Willkommensbündnis in Abschiedsstimmung

Drohendes Aus der Förderung: Ehrenamtlicher Integrationsverein in Dresden-Johannstadt steht vor ungewisser Zukunft

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 8 Min.
Die Sommerfeste von »Willkommen in Johannstadt« haben Tradition. Ob es auch 2025 eines gibt, ist angesichts ausbleibender Förderung ungewiss.
Die Sommerfeste von »Willkommen in Johannstadt« haben Tradition. Ob es auch 2025 eines gibt, ist angesichts ausbleibender Förderung ungewiss.

Das »Wartezimmer« ist voll, als Birgit Roth eintrifft. Ein Dutzend Menschen sitzen in dem Eckladen im Dresdner Stadtteil Johannstadt auf Sofas, Stühlen und Fensterbänken. Etliche halten Mappen und Umschläge in der Hand, in denen Lebensläufe und Bewerbungen, Mietverträge oder Schreiben von der Arbeitsagentur stecken. Behördenpost ist schon für Muttersprachler schwer zu verstehen. Für die Menschen, die an diesem Abend zur Formular-Sprechstunde des Vereins »Willkommen in Johannstadt« gekommen sind, ist sie noch viel unverständlicher. Sie stammen aus Afghanistan, der Ukraine oder Syrien und sprechen oft erst unvollkommen Deutsch. Die Freiwilligen des Vereins unterstützen sie: »Wir übersetzen aus dem Amtsdeutsch«, sagt Birgit Roth lachend, bevor sie mit einer Frau mit Kopftuch und zwei jungen Männern in einem der drei Beratungszimmer verschwindet.

»Willkommen in Johannstadt« hilft Migranten im Stadtteil nicht nur beim Ausfüllen von Formularen. Im Jahresbericht für die anstehende Mitgliederversammlung, den Vorstandsmitglied Hans Teuchert vor sich auf den Tisch legt, ist auch von wöchentlichen Sprachtreffs die Rede und von Computerkursen, von einem Patenschaftsprogramm, das Einheimische und Migranten zusammenbringt, einem Werkzeugverleih und vielen geselligen Anlässen: Filmabende, eine Fotoausstellung, eine regelmäßige Gesprächsrunde namens »Samowar« und das Sommerfest. »Da hatten wir über 100 Gäste«, sagt Teuchert: »Das hat schon eine lange Tradition.«

Wie lange diese noch fortgesetzt und wie lange etwa die Hilfe beim Ausfüllen von Formularen noch angeboten werden kann, ist derzeit unklar. Der Verein ist für seine Arbeit auf Fördermittel angewiesen. Zuletzt wurde damit eine Mitarbeiterin bezahlt, die die umfangreichen Angebote koordiniert und die einzige Angestellte des Vereins ist. Außerdem müssen Miete, Heizung und Strom für das Vereinsdomizil bezahlt werden. Vergangenes Jahr gab es dafür 51 000 Euro aus zwei Fördertöpfen des Landes, des Bundes und der Landeshauptstadt Dresden. Für das laufende Jahr hat der Verein 56 000 Euro beantragt, bewilligt ist aber auch Anfang Februar noch nichts. »Wir leben vom Eingemachten und von Spenden«, sagt Teuchert. Weil der Verein gut gewirtschaftet und etwa auch das Preisgeld des 2018 erhaltenen Integrationspreises der Stadt Dresden zum Teil auf die hohe Kante gelegt hat, hoffe man, eine Durststrecke überstehen zu können, erklärt er: »Spätestens Mitte des Jahres aber müssen wir entscheiden, ob wir unsere Arbeit fortsetzen können.«

Vor einer ähnlich ungewissen Zukunft stehen derzeit viele Vereine und Initiativen in ganz Sachsen, die in Bereichen wie Jugendhilfe, Demokratieförderung, Erinnerungspolitik oder Kultur tätig sind. Ein Hauptgrund: Der Freistaat hat wegen der Landtagswahl im September und der anschließenden zähen Regierungsbildung keinen beschlossenen Haushalt für 2025. Er befindet sich in der vorläufigen Haushaltsführung, während der vor allem für sogenannte freiwillige Aufgaben allenfalls ein Bruchteil der Fördermittel ausgezahlt wird. Besserung steht frühestens im Juni in Aussicht. Bis dahin will die Minderheitsregierung aus CDU und SPD einen Etat ausgehandelt und mit der Opposition im Landtag abgestimmt haben, damit sie die zehn zur Mehrheit fehlenden Stimmen erhält. Beobachter halten es nicht für ausgemacht, dass das gelingt. Für die Zivilgesellschaft hat das schon jetzt dramatische Folgen: »Es gibt große Unsicherheit, und es müssen schon Mitarbeiter gekündigt und Angebote reduziert oder eingestellt werden«, sagt Benjamin Winkler von der Amadeu-Antonio-Stiftung, der auch einer der Sprecher des 150 Mitglieder zählenden Netzwerks »Tolerantes Sachsen« ist.

