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Attac: »Unser Wirtschaftssystem ist Gift für die Demokratie«
Alfred Eibl kämpft mit der Organisation Attac für mehr Steuergerechtigkeit
Sie sind Experte für Steuern und Finanzmärkte bei Attac. Wie kommt ein Techniker zu so einem Thema?
An meinem ersten Studientag im September 1969 am Polytechnikum Regensburg verfrachtete der damalige Allgemeine Studentenausschuss (Asta) die Studentenschaft in Busse, wir fuhren nach München, um für eine Neuordnung der Ingenieurausbildung zu demonstrieren. Am Ende des Studiums 1972 war ich Mitglied im Asta-Vorstand, aus der Ingenieurschule war die Fachhochschule geworden und ich saß im Senat, um den Rektor mitzuwählen. Die Schulung am Marxschen »Kapital« war Standard und dazu gehörte auch die Beschäftigung mit der sozialen Rolle des Ingenieurs. Zu Beginn der Berufstätigkeit der Eintritt in die Gewerkschaft und später die Übernahme verschiedener Funktionen der betrieblichen Interessenvertretung waren die Folge.
Bei Steuern geht es doch nur um die sogenannte Sekundärverteilung. Sind Tarifrunden, wo über die Primärverteilung zwischen Kapital und Arbeit gestritten wird, nicht viel wichtiger?
Natürlich steht bei der Vertretung von Arbeitnehmerinteressen primär die Einkommensverteilung im Rahmen von Tarifrunden im Vordergrund. Letztendlich geht es aber immer auch um die Frage: Was bleibt netto übrig? In welchem Maße ist das Unternehmen, sind Besitzer und Aktionäre sowie die Arbeitnehmer mit Steuern und Abgaben belastet? Vielfach wird unterschätzt, wie relevant die Sekundärverteilung für die gesellschaftliche Entwicklung ist. Mich hat das immer interessiert und bei Attac ist das ein Schwerpunkt. Also führte mein Weg dorthin.
Geben Sie bitte Beispiele für die Schieflage.
Wir haben, basierend auf den Untersuchungen des Netzwerkes Steuergerechtigkeit zusammengestellt, wieviel Steuern und Abgaben eine Normalverdienerin und im Vergleich Frau Klatten zahlen, die bekanntlich mit ihrem Bruder BMW-Hauptaktionärin ist. Wenn man nur die persönlichen Belastungen nimmt und die gezahlten Verbrauchssteuern einbezieht, kommt man bei der Normalverdienerin auf eine Belastung von nahezu 50 Prozent, bei Frau Klatten mit ihren Milliardeneinnahmen an Dividenden auf nicht einmal zwei Prozent. Zum andern konnte Springer-Großaktionärin Friede Springer ihrem Chefmanager Mathias Döpfner Aktienanteile im Wert von rund einer Milliarde Euro schenken und dabei dem Staat über Steuerschlupflöcher mehrere hundert Millionen Euro an Schenkungssteuereinnahmen entziehen. Beim Bürgergeld wird nach dem letzten Cent gefahndet.
Alfred Eibl, geboren 1949 in Landshut/Bayern, arbeitete als Ingenieur der Kommunikationstechnik, war Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei Infineon und zeitweise Mitglied der Tarifkommission der IG Metall. Mit Beginn seines Ruhestands trat er Attac bei und engagiert sich dort im Koordinierungskreis und in der AG Finanzmärkte und Steuern. Zusammen mit Karl-Martin Hentschel schrieb er »Steuer-Revolution! Ein Konzept zur Rückverteilung von Reichtum, zu mehr Gerechtigkeit und Klimaschutz«
(VSA-Verlag, 2024).
Was heißt das für die Gesellschaft als Ganzes?
Extreme Vermögenskonzentration verleiht den Reichsten eine ökonomische, politische und gesellschaftliche Macht jenseits demokratischer Kontrolle. Mit Lobbying, »Denkfabriken«, Medienmacht, Parteispenden und Angeboten hochdotierter Jobs für ehemalige Entscheidungsträger aus Politik und Recht können sie ihre Interessen durchsetzen. Versteckt hinter den von ihnen ausgelösten »Marktzwängen« steuern sie die Wirtschaft. Aber ein Wirtschaftssystem, das den Reichsten zunehmend in die Hände spielt, ist Gift für die Demokratie, denn immer mehr Menschen sehen ihre Interessen nicht mehr vertreten. Wenn Demokratie nur was für die da oben ist, wenden sie sich von demokratischen Prozessen und politischem Engagement ab und unterstützen vielfach antidemokratische Kräfte.
