Gleisdreieck-Hochhäuser: Senat im Einsatz für Fondskapital

Bezirk soll bei Hochhausprojekt »Urbane Mitte« am Gleisdreieck in Berlin komplett entmachtet werden

Hoch hinaus: So, oder so ähnlich, soll es eines Tages am Gleisdreieck aussehen.
Hoch hinaus: So, oder so ähnlich, soll es eines Tages am Gleisdreieck aussehen.

Das Szenario ist Mitte vergangenen Jahres bereits durchexerziert worden. Für den Bebauungsplan »Urbane Mitte Süd« hat der Senat dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg die Zuständigkeit zur Wahrung eher konstruiert wirkender »dringender Gesamtinteressen Berlins« bereits entzogen. Nun droht Bausenator Christian Gaebler (SPD) dem Bezirk dasselbe für den wesentlich umstritteneren und größeren Nordteil an.

»Urbane Mitte«, so nennen die Investoren sieben bis zu 90 Meter hohe Hochhäuser rund um den U-Bahnhof Gleisdreieck mit rund 11 0000 Quadratmetern Geschossfläche, vornehmlich für Büros. Für die knapp 24 000 Quadratmeter in zwei Gebäuden im Süden dürfte der frisch von DLE in Periskop Partners AG umbenannte Projektentwickler das Baurecht dank Senatsengagement in absehbarer Zeit in der Tasche haben.

Für die restliche Fläche im Norden, direkt westlich des U-Bahnhofs Gleisdreieck gelegen, dürfte auch das forsche Vorgehen des Senats auf absehbare Zeit keine Beschleunigung herbeiführen. In einer am 30. Dezember an den Bezirk verschickten »Weisung« verlangte dieser den Beschluss des Bebauungsplans bis Ende 2026.

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»Die Weisung entbehrt jeder fachlichen Grundlage, denn die vorrangige Planung des 3. Abschnitts der S21 ist weder entscheidungsreif noch genehmigungsfähig, eine Fortführung des B-Plans damit derzeit nicht möglich«, heißt es in einem Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) in Friedrichshain-Kreuzberg von Ende Januar. Eingebracht wurde er gemeinsam von Linksfraktion und Grünen.

»Der Senat agiert völlig sachfremd und willkürlich. Er täuscht die Öffentlichkeit, denn es geht hier nicht um das Gesamtinteresse Berlins«, sagt Gaby Gottwald. Sie ist stadtentwicklungspolitische Sprecherin der bezirklichen Linksfraktion. »Hier wird das Verwertungsinteresse eines Kapitalfonds in einer Steueroase bedient, dessen Hauptaktionär ein Tech-Milliardär ist. Der Park wird versaut mit völlig unnützen Bürohochhäusern, damit Anleger ihr Schnäppchen machen.«

Vom Bezirksamt wollte Gottwald in der Sitzung Ende Januar wissen, was es dem Senat auf die Weisung geantwortet hatte. Der Bezirk könne der »Aufforderung zur zügigen Weiterführung des Bebauungsplanverfahrens aufgrund fehlender Voraussetzungen nicht folgen und auch keinen entsprechenden Zeitplan zur Festsetzung im Jahr 2026 übersenden«, heißt es.

Das liege vor allem an der engen Verzahnung des Projekts mit der geplanten zweiten Nord-Süd-S-Bahn-Strecke mit dem Arbeitstitel S21. Der erste Abschnitt von Gesundbrunnen zum Hauptbahnhof soll Ende März dieses Jahres in Betrieb gehen, für die Weiterführung zum Potsdamer Platz läuft derzeit das Planfeststellungsverfahren. Der dritte Abschnitt soll vom Potsdamer Platz über den neuen S-Bahnhof Gleisdreieck zu den Bahnhöfen Yorckstraße von S1, S2, S25 und S26 führen.

Mitte des Jahres soll für diesen Abschnitt die Entwurfsplanung durch die Deutsche Bahn beginnen. »Ein für die weitere Hochbauplanung belastbarer Planungsstand wird nach zirka 1,5 Jahren erwartet, also Ende 2026«, heißt es vom Bezirk. Das sei so auch Ende November in einem gemeinsamen Termin mit der Senatsmobilitätsverwaltung und der Deutschen Bahn besprochen worden.