Auch im Bund fehlt bislang ein beschlossener Etat für 2025, faktisch gibt es von dort derzeit keine Zusagen für Fördermittel. In der Stadt Dresden wiederum ist die Haushaltslage derart angespannt, dass der Stadtrat sich derzeit mit einer von Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) vorgelegten »Liste der Grausamkeiten« befassen muss, die drastische Einschnitte beim öffentlichen Nahverkehr, bei renommierten Kultureinrichtungen, aber auch in vielen anderen Bereichen vorsieht, darunter dem »Lokalen Handlungsprogramm für ein vielfältiges und weltoffenes Dresden« (LHP).

Für den Verein »Willkommen in Johannstadt« und ähnliche Initiativen anderswo in der Stadt hat das fatale Folgen. Das LHP war bisher eine ihrer Finanzierungsquellen. Der entsprechende Antrag wurde aber vom Dresdner Sozialamt abgelehnt, unter Verweis auf die fehlende Haushaltssatzung der Stadt und die Probleme im Bund, der Gelder aus dem Programm »Demokratie leben« zuschießt. Womöglich, bekam der Verein mitgeteilt, werde es ein neues Antragsverfahren geben: »Die Höhe ist offen. Wir werden informiert«, schreibt die Schatzmeisterin. Gleiches gilt für das Programm »Integrative Maßnahmen« des sächsischen Sozialministeriums. Damit habe man seit der »Krise« der Jahre 2015/16 mit der damals starken Zuwanderung »den sozialen Frieden und gesellschaftlichen Zusammenhalt gewahrt«, sagte SPD-Ressortchefin Petra Köpping, als im Sommer 2023 eine Prüfung des Sächsischen Rechnungshofs gravierende Mängel bei der Umsetzung des Programms offenlegte. Dieses steht seither unter erheblichem politischen Druck. Wie und unter welchen Voraussetzungen die Förderung fortgesetzt wird, ist unklar.

Ausbaden müssen die vielfältigen Probleme Vereine wie »Willkommen in Johannstadt« – obwohl gerade sie eine nicht zu unterschätzende Rolle bei der Integration zugewanderter Menschen spielen. Deren Anteil ist in dem elbnahen Stadtteil südlich der Altstadt, in dem viele Plattenbauten stehen und die Mieten noch moderat sind, überdurchschnittlich hoch. Schon 2020, als insgesamt noch 13 Prozent der Dresdner einen Migrationshintergrund hatten, waren es in Johannstadt mehr als 20 Prozent. Mittlerweile ist der Anteil für die Stadt insgesamt auf 16,9 Prozent gestiegen. Die größte Gruppe unter den knapp 97 000 Migranten stellen Russen, gefolgt von Syrern, Polen, Chinesen und Ukrainern. Die Zahl der Asylbewerber lag zuletzt mit weniger als 1000 so niedrig wie seit Jahren nicht.

Die Johannstädter Initiative hilft Zuzüglern ganz unabhängig davon, ob sie zum Arbeiten oder Studieren in die Stadt gekommen sind, als Kriegsflüchtlinge oder um Asyl zu beantragen. Gegründet habe sie sich 2015, als besonders viele Zuwanderer nach Deutschland kamen, erinnert sich Birgit Roth: »Damals trafen sich einige Engagierte in einer Schule und besprachen, wie sie helfen könnten.« Sie selbst habe »die Not gesehen, und ich hatte Zeit«, sagt sie. Sie begann Aktivitäten wie die ersten Sprachkurse zu organisieren, die an wechselnden Orten stattfanden, etwa einer Bibliothek oder dem Gemeinderaum einer Kirche. »Es ist aber schwierig, Angebote zu organisieren, wenn man nicht einmal ein festes Domizil hat.«

