- Wirtschaft und Umwelt
- Wohlfahrt
Elke Ronneberger: »Niemand soll zurückbleiben«
Die Diakonie-Vorständin über Rolle und Probleme der Wohlfahrt
Sie treten die Stelle als Sozialvorständin zu einem prekären Zeitpunkt an. Jugendämter in Sachsen berichten, sie seien am Limit, Migrationsberatungen in Baden-Württemberg mussten bereits eingestellt werden. Woran liegt das?
Ein funktionierender Sozialstaat braucht ein gutes wirtschaftliches Fundament. Wenn aufgrund des Spardrucks im Haushalt zum Beispiel Integrationsangebote wie die Migrationsberatung nicht auskömmlich finanziert werden, hat das drastische Auswirkungen. Dann können die diakonischen Träger die Angebote nicht mehr entsprechend umsetzen. Da die Nachfrage aber weiterhin ungebrochen ist, entsteht hier ein Widerspruch. Das trifft nicht nur die Diakonie, sondern alle Wohlfahrtsverbände.
Sie beobachten diese Entwicklung schon lange, sind gleich nach der Schule in den sozialen Bereich eingestiegen.
Ich habe Erziehungswissenschaften studiert, weil mich die Bandbreite des Sozialen schon immer interessiert hat. Durch Praktika konnte ich in Arbeitsfelder eintauchen, die ich vorher nicht kannte – zum Beispiel in einem Kinderheim für Kinder mit geistigen Behinderungen. Diese Erfahrungen in der Integration und Teilhabe von Menschen mit Behinderung haben mich sowohl in meinen leitenden Positionen in Wohnverbünden als auch als Geschäftsführerin einer Werkstatt für behinderte Menschen geprägt. Sie sind heute noch wertvolle Wegweiser für meine Entscheidungen.
Elke Ronneberger ist seit Anfang 2025 Sozialvorständin der Diakonie Deutschland. Zuvor arbeitete sie mehrere Jahrzehnte für soziale Träger in Ostdeutschland.
Werden Sie jetzt einen Schwerpunkt auf das Thema Inklusion legen?
Teilhabe ist ein Schnittstellenthema. Es gibt viele Menschen, die anders leben möchten, als es die vorherrschenden gesellschaftlichen Vorstellungen vorgeben. Oder die ausgegrenzt werden – Menschen mit Armutserfahrungen oder Migrationshintergrund zum Beispiel. Wir sind Teil einer vielfältigen Gesellschaft und müssen uns genauso darum kümmern, dass Menschen mit einem Rollator von A nach B kommen, wie dass junge Eltern ihren Kinderwagen durch die Stadt schieben können.
Die Diakonie ist in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege vernetzt. Ulrich Schneider, ehemals Vorstand des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, kritisierte den Zusammenschluss als »armutspolitischen Totalausfall«. Die Verbände seien zu divers für Lobbyarbeit.
Ich sehe es als Chance, dass die Wohlfahrtsverbände bestimmte Themen unterschiedlich angehen, weil die Verbände unterschiedlich aufgestellt sind. Uns verbinden die demokratischen Freiräume, die wir auf der Grundlage des Subsidiaritätsprinzips zwischen Markt und Staat schaffen. Sie zeigen Probleme, Strukturen und Lösungen auf. Wenn wir so das Miteinander in der Gesellschaft stärken, sind das wichtige Fortschritte.
Gibt es denn innerhalb der Diakonie so etwas wie einen Konsens zu Themen wie Bürgerrente, Vermögensteuer oder Vergesellschaftung?
Unsere Arbeit ist geprägt von unserem christlichen Selbstverständnis, das auf der Nächstenliebe beruht. Das ist so seit unserer Gründung vor über 175 Jahren, und es ist heute noch aktuell. Damit treten wir für soziale Gerechtigkeit und Zusammenhalt ein und stärken die Demokratie an sich.
