»Diese Resolution zerstört den freien Diskursraum an Unis«

Die Wissenschaftlerin Marion Detjen sieht in der Antisemitismusresolution im Bildungsbereich eine massive Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit

  • Marion Detjen
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit Stimmen von CDU, SPD, FDP, Grüne und AfD verabschiedete der Bundestag am Mittwochabend eine Bundestagsresolution zum Kampf gegen Antisemitismus an Bildungseinrichtungen.
Mit Stimmen von CDU, SPD, FDP, Grüne und AfD verabschiedete der Bundestag am Mittwochabend eine Bundestagsresolution zum Kampf gegen Antisemitismus an Bildungseinrichtungen.

Am Mittwochabend hat der Bundestag, von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert, eine weitere Antisemitismus-Resolution beschlossen. Diese trägt den Titel: »Antisemitismus und Israelfeindschaft an Schulen und Hochschulen entschieden entgegentreten sowie den freien Diskursraum sichern«. Trotz Wahlkampfgetöse hat sich der Bundestag über Parteigrenzen hinweg und auch mit den Stimmen der AfD dazu bekannt, Antisemitismus und Israelfeindlichkeit in den Forschungs- und Bildungseinrichtungen zu bekämpfen. Der Titel suggeriert ein lobenswertes Anliegen.

Man muss den Antragstext schon genau lesen, um die negativen Auswirkungen auf Universitäten und Schulen, auf die Freiheit der Wissenschaft und der Lehre und auf den öffentlichen Diskurs insgesamt zu erkennen. Die fast ausschließliche Fokussierung auf den sogenannten israelbezogenen Antisemitismus überdeckt nicht nur den rechten Antisemitismus in Deutschland, sondern blendet auch die Realitäten und Komplexitäten des Nahostkonflikts vollständig aus.

Palästinenser*innen kommen im Antragstext ebenso wenig vor wie linke Jüdinnen und Juden, die nicht mit dem israelischen Staat identifiziert werden wollen. Die Vertreibungen, die Besatzung, die systematische Benachteiligung der Palästinenser*innen – nicht nur durch Israel, sondern auch durch Deutschland und die internationale Staatengemeinschaft – werden mit keinem Wort erwähnt.

Marion Detjen

Marion Detjen ist Historikerin und Publizistin. Sie lehrt seit 2016 am Bard College in Berlin. Ihre Schwerpunkte liegen auf der europäischen Migrationsgeschichte und der deutsch-deutschen Geschichte.

Die Wissenslücken von Schüler*innen und Studierenden werden sich durch die einseitige Fokussierung nicht schließen, sondern im Gegenteil weiten. Da der Antrag andere Diskriminierungsformen, insbesondere den antimuslimischen Rassismus, ignoriert, während sich seit dem 7. Oktober 2023 die Situation ja für jüdische und israelische, aber eben auch für muslimische und palästinensische Personen dramatisch verschärft hat, stärkt er rassistische Stereotype und die Marginalisierung betroffener Gruppen.

Schon im Titel verkehrt der Antrag die Tatsachen: Er verspricht, »den freien Diskursraum zu sichern« – durch die Androhung repressiver Maßnahmen, die Versicherheitlichung von Schulen und Universitäten und die Ausgrenzung von Diskursteilnehmer*innen jenseits dessen, was vom Strafrecht abgedeckt wird. Der Staat will auch ohne Bindung an Recht und Gesetz entscheiden, wo Freiheit anfängt und aufhört. Das beschränkt, ja zerstört den freien Diskursraum. Der Antrag spricht eine Orwell’sche Sprache.

Selbstwidersprüchlich ist, dass der Antrag einerseits wissenschaftliche Exzellenz zum alleinigen Kriterium für die Wissenschafts- und Forschungsförderung erklärt, aber andererseits diese an eine bewusst vage Antisemitismusdefinition bindet, die politische Gesinnungsprüfungen ermöglicht. Es ist mit den Funktionsweisen von Wissenschaft unvereinbar, sich durch eine von der Politik vorgegebene Definition reglementieren zu lassen.

Zumindest müsste der Antrag neben der genannten IHRA-Definition für Antisemitismus noch die Definition der Jerusalem Declaration und die Nexus-Definition als »maßgeblich« aufnehmen. Die offenkundig politisch gewünschte Fokussierung auf die IHRA-Definition mit all ihren Schwächen führt dazu, dass Menschen, die keineswegs antisemitisch sind, als Antisemiten verunglimpft und benachteiligt werden.

Das schafft nicht nur unschuldige Opfer, sondern ist auch kontraproduktiv für die Bekämpfung des wirklich ansteigenden Antisemitismus. Die zugrunde liegende Annahme, dass möglicherweise antisemitische Forschung in der Fördermittelvergabe nicht durch wissenschaftliche Begutachtungsprozesse bekämpft und ausgeschlossen werden kann, sondern nur durch ungesetzliche Eingriffe der Staatsmacht, zeugt von politischer Hybris. Die Trennung von Wissenschaft und Politik wird aufgehoben.

Dass der Antrag die zurückgetretene Bundesforschungsministerin Bettina Schwarz-Watzinger (FDP) ausdrücklich lobt, obwohl diese einen bis heute nicht aufgeklärten Eingriff in die Forschungsfreiheit zu verantworten hat, ist ein weiterer, offener Schlag ins Gesicht der Wissenschaft. Die Pläne in ihrem Ministerium, unliebsame Forscher*innen von der Förderung durch das Ministerium auszuschließen, und die Freude ihres Staatssekretärs über den zu erwartenden vorauseilenden Gehorsam von Wissenschaftler*innen sind bis heute in der Wissenschaftscommunity unvergessen.

Der Antrag nennt eine Reihe von konkreten Maßnahmen: Einrichtung von »Meldestellen«, systematische Kooperation mit den Sicherheitsbehörden, Ermöglichung von willkürlichen Exmatrikulationen, Verpflichtung für Lehrkräfte und pädagogisches Personal, sich in Seminaren indoktrinieren zu lassen und Schüler*innen und Studierende indoktrinieren zu müssen.

Dass Resolutionen nicht rechtsverbindlich sind, macht es nur noch schlimmer, denn so kann man nicht gegen sie klagen. Hier zeigt sich eine autoritäre Staatsmacht, die den Rechtsstaat hinter sich lassen möchte. Die Bekämpfung von Antisemitismus wird zum Deckmantel für die Durchsetzung einer rechtsgerichteten autoritären Agenda an Schulen und Hochschulen.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.