Das gibt es mittlerweile mit dem Eckladen, der in einem der wenigen verbliebenen Gründerzeithäuser im Viertel untergebracht ist, vorher eine Töpferei beherbergte und in Eigenleistung hergerichtet wurde: »Wir haben viel Kraft, Zeit und Geld in die Räume gesteckt«, sagt Roth. Auch alle anderen Angebote wären undenkbar ohne erhebliches freiwilliges Engagement. Allein während der Formular-Sprechstunde sitzen vier Ehrenamtler an den Beratungstischen. Auch Hans Teuchert, der die Computerkurse abhält, macht das unentgeltlich in seiner Freizeit. Er sei erst 2022 nach Dresden gekommen, »als Wirtschaftsflüchtling aus Bayern«, wie er sagt, und wollte sich in der Integrationsarbeit engagieren: »Ich habe selbst lange im Ausland gelebt und weiß, wie wichtig es ist, dass einem jemand hilft und einen versteht.«

Die Stadt war für derlei bürgerschaftliches Engagement dankbar. Das Willkommensbündnis unterstütze Neuankömmlinge und Migranten, die schon lange im Stadtteil lebten, »in vorbildlicher Weise«, hieß es bei der Verleihung des Integrationspreises 2018. Das Netzwerk arbeite »höchst professionell«, und seine Aktivitäten strahlten »auf ganz Dresden aus«. Die Jury hob besonders die »hohe Qualität und Professionalität dieses ehrenamtlichen Netzwerks« hervor.

Sieben Jahre später fühlen sich die einst Geehrten allerdings von der Stadt allein gelassen. Wegen der nicht geklärten Finanzierung hat der Verein der Koordinatorin bereits schweren Herzens kündigen müssen; sie ist nur noch bis Ende März tätig. Die Frage, wie es mit dem Vereinsdomizil weitergehen soll, wenn die Förderung ausbleibt, treibt die Mitglieder ebenfalls um. »Man kann von Menschen, die sich so umfangreich engagieren, ja nicht noch verlangen, dass sie auch die Miete aufbringen«, sagt Teuchert. Bisher habe er die Hoffnung nicht aufgegeben, dass es eine Förderung gibt. Anderenfalls müsse im Juni die Reißleine gezogen werden: »Aus so einem Mietvertrag kommt man ja auch nicht von heute auf morgen raus.«

Für die langjährig Engagierten wäre das bitter, aus politischer Sicht grotesk, sagt der Sächsische Flüchtlingsrat. In der Gesellschaft gewinnen derzeit »rechte Narrative an Stärke, die behaupten, Geflüchtete seien ›nicht integrationswillig‹«, sagt Sprecher Dave Schmidtke: »Gleichzeitig werden die notwendigen Strukturen für das Ankommen abgebaut. Das ist ein gefährlicher Teufelskreis.« Der Flüchtlingsrat fordert die Dresdner Stadtpolitik auf, alternative Finanzierungsmodelle zu prüfen und Willkommensbündnisse wie in Johannstadt oder im Stadtteil Löbtau »in ihrer wichtigen Arbeit zu stärken«. Ohne diese Strukturen, sagt Schmidtke, »steht nicht nur die Integration Geflüchteter, sondern auch der gesellschaftliche Zusammenhalt insgesamt auf dem Spiel.« Auch Benjamin Winkler vom Netzwerk »Tolerantes Sachsen« sieht in der ausbleibenden Förderung ein fatales politisches Signal: »Das spielt den Kräften in die Hände, die solche Angebote ohnehin aktiv bekämpfen.«

Noch ist der Verein in Johannstadt aktiv. Noch gibt es wöchentlich eine Formularsprechstunde, dazu regelmäßig Sprach- und Computerkurse. Im Sommer könnte man eigentlich Geburtstag feiern: Dann sind es zehn Jahre, seit »Willkommen in Johannstadt« gegründet wurde. Ob es aber ein entsprechendes Fest geben wird, steht in den Sternen. »Wir haben kein Geld«, sagt Birgit Roth: »Wie sollen wir denn da planen?!«

»Man kann von Menschen, die sich so umfangreich engagieren, ja nicht noch verlangen, dass sie auch die Miete aufbringen.«

Hans Teuchert Willkommen in Johannstadt
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