Ich paraphrasiere: Die Aufgabe der Wohlfahrt liegt nicht in der Umsetzung dieser Themen, sondern in der Stärkung der Demokratie als Ganzes?
Unsere Stärke ist unsere Zusammenarbeit mit Akteuren vor Ort ebenso wie mit kirchlichen Strukturen, über die wir in das Gemeinwesen hineinwirken können. In unserer Kampagne »Verständigungsorte« beispielsweise geht es nicht darum, seine eigene Meinung lautstark zu äußern, sondern, wie der Name schon sagt, darum sich zu verständigen, zu hören, was Menschen bewegt in diesen Zeiten gesellschaftlicher Transformation. Damit niemand zurückbleibt.
Welche Rolle spielt Missionierung in der Diakonie heute?
Für uns sind die Lösung der sozialen Probleme und das Wohlergehen aller Menschen untrennbar miteinander verbunden. Uns ist es wichtig mit Herz und Seele soziale Arbeit zu machen. Weltlich drückt man das vielleicht ein bisschen anders aus, für mich macht eine Trennung aber keinen Sinn. Bereits seit dem 19. Jahrhundert denken wir beides zusammen.
Zurück zum Weltlichen: Im Wahlkampf führt die Diakonie die Kampagne #Sozialwählen. Da mischt man nun doch realpolitisch mit, oder?
Es ist derzeit erschreckend, wie sich Parteien wie CDU oder FDP populistisch zum Bürgergeld oder in der Migrationspolitik positionieren. Das unterstützen wir nicht, wir wünschen uns eine Versachlichung der Debatte. Wir versuchen zum Beispiel darüber aufzuklären, wer das Bürgergeld tatsächlich bezieht, dass es viele Menschen sind, die bereits arbeiten, aber zu wenig verdienen. Wir müssen wieder in Vorsorgestrukturen investieren, dafür müssen wir über eine gerechte Lastenverteilung in diesem Land nachdenken, über Abgaben und Steuern. Auch Menschen, die sehr reich sind, sollten ihren Beitrag für den Sozialstaat leisten.
Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.
Also doch eine Vermögensteuer?
Eine gerechte Verteilung der Lasten ist aus unserer Sicht jedenfalls nicht erkennbar.
Der Verband Lebenshilfe rät explizit von einer Wahl der AfD ab. Das tut die Diakonie nicht.
Die Diakonie ist parteipolitisch neutral und gibt keine Wahlempfehlungen ab. Sie warnt jedoch davor, politische Kräfte zu unterstützen, die sich gegen das christliche Menschenbild und die freiheitlich-demokratische Grundordnung unseres Landes richten – unabhängig davon, aus welcher politischen Richtung sie kommen. Wir wollen für gesellschaftliche Themen sensibilisieren. Natürlich analysieren wir auch die Wahlprogramme, überlegen, wo wir Lobbyarbeit machen wollen und nehmen Gespräche auf, wenn der Koalitionsvertrag steht.
Für welche Themen wollen Sie nach der Wahl Lobbyarbeit betreiben?
Um die wirtschaftliche Stabilität zu gewährleisten, ist es entscheidend, dass wir in vorsorgende Maßnahmen investieren, insbesondere in unseren Sozialstaat. Ein zentraler Aspekt dabei ist die Kindergrundsicherung, die wieder verstärkt in den Fokus rücken sollte. Ebenso wichtig ist das Bürgergeld, das sicherstellt, dass jeder ein menschenwürdiges Existenzminimum hat. Aus demografischer Sicht stehen wir vor der Herausforderung, nicht nur die Finanzierung der Pflegeversicherung, sondern auch pflegende Angehörige besser abzusichern. Es ist heute wichtig, dass sich die professionelle Pflege und das Gemeinwesen gegenseitig ergänzen. Diese Synergie ist für eine umfassende und nachhaltige Pflegeversorgung entscheidend.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.