Schienennetz der Bahn: Drei Hundertstel Hoffnung

Zustand des Bahnnetzes erstmals seit Jahrzehnten nicht verschlechtert

Für den Zustand des Schienennetzes vergibt die Bahn die Note 3.
Für den Zustand des Schienennetzes vergibt die Bahn die Note 3.

Enthusiasmus klingt anders. »Wir haben es geschafft, dieses Jahr den Zustand, ich sage es mal konstant zu halten, einen Hauch verbessert.« So leitet Philipp Nagl die Pressekonferenz zur Vorstellung des Zustandsberichts 2024 für Bahnhöfe und Eisenbahnnetz ein. Von 3,03 auf die glatte Note 3 hat sich demnach im Vorjahr im Vergleich zu 2023 der Zustand des Schienennetzes verbessert. Bei den Bahnhöfen ging es von 3,09 hoch auf 3,03.

Und trotzdem ist das laut den Worten des Vorstandsvorsitzenden der Infrastrukturtochter DB Infrago ein großer Schritt. »Erstmals seit rund zwei Jahrzehnten konnten wir den Trend stoppen, dass sich der Zustand der Infrastruktur weiter verschlechtert«, so Nagl.

Rund 380 000 Infrastrukturanlagen wurden für diesen Bericht nach der Schulnotenlogik bewertet. Dabei gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Bereichen. Während sich der Zustand des reinen Gleisnetzes im Mittel auf die Note 2,91 zu 3,08 im Vorjahresvergleich spürbar verbessert hat, ging es bei Stellwerken von der schon schlechten Note 4,02 im Jahr 2023 weiter bergab auf eine 4,12.

Über 19,6 Milliarden Euro hat DB Infrago in Netz und Bahnhöfe investiert, um unter anderem rund 2000 Kilometer Gleise, 1800 Weichen und 120 Brücken sowie 3500 Stelleinheiten der Leit- und Sicherungstechnik zu erneuern. Der Rekord-Finanzaufwand kann laut Erwartung des DB-Konzerns im laufenden Jahr ungefähr gehalten werden.

»Erstmals seit rund zwei Jahrzehnten konnten wir den Trend stoppen, dass sich der Zustand der Infrastruktur weiter verschlechtert.«

Philipp Nagl Chef DB Infrago

Doch für das gleiche Geld gibt es immer weniger Neubau. Denn viel schneller als die Bauleistung steigen vor allem die Baupreise. Auf fast 110 Milliarden Euro beziffert DB Infrago den Erneuerungsbedarf – fast 18 Milliarden Euro mehr als noch 2023. Verantwortlich dafür seien »Preiseffekte«, heißt es recht lapidar auf Nagls Vortragsfolie bei der Pressekonferenz am Dienstag im DB-Tower am Potsdamer Platz. Während also Bahnprojekte sich innerhalb eines Jahres um fast 20 Prozent verteuerten, weist das Statistische Bundesamt im gleichen Zeitraum im Straßenbau eine Preissteigerung von nur 4,6 Prozent aus.

So funktioniere eben ein Markt, sagt Nagl. Erst mal stiegen die Preise, dann die Kapazitäten. »Dass wir 2000 Weichen dieses Jahr einbauen können, war mühevolle Arbeit mit den drei Weichenherstellern«, nennt Nagl ein Beispiel. Bisher habe die Bahn rund 1200 Weichen pro Jahr abgenommen. »Jetzt haben wir mit denen das aufgearbeitet, und wir sind jetzt auch so, dass wir da auch preislich schon ziemlich gut unterwegs sind«, berichtet der Vorstandschef.

»Nicht gut« sei es in den letzten Jahren gewesen, dass die Finanzierung der Infrastruktur Jahr für Jahr von den Haushaltsbeschlüssen des Bundestags abhängig war. Er hofft, dass dies durch das beschlossene Sondervermögen aufgelöst werde. »Die Unsicherheit ist schlecht für die Eisenbahn, weil sie einfach nur Unsicherheitskosten mit sich bringt«, sagt Nagl.

Weit von einem Durchbruch entfernt ist die Bahn bei ihrer komplett überalterten Leit- und Sicherheitstechnik. Jedes zweite der rund 4000 Stellwerke ist erneuerungsbedürftig, manche sind über 100 Jahre alt. 200 sollen bis 2027 erneuert werden. Das sei »zu wenig«, aber mehr sei wegen der Industriekapazitäten »nicht realistisch«, so Nagl. Man müsse für »vernünftige Verhältnisse« auf 100 Stellwerke pro Jahr kommen.

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Zufrieden zeigt sich Philipp Nagl mit den Ergebnissen der sogenannten Generalsanierung der Riedbahn zwischen Frankfurt am Main und Mannheim. Mit den umfassenden Arbeiten innerhalb der fünfmonatigen Sperrpause konnte die Zustandsnote für Gleise, Weichen, Stellwerke und Bahnübergänge von 4,2 auf 1,52 verbessert werden. Die noch ausstehende Inbetriebnahme der neuen Signaltechnik ETCS sorge allerdings noch beim Fernverkehr für Verspätungen.

Im August beginnt mit der Fernstrecke Berlin–Hamburg die größte Generalsanierung. Für neun Monate wird die Strecke gesperrt sein. Mit fast 280 Kilometern Länge eine viermal längere Strecke als die Riedbahn. Die Kosten galoppieren. Im Frühjahr 2024 lag die Schätzung noch bei 1,7 Milliarden Euro, daraus wurden im Laufe des Jahres 2,2 Milliarden Euro mit Risikopuffer. Inzwischen gilt diese Summe als der Mindestpreis.

Dabei ist das Bauprogramm deutlich abgespeckt worden. Die zeitgemäße Signaltechnik ETCS wird nur in Bereichen um Berlin und Hamburg eingeführt. Die ursprünglich geplante Doppelausrüstung mit ETCS zusätzlich zum klassischen PZB-System sei »nicht leistbar«, sagt Nagl. Man habe sich dafür entschieden, die Stellwerke zwar schon weitgehend zu erneuern, aber noch die alte Signaltechnik drinnen zu lassen und in fünf Jahren auf reine ETCS-Ausrüstung umzustellen. »Das ist in Summe billiger«, so Nagl.

Ziel, »ohne übermütig zu werden«, müsse eine Zustandsnote zwischen 2,5 oder 2,6 im Gesamnetz für »einen guten Infrastrukturzustand« sein. 14 Jahre würde das dauern, diesen Bereich zu erreichen, wenn es bei der im Vorjahr erreichten jährlichen Verbesserung bleibt. Bleibt zu hoffen, dass die Politik nicht zwischenzeitlich das Interesse verliert.

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