegenüber den Aussagen zur Nazizeit. Das Programm zeige damit zwar noch keine »erinnerungspolitische Wende um 180 Grad« à la Thüringens AfD-Landtagsfraktionschef Björn Höcke, aber doch eine deutliche Akzentverschiebung mit Formulierungen, die an die Selbsteinstufung der Deutschen als Opfer in der frühen Bundesrepublik erinnere.
Dergleichen nahm der anwesende CDU-Bundestagskandidat René Kaplick ruhig hin und äußerte später gegenüber der »Märkischen Oderzeitung«, er habe sich »regelrecht fremdgeschämt« wegen des »pietätlosen« Verhaltens des Stadtverordneten Horst Baldszus (AfD). Dem sind »die Nerven durchgegangen«, wie die Zeitung Baldszus wiedergab. Baldszus habe gesagt, dass es unverschämt sei, bei so einer Versammlung mit den schlimmsten Dingen beleidigt zu werden.
An welcher Stelle der Rede Baldszus dazwischenrief und schließlich nach vorn stürmte, besinnt sich Nils Weigt nur ungefähr. Es war wohl noch nicht, als Weigt sinngemäß zitierte, die extrem Rechten der AfD machten keinen Hehl daraus, dass ihnen die Auseinandersetzung mit den Naziverbrechen ein Dorn im Auge sei. Nach Weigts Erinnerung rastete Baldszus ungefähr bei dem Satz aus: »Aus den Reihen der AfD werden notorisch geschichtsrevisionistische und holocaustverharmlosende Positionen verbreitet.«
Auf eine per E-Mail bei Baldszus gestellte nd-Nachfrage, wie sich die Sache aus seiner Sicht darstellt, ist bis zum Redaktionsschluss keine Antwort eingegangen.
»Bereits die Störung der Gedenkveranstaltung zum 27. Januar durch die AfD stellt eine neue Qualität dar«, schätzt Samuel Signer von der VVN-BdA ein. »Die anschließende massive Bedrohung von Mitgliedern unserer Organisation und weiteren Antifaschist*innen durch ein Mitglied der Strausberger Stadtverordnetenversammlung muss Konsequenzen haben.« Signer fordert die Bürgermeisterin und alle demokratischen Fraktionen auf, »diesen Vorfall auf das Entschiedenste zu verurteilen«.
»So etwas ist noch nie passiert«, sagt Lolita Klemm, geboren 1939, Kind von Widerstandskämpfern und selbst anerkannte Verfolgte des Naziregimes.
Dorothea Barthels von den Omas gegen Rechts nennt es »eine unfassbare Respektlosigkeit, dass ein von der Bürgermeisterin eingeladener AfD-Stadtverordneter mehrfach die Gedenkrede für die Opfer des Faschismus unterbricht«.
Zur zentralen Holocaust-Gedenkfeier Brandenburgs in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen war die AfD im Gegensatz zu früheren Jahren nicht eingeladen. Bisher hatten die Stiftung brandenburgische Gedenkstätten und der Landtag alljährlich gemeinsam zu diesem Termin eingeladen und folgend dem Gebot zur Neutralität wurde die AfD-Fraktion von der Landtagsverwaltung dabei nicht ausgespart. Nun aber übernahm die Stiftung allein die Organisation und konnte damit als Hausherr selbst entscheiden, wenn sie dabeihaben will und wen nicht.
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