Abschiebehaft: Millionenschwere Symbolpolitik

Frank Gockel über Abschiebehaft und die Pläne zum Bau eines neuen Abschiebegefängnisses in NRW

Kein Gefängnis? »Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige« in Detmold
Kein Gefängnis? »Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige« in Detmold

Initiativen, die sich für Menschen in Abschiebehaft engagieren, kritisieren diese Institution seit Langem. Warum?

Die Menschen werden nicht eingesperrt, weil sie eine Straftat begangen haben, sondern ausschließlich mit dem Ziel, ihre Abschiebung durchzusetzen. Abschiebehaft ist eine Form der Zivilhaft und ähnelt in ihrer rechtlichen Natur eher einer zwangsweisen Unterbringung, etwa in psychiatrischen Einrichtungen, als einer strafrechtlichen Inhaftierung. Da Abschiebehaft keinen Strafcharakter besitzt, müssten die Haftbedingungen deutlich besser sein als in regulären Strafvollzugsanstalten. In der Realität ist jedoch häufig das Gegenteil der Fall: Schon der Einsatz von oft unzureichend qualifiziertem Personal und die bauliche Gestaltung vieler Haftanstalten, die eher an Hochsicherheitstrakte erinnern, zeigen dies. Die Haftbedingungen beschneiden die Rechte der Betroffenen teilweise stärker als ein regulärer Strafvollzug. Dazu kommt, dass Abschiebehaft oft rechtswidrig angeordnet wird. Bekommen Betroffene professionelle Unterstützung, stellen Gerichte in nahezu jedem zweiten Verfahren fest, dass die Anordnung unrechtmäßig war. Aber statt mehr Rechtssicherheit zu schaffen, plant die künftige Bundesregierung laut Koalitionsvertrag, Betroffenen den Zugang zu anwaltlicher Unterstützung zu erschweren.

Interview


Frank Gockel ist Mitarbeiter des Bundesfachverbands zur Unterstützung von Menschen in Abschiebehaft und engagiert sich seit Langem gegen die Internierung ausreisepflichtiger Menschen in solchen Einrichtungen.

Daher braucht es in Nordrhein-Westfalen also auch keinen zweiten Abschiebegewahrsam, wie ihn die Landesregierung beschlossen hat?

In NRW gibt es bisher das Abschiebegefängnis in Büren mit 175 Haftplätzen. Dessen Kapazität war jedoch zu keinem Zeitpunkt voll ausgelastet. Der jetzt in Mönchengladbach geplante Neubau eines weiteren Abschiebegefängnisses ist daher eine Maßnahme rein symbolpolitischer Natur. Die Landesregierung suggeriert, dass eine höhere Zahl von Haftplätzen zu mehr Abschiebungen führen werde – ein Zusammenhang, der durch die Realität nicht gedeckt ist. Es bleibt grundsätzlich fraglich, warum Menschen inhaftiert werden müssen, anstatt sie unmittelbar und ohne Freiheitsentzug zum Flughafen zu bringen. Noch dazu werden die Ausländerbehörden in der Praxis kaum verpflichtet, vorrangig mildere Maßnahmen wie Meldeauflagen oder Kautionen zu prüfen, obwohl dies nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geboten wäre. Die Ampel-Koalition auf Bundesebene hat bereits durch eine Gesetzesänderung ermöglicht, die Dauer der Abschiebehaft erheblich auszudehnen. Während früher die notwendigen Vorbereitungen – insbesondere das Sammeln der Ausreisepapiere – durch die Behörden vor der Inhaftierung abgeschlossen wurden, wird dies mittlerweile häufig erst während der Haftzeit erledigt. Eine Rückkehr zu der früheren Verfahrensweise könnte die Haftzeiten verkürzen und den Bedarf an Haftplätzen deutlich reduzieren.

140 Haftplätze sollen in Mönchengladbach entstehen. Wie viel kostet das?

Wie teuer es wird, kann bislang nicht mal ansatzweise abgeschätzt werden. Bereits jetzt ist absehbar, dass allein die Betriebskosten völlig aus dem Ruder laufen: In der Abschiebehaft in Büren belaufen sie sich auf etwa 240 Euro pro Haftplatz und Tag. Überträgt man diese Zahl auf den neuen Standort, ergibt sich ein jährlicher Aufwand von mehr als zwölf Millionen Euro nur für den Betrieb. Diese Ausgaben stehen in keinem Verhältnis zum Bedarf. Die Verschwendung öffentlicher Mittel in dieser Größenordnung ist nicht nur politisch verantwortungslos, sondern wirft auch erhebliche verfassungsrechtliche Fragen auf. Denn Artikel 20 des Grundgesetzes verpflichtet den Staat zur wirtschaftlichen Verwendung öffentlicher Gelder. Ein Abschiebegefängnis, dessen Kapazitäten voraussichtlich erneut nicht ausgelastet werden, verletzt diesen Grundsatz evident. Statt notwendige Reformen in der Verwaltungspraxis der Ausländerbehörden umzusetzen und auf mildere Mittel zu setzen, wird hier sehenden Auges ein millionenschweres Symbolprojekt auf Kosten der Steuerzahler*innen errichtet.