Im Februar 2024 kam das Buch »Steuerrevolution« heraus, das Sie zusammen mit Karl-Martin Hentschel geschrieben haben.
Bekanntlich ist die Geburt von Attac mit Steuerpolitik verbunden. Die Finanztransaktionssteuer zur Bändigung der Finanzmärkte und zum Ausgleich der von ihnen verursachten Krisenkosten stand am Anfang. Darüber hinaus ging es um eine Gesamtkonzernsteuer und um die Schließung von Steueroasen und Verhinderung von Steuerflucht. Wir stellten fest, dass diese Punkte unvermittelt nebeneinanderstehen und ein Bild davon fehlt, wo wir eigentlich hinwollen. Für die Rechten und Liberalen steht fest: Der Staat muss eingeschränkt werden. Wir waren der Auffassung, dass ein Gegenbild notwendig ist. Die Frage war: Wie könnte das Steuersystem für einen handlungsfähigen Staat aussehen, das als gerecht angesehen wird, allen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht und nicht nur immer mehr Menschen auf den Kampf ums ökonomische Überleben reduziert?
Nennen Sie Aspekte für ein solches Steuersystem.
Es geht im Kern um drei Punkte: Die Gleichbehandlung von Einkommen aus Arbeit und Kapital, die Begrenzung von Vermögen, um daraus erwachsende politische Macht zu begrenzen, und eine verstärkte Kommunalisierung. Uns ist klar, das ist kein Programm zur Umwälzung gesellschaftlicher Verhältnisse, es realisiert nur den steuerlichen Grundsatz des Bundesverfassungsgerichtes: »Gleiches ist gleich, Ungleiches ist ungleich zu besteuern.« Aber das Grundgesetz ernst zu nehmen, scheint heute schon revolutionär zu sein. Zudem gehen wir darüber hinaus: Wir wollen großes Vermögen schrumpfen. Dabei geht es nicht um Omas kleines Häuschen und auch nicht um den Handwerksbetrieb. Es geht um eine Besteuerung, die aktives Vermögen über 20 Millionen Euro schrumpfen lässt. Die dritte Komponente eröffnet vielen Menschen neue Beteiligungsmöglichkeiten. Denn mit der massiven Stärkung der Finanzkraft der Kommunen wird ein großer Gestaltungsraum eröffnet: Die Steuern fließen nicht irgendwohin, sondern in das Schulhaus, das Krankenhaus oder die Straßenbahn. Dabei mitzureden, dürfte für viele interessant sein und Demokratie wieder lebendig werden lassen.
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In Ihrem Buch ist zu lesen von Kipppunkten der Geschichte, die plötzlich große gesellschaftliche Veränderungen auslösen. Was ist ein solcher Kipppunkt bei Steuern?
Eventuell sind wir gerade in einem solchen Prozess. Seit über 20 Jahren erheben wir als Attac die Forderung nach einer Gesamtkonzernbesteuerung, weil nur so Steuerflucht und Steuervermeidungsstrategien begrenzt werden können. Anfangs wurden wir als Utopisten abgetan, seit Kurzem haben wir erste Ansätze dazu. Auf dem G20-Gipfel im November 2024 hat unser Noch-Bundeskanzler für Deutschland zusammen mit den anderen G20-Staatschefs eine Erklärung unterzeichnet, die die Vermögensbesteuerung von »ultra high net wealth individuals« ins Auge fasst. Das sind Menschen, die ein investierbares Vermögen von 30 Millionen US-Dollar oder mehr haben. Und die UN schickt sich an, die globale Steuerpolitik in die Hand zu nehmen. Herr Musk mag dann vielleicht auf den Mars fliehen und seine Bitcoins mitnehmen.
Nun hat Donald Trump den Austritt der USA aus dem globalen Abkommen zur Mindestbesteuerung von Unternehmen erklärt und die G20-Erklärung ist unverbindlich. Für Milliardäre wie Musk besteht doch da gerade wenig Anlass zur Flucht ins Weltall?
Ja, richtig. Das ist ein echter Rückschlag. Aber es gibt einige Aber. Die USA sind nicht mehr allmächtig und die Finanznot der Staaten ist groß. Sich die Steuern nun bei den Geringverdienern zu holen, wird auf großen Widerstand stoßen, die Einkommens- und Vermögensungleichheit ist zu offensichtlich. Daher wird es eine Reihe von einzelstaatlichen Ansätzen geben und auch der Prozess für ein UN-Steuerabkommen wird weitergehen. Das Thema ist daher nicht beerdigt, sondern eine neue Runde der Auseinandersetzung darüber ist eingeläutet.
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