Auch zahlreiche rund zehn Jahre alte Gutachten müssten teilweise von Grund auf neu erbracht werden. In diesem Zusammenhang habe die Mobilitätsverwaltung »ausdrücklich« davor gewarnt, »dass sich bei jetzigem Planungsstand noch substanzielle Änderungen in der S21-Planung ergeben können«.

Wie groß die Abhängigkeiten sind, zeigen schon die Architekturzeichnungen des Projekts. Die Hochhäuser sollen teilweise die oberirdische Trasse der S21 überbrücken oder direkt angrenzen. »Das sind natürlich miteinander korrespondierende Röhren, der Bebauungsplan und Planfeststellungsbeschluss«, hob Mobilitätssenatorin Ute Bonde (CDU) kürzlich im entsprechenden Ausschuss des Abgeordnetenhauses hervor.

Hinzu komme, dass im Bezirk ein BVV-Beschluss gefasst wurde, die Planungsinhalte für die Urbane Mitte zu überprüfen, heißt es vom Bezirksamt. Dazu lägen bislang noch kein Zeitplan und kein detailliertes Vorgehen vor. »Mutmaßungen« über die Gründe des Bausenators, die Festsetzung des Bebauungsplans in unrealistisch kurzer Zeit vom Bezirk zu verlangen, wollte das Bezirksamt allerdings nicht anstellen.

»Hier wird das Verwertungsinteresse eines Kapitalfonds in einer Steueroase bedient.«

Gaby Gottwald (Linke)
Stadtentwicklungsexpertin

Offensichtlich ist, dass seit Amtsantritt der Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt (parteilos, für SPD) der Druck auf den Bezirk gewachsen ist, das Projekt zu genehmigen. »Der Schadenersatzanspruch von Herrn Dr. Vogel hat sich mittlerweile auf 100 bis 150 Millionen Euro erhöht, da er seine verauslagten Kosten und seinen entgangenen Gewinn dort einrechnen kann«, schreibt sie im Oktober 2022 in einer »nd« vorliegenden internen Mail, in der sie einen Beschäftigten bittet, ein Auskunftsersuchen an den Bezirk zum Projektstand der Urbanen Mitte aufzusetzen. Gemeint ist Markus Vogel, der mit seinem Büro für das Projekt unter anderem die Öffentlichkeitsarbeit und die politischen Kontakte übernimmt.

Doch mögliche Schadenersatzforderungen sind laut zwei unabhängig voneinander erstellten Rechtsgutachten gegenstandslos. Nachdem die Aktionsgemeinschaft Gleisdreieckpark und die Naturfreunde Berlin im August 2023 das erste Gutachten vorgelegt hatten, beauftragte das Bezirksamt auf Beschluss der BVV ein weiteres Gutachten, das zum gleichen Schluss kam.

Diese Erkenntnis war ein entscheidender Fortschritt der Aktionsgemeinschaft Gleisdreieck, eines Bündnisses mehrerer Initiativen, nach vielen Jahren Kampf gegen das Projekt. Nun gab es auch in der Bezirkspolitik Mehrheiten gegen eine Weiterführung der Planungen im bisherigen Rahmen.

»Der Senat hat seinerzeit Bezug auf die Aussagen der Projektträgerin genommen, aber keine eigenen Überlegungen zu einer möglichen Schadenersatzforderung angestellt«, heißt es in der Antwort der Senatsbauverwaltung auf eine aktuelle schriftliche Anfrage der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. »Eine hausinterne juristische Prüfung hat nicht stattgefunden, da hierzu kein Anlass besteht«, wird als Begründung in der von Senatsbaudirektorin Kahlfeldt unterzeichnen Antwort genannt.

»Es geht darum, Vertrauensschaden vom Land Berlin abzuwenden«, sagte Bausenator Gaebler im Juni, nachdem seine Verwaltung die Zuständigkeit für das südliche Baufeld an sich gezogen hatte. »Angesichts des langjährigen Planungsprozesses nimmt die Wahrnehmung des Landes Berlin als verlässliche Vertragspartnerin deutlich ab.«

Eher wortkarg reagiert die Senatsbauverwaltung auf eine Anfrage von »nd« zum weiteren Vorgehen. »Eine Entscheidung zur möglichen Übernahme des Bebauungsplanverfahrens VI-140caa ›Urbane Mitte Nord‹ liegt noch nicht vor«, lautet die Antwort.

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