Wie viele Abschiebeknäste gibt es deutschlandweit und wie soll künftig mit ausreisepflichtigen Menschen umgegangen werden?

Derzeit existieren bundesweit 14 Abschiebehaftanstalten. Weitere sind unter anderem in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt in Planung. Künftig sollen Menschen schneller, häufiger und länger in Abschiebehaft genommen werden. Das geht aus dem Koalitionsvertrag von Union und SPD vor. Dabei wäre eine der wichtigsten Alternativen zur Haft die Förderung freiwilliger Ausreisen. Diese setzt jedoch frühzeitige, qualifizierte und unabhängige Beratung voraus. Aber die Beratungsangebote werden gerade massiv zurückgefahren. So kürzt die Landesregierung in NRW die Mittel dafür drastisch – offenbar, um das neue Abschiebegefängnis, dessen Baukosten auf 300 Millionen Euro geschätzt werden, finanzieren zu können. Bund und Länder investieren derzeit in eine repressive Infrastruktur, die enorme Kosten verursacht, Grundrechte verletzt und die Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaats aushöhlt.

Was kann man gegen neue Abschiebegefängnisse tun?

Ein zentrales Problem ist die fehlende Transparenz. In NRW musste die Einsicht in die Planungsunterlagen zum Neubau gerichtlich erstritten werden. Das Bündnis »Abschiebegefängnis verhindern – in Mönchengladbach und überall« erhält Antworten des zuständigen Ministeriums auf Anfragen bis heute in weiten Teilen geschwärzt. Diese Intransparenz ist politisch gewollt: Das auch für Geflüchtete zuständige Familienministerium ist auf die Zustimmung der jeweiligen Kommunen angewiesen, um ein Bauvorhaben durchzusetzen. Man will demokratische Beteiligungsprozesse möglichst umgehen, führt Verhandlungen mit Bürgermeister*innen hinter verschlossenen Türen. Konkret bietet das Land der Stadt Mönchengladbach an, im Gegenzug für die Zustimmung zum Gefängnisbau benachbarte Flächen für ein Industriegebiet zur Verfügung zu stellen. Das ist rechtlich hochproblematisch. Unser Ziel ist es, eine breite gesellschaftliche Debatte zu ermöglichen. Gemeinsam mit dem lokalen Bündnis gegen das Abschiebegefängnis klären wir die Bevölkerung auf, damit sie sich wirksam in die politischen Prozesse einmischen kann.

Wann kommt man in Abschiebehaft?

Zunächst: Es gibt nicht »die Abschiebehaft«, sondern Sicherungshaft, Vorbereitungshaft, ergänzende Vorbereitungshaft, Mitwirkungshaft, Haft zur Durchsetzung der Mitwirkungspflichten, Zurückweisungshaft, Überstellungshaft und Haft zur Durchsetzung räumlicher Beschränkungen. Jede dieser Haftformen unterliegt eigenen gesetzlichen Voraussetzungen. In den letzten Jahren hat der Gesetzgeber gezielt die Schwellen für die Anordnung von Haft abgesenkt. Beispielhaft ist die Regelung zum Ausreisegewahrsam: Bereits wenn eine Person nach Ablehnung ihres Asylantrags nicht innerhalb von 38 Tagen ausreist, kann er gegen sie nach Paragraf 62b des Aufenthaltsgesetzes verhängt werden. Dabei reicht diese Frist in der Praxis regelmäßig nicht aus, um alle Papiere zu beschaffen. Damit liegt die Entscheidung über die Inhaftierung weitgehend im Ermessen der Ausländerbehörden. Insbesondere die Bundespolizei, die in bestimmten Fällen selbst als Ausländerbehörde agiert, ordnet Inhaftierungen überdurchschnittlich schnell und restriktiv an. Andere Behörden gehen deutlich zurückhaltender vor. Ob eine Person in Haft genommen wird, hängt damit weniger von objektiven Voraussetzungen als vielmehr vom Ermessen der zuständigen Behörde ab. Das widerspricht rechtsstaatlichen Grundprinzipien.

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