Verkehrssicherheit in Berlin: Null Vision statt »Vision Zero«?

Berlins Senat steht nach verschlechterter Unfallbilanz unter Druck

Traurige Bilanz für die Hauptstadt: Für 55 Verunfallte kam 2024 jede Hilfe zu spät.
Traurige Bilanz für die Hauptstadt: Für 55 Verunfallte kam 2024 jede Hilfe zu spät.

Oda Hassepaß kann es nicht mehr hören. »Es wird viel versprochen, aber die Maßnahmen werden einfach nicht konsequent umgesetzt«, kritisiert die Verkehrsexpertin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus gegenüber »nd«. Zu wenig neue Tempo-30-Zonen, zu wenig neue Radwege und sichere Überwege für Fußgänger*innen: Die Sicherheit auf den Berliner Straßen komme unter Schwarz-Rot zu kurz.

55 Menschen kamen 2024 laut Polizeiangaben bei Verkehrsunfällen auf Berliner Straßen ums Leben. Nur einmal wurde innerhalb der vergangenen zehn Jahre ein höherer Wert registriert. Das im Mobilitätsgesetz festgeschriebene Ziel der »Vision Zero«, keine Toten und Schwerstverletzten im Berliner Straßenverkehr, bleibt weit entfernt.

Mit 24 Todesfällen sind besonders Fußgänger*innen gefährdet, während über 68 Prozent der Unfälle mit Personenschaden von Kraftfahrzeugen verursacht werden. Zugleich zeigt eine aktuelle Anfrage von Hassepaß und ihrer Parteikollegin Antje Kapek, dass die Berliner Polizei bei Schwerpunktkontrollen den Fokus mit 54 Prozent vor allem auf Radfahrende setzt – und nur zu 31 Prozent auf Kraftfahrzeuge.

»Das steht in keinem Verhältnis dazu, wer die meisten Unfälle verursacht«, sagt Hassepaß. Die schwächsten Verkehrsteilnehmer*innen blieben auf der Strecke. »Gerade Kinder, Ältere und Menschen mit Einschränkungen müssen besonders geschützt werden.« Fast die Hälfte der 2024 im Verkehr Getöteten waren über 65 Jahre alt.

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»Die für Verkehr und Sicherheit zuständigen Senatsmitglieder arbeiten intensiv an Konzepten, um die Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer zu verbessern«, versichert die Verkehrsverwaltung in ihrer Antwort auf die Grünen-Anfrage. Einen entscheidenden Beitrag soll das »Verkehrssicherheitsprogramm 2030« leisten, das der Senat vor Mitte 2025 präsentieren will. Es befasst sich unter anderem mit mehr Sicherheit auf Schulwegen, Radwegen und beim Überqueren der Straße.

Große Hoffnungen will sich Hassepaß allerdings nicht machen. Für die Umsetzung des Programms, das der Senat schon einmal verschoben habe, mangele es an Geld. Generell agiere Schwarz-Rot zu behäbig: Der immer wieder angekündigte Fußverkehrsplan warte seit über einem Jahr auf Mitzeichnung, das »Sofortprogramm Querungshilfe« sei angekündigt worden, laufe aber ohne weiteres Personal und ohne Finanzierung.

Auch Kristian Ronneburg, verkehrspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, stellt dem Senat ein schlechtes Zeugnis aus. »In Sachen Verkehrssicherheit hat sich die Koalition nicht mit Ruhm bekleckert«, sagt er zu »nd«. Bei dem, was bereits geplant sei, kämen die Bauämter nicht hinterher. »Vieles wird angeordnet, aber noch nicht umgesetzt.« Wie Hassepaß bezweifelt Ronneburg, dass für das »Verkehrssicherheitsprogramm 2030« genug Geld zur Verfügung stehen wird, um wirklich etwas zu bewirken.

Derweil bleibt das noch junge Jahr schon jetzt hinter der »Vision Zero« zurück. Für den Januar 2025 zählen die Verkehrswende-Aktivist*innen des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) insgesamt drei Verkehrstote: zwei Fußgängerinnen, beide über 85 Jahre alt, und einen 65-jährigen Radfahrer.

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