Polizeigewalt: »Wir fordern Gerechtigkeit für Ibrahima Barry«

Nach dem Tod eines jungen Guineers in Mülheim kritisiert eine Initiative die Polizei

Unterstützer*innen des getöteten Guineers fordern psychologische Krisendienste, ein Ende von Tasern, Racial Profiling sowie Kniefixierungen.
Unterstützer*innen des getöteten Guineers fordern psychologische Krisendienste, ein Ende von Tasern, Racial Profiling sowie Kniefixierungen.

Wer war Ibrahima Barry?

Jakob H.: Ibrahima ist als Teenager nach Deutschland gekommen. 2016 hat er einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt wurde. Obwohl er von Abschiebung bedroht war und keine Arbeitserlaubnis bekam, hat Ibrahima ein Leben in Mülheim an der Ruhr gefunden. Er hat Briefe an seine Freund*innen geschrieben, mochte Rap-Musik und Fußball. Er hatte schon lange mit psychologischen Problemen zu kämpfen. Am Tag seines Todes befand er sich in einer psychischen Krise. Ibrahima war Mitte 20.

Wie Ibrahima zu Tode kam, darüber schweigen derzeit die Behörden und verweisen auf laufende Ermittlungen. Können Sie das akzeptieren?

Nein. Eine öffentliche Aufarbeitung sieht anders aus. Wenn überhaupt Informationen in Fällen von Polizeigewalt öffentlich gemacht werden, dann dienen sie einer Täter-Opfer-Umkehr. Es wird über Drogen, Aggressivität oder Ähnliches gesprochen, was Ibrahima entmenschlicht und als Rechtfertigung für seinen Tod verwendet wird. Es verdeckt, dass er nicht gestorben wäre, wenn die Polizei an dem Tag nicht gekommen wäre und ihn getasert hätte.

Interview

Jakob H. ist Pressesprecher*in des Solidaritätskreises Justice for Ibrahima und arbeitet in verschiedenen Gruppen zu Rassismus in der Polizei, Kritik an Gefängnissen und alternativen Formen von Gerechtigkeit.

Ibrahima soll eine Mitarbeiterin in der Flüchtlingsunterkunft bedroht, unter Drogen gestanden und, als die Polizei anschließend kam, sich widersetzt haben. Wieso schaffen es mehrere Polizeibeamte nicht, einen unbewaffneten jungen Mann zu fesseln und zu beruhigen?

Ibrahima war unbewaffnet und keine Gefahr für die Polizist*innen. Dass er beim Polizeieinsatz gestorben ist, zeigt klar, dass die Polizei nicht deeskalativ handelt. Die Polizei hat die Situation nur noch mehr eskaliert, weil sie nicht die Aufgabe und Fähigkeit hat, Menschen in psychischen Ausnahmesituationen zu unterstützen. Darüber hinaus sind viele weitere Fragen offen. Wurde Ibrahima mit einem Knie auf dem Rücken fixiert? Spätestens seit dem Tod von George Floyd in den USA ist bekannt, dass dieses Vorgehen der Polizei tödlich ist. Was ging dem Tasereinsatz voraus? Sind die vorliegenden Bodycam-Aufnahmen der Polizist*innen lückenlos? Dokumentieren sie womöglich weitere Polizeigewalt?

Im Fall von Ibrahima erscheint der Einsatz der Taserwaffe ohnehin unverhältnismäßig.

Es ist bekannt, dass Menschen in psychologischen Krisen statistisch öfter getasert werden. Sie sterben auch häufiger durch Tasereinsätze. Menschen, die aus rassistischen Gründe als »gefährlich« angesehen werden, sind öfter von tödlicher Polizeigewalt betroffen. Wie im Fall von Mouhamed Lamine Dramé in Dortmund sehen wir, dass die Kombination von Rassismus und Ableismus fatal ist. Ganz grundsätzlich gilt: Taser sind tödlich. Es wird immer wieder so getan, als stünden Herzstillstände und Tasereinsätze in keinem kausalen Zusammenhang. Selbst nach der Handlungsanweisung NRW für Tasernutzung dürfen sie bei bestimmten Vorerkrankungen nicht genutzt werden. Weil die Polizei das aber im Einsatz gar nicht vorher wissen kann, müsste die logische Schlussfolgerung sein, Taser gar nicht einzusetzen.

Wie stehen Sie mit der Familie von Ibrahima in Guinea in Kontakt?

Im Januar 2024 hat der Solikreis bei der Rückführung von Ibrahimas Leichnam nach Guinea geholfen und wir haben einige Male miteinander telefoniert. Die Familie wünscht sich Aufklärung und Gerechtigkeit.

Zum Todestag von Ibrahima hatten Sie wieder zur Kundgebung aufgerufen. Was fordern Sie?

Wir fordern Gerechtigkeit für Ibrahima und die Abschaffung der Bedingungen, durch die Menschen immer wieder Opfer von Polizeigewalt werden. Die entmenschlichenden Geschichten, die die Polizei und Medien über ihn erzählen, dürfen nicht stehengelassen werden. Unsere Forderungen sind unter anderem psychologische Krisendienste, die anstatt der Polizei gerufen werden können. Ein Ende von Tasern, Racial Profiling und Kniefixierungen. Die Polizist*innen, die an Ibrahimas Tod beteiligt waren, müssen entlassen werden. Es braucht eine unabhängige Instanz, die gegen Polizeigewalt ermittelt. Eine offizielle Entschuldigung und Beileidsbekundung für die Familie Barry von der Polizei und der Stadt Mülheim sowie Gelder für Projekte für schwarze Jugendliche. Ein Ende des strukturellen Rassismus der Polizei. Psychologische Unterstützung und Arbeitserlaubnis für alle Geflüchteten.

Fürchten Sie, dass die Aufarbeitung des Mülheimer Falls genauso schleppend verläuft wie im Fall von Mouhamed Dramé in Dortmund?

Mouhamed und Ibrahima waren junge, schwarze Menschen in psychischen Krisen, die wegen Rassismus als »gefährlich« angesehen wurden. Den sehen wir auch im Fall von Oury Jalloh, Lamin Touray, Bilel G. und so vielen anderen. Wie in allen diesen Fällen ist zu erwarten, dass die Aufklärungsarbeit behindert wird. Es ist wie in Dortmund zu erwarten, dass es keine Konsequenzen für die beteiligten Polizist*innen geben wird. Dass, wenn es überhaupt zu einem Prozess kommt, dieser voll von Rassismus und anderen Diskriminierungsformen sein wird, wie in all diesen Fällen.

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