- Kultur
- 20 Jahre Germany’s NExt Topmodel
»Money, Baby, Money«
Die 20. Staffel »Germany’s Next Topmodel« mag diverser sein als 2006. Aber noch immer beutet Heidi Klum menschliche Körper kapitalistisch aus
Drama, Baby, Drama!» Besser als mit diesem Entertainment-Dreiklang, der nicht zufällig an Donald Trumps «Drill, Baby, Drill» erinnert, konnte Bruce Darnell im Sommermärchenjahr 2006 kaum ausdrücken, worum es bei «Germany’s Next Topmodel» geht. Genauer: nicht geht. Deutschlands nächstes Spitzenmodel nämlich. Als Heidi Klum einst 32 Frauen auf dem Präsentierteller von Pro Sieben drapierte, wurden die «Mädels», wie die Frauen von der Bergisch-Gladbacher Zuchtzofe nur genannt wurden, nicht für den Laufsteg gedrillt. Nein, vier Jahre nach der Premiere von «DSDS» fütterte «GNTM» die Selbstvermarktungsindustrie nun fleißig mit «Frischfleisch».
Ein anschwellendes Multimillionengeschäft, das Rookies am Fließband ins Blitzlichtgewitter zerrt, um dort zu Trägern optischer (Sixpack, Titten, Halstattoos) und habitueller (zicken, heulen, Exhibitionismus) Attribute degradiert zu werden. Wenn nächste Woche die 20. Staffel startet, steigen also erneut drei Dutzend attraktiver Fassaden in den Ring eines angeblichen Wettbewerbs graziler Bewegungen. Doch wie in den 19 Runden zuvor dürfte kaum eine Handvoll davon Wikipedia-Einträge haben, die auch 2027 noch ergänzt werden – es sei denn, sie handeln von den Promirampen der Realitybranche, auf denen viele Finalistinnen ab März wohl landen.
Doch wie in den 19 Runden zuvor dürfte kaum eine Handvoll davon Wikipedia-Einträge haben, die auch 2027 noch ergänzt werden.
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Für Sender und Zugpferd ist das noch lange kein Grund, gleich reflexiv, gar selbstkritisch zu werden. Vor dem Neustart seiner Jubiläumsausgabe bejubelt Pro Sieben lieber «20 Jahre glamouröse Fotoshootings, Catwalks und Challenges» einer Show, die im Vergleich zu 2006 zwar nur noch halb so hohe Quoten, aber doppelt so viele Sendungen hat. Denn nachdem die Hälfte der 40 Kandidaten 2024 schon Männer waren, wird das Format geteilt. Oder in Heidis Worten – man kann sie sich nur gekreischt vorstellen: «Da all diese tollen Persönlichkeiten nicht in einen einzigen Donnerstagabend passen, gibt es jetzt sechs Wochen lang dienstags nur Boys!»
Klingt vielfältig, modern, gerechter, fast emanzipiert. Und in der Tat darf man Klums Imperium vom marktwirtschaftlichen Missbrauch Minderjähriger über Bodyshaming, Sadismus, Misogynie bis hin zur Menschenverachtung viel vorwerfen, aber nicht mangelnde Diversität. Nicht mehr. Waren Heidis Mädchen zunächst strahlend weiße, gertenschlanke, wohlgefällige Germaninnen mit Namen von A wie Anna bis O wie Ortmann, die sich obendrein bis zur 14. Staffel vor rein männlichen Jurys räkelten, wurde das Personal seither radikal diversifiziert.
Bereits die dritte Siegerin Sara Nuru hat wie der erste Juror Bruce Darnell zwar dunkle Haut. Doch es dauerte bis zur 13. Staffel, bis #MeToo nachhaltiges Licht ins Dunkel der frauenfeindlichen Perfektionierungsmechanik brachte. Seither gab es nicht nur fülligere, kleinere, reifere Kandidatinnen; kurz vor Corona gewann 2021 auch eine Transperson, bevor drei Jahre später die Geschlechtergrenze komplett fiel. Bei der Verleihung des Bayerischen Fernsehpreises in München gab Heidi Klum bald darauf ebenso zerknirscht wie glaubhaft ihren Wunsch zu Protokoll, «ich hätte mich mit der Sendung schon früher verändert».
Was einsichtig klang, widersprach allerdings dem Mindset eines Alphatiers im Raubtierrudel Showbiz, das Frauen nur mit maskulinem Habitus überleben. Aufrichtigkeit gehört offenbar nicht dazu. Als Klum im selben Kontext betonte, GNTM sei «eine Reality-Sendung» ohne «Text» und «Storylines», sollte das gegenteilige Klagen diverser Teilnehmerinnen dies entkräften. Allen voran eine 2022er-Finalistin, die der Show «Manipulation», sogar «psychische Gewalt» vorwarf. Pro Sieben reagierte prompt – und klagte auf Bruch des Vertragsgeheimnisses.
Dass Lijana Kaggwa in wesentlichen Punkten recht bekam, scheint hingegen Recherchen des Reportagemagazins STRG F oder des Youtubers Rezo zu bestätigen, die Klum gescripteten Machtmissbrauch vorwerfen. Quasi Harvey Weinstein ohne Penetration. Man muss also keine «sechs Sorten Scheiße aus ihr herausprügeln» wollen, wie Roger Willemsen zum Start der vierten Staffel 2009 schrieb, um «Germany’s Next Topmodel by Heidi Klum» trotz aller Diversitätsoffensiven zu kritisieren. Es genügt bereits ein Schlaglicht auf patriarchale Herrschaftsverhältnisse im Dienst bedingungsloser Profitmaximierung. Denn die werden nicht dadurch besser, dass ausnahmsweise mal eine Frau an deren Spitze thront.
Inhaltlich mag Bruce Darnells geflügeltes Wort vom «Drama, Baby, Drama» die Dauerwerbesendung für Produkte des alltäglichen Überflusses also gut umschreiben. Im Kern aber geht es Klum, ironischerweise selbst das präsentabelste Produkt eines sexistischen RTL-Castings von Kniefummler Thomas Gottschalk, um «Money, Baby, Money». Dieses Jahr mit der eigenen Tochter Leni als Jurorin. Donald Trump wäre stolz auf Heidis Unterhaltungsdynastie.
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