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Einseitige Berichterstattung über Muslime dient den Islamisten
Als Leiterin der Jungen Islam-Konferenz kämpft Asmaa Soliman gegen antimuslimischen Rassismus
Am 23. Februar findet die Bundestagswahl statt. Viele junge Muslim*innen in Deutschland sehen sich kaum in den Parteien repräsentiert. Wie nehmen Sie die Stimmung in der Community wahr?
Es gibt viele Bemühungen in der Community, Muslim*innen zu ermutigen, wählen zu gehen – insbesondere auch, um dem Rechtsextremismus entgegenzuwirken. Das Bewusstsein für die Relevanz der Wahlen ist insgesamt stark und das ist auch gut so. Bestimmt hat jede Partei einige Dinge, die dem einen oder der anderen nicht gefallen, aber trotzdem können sich viele Muslim*innen mit unterschiedlichen Parteien identifizieren und wählen diese auch. Sie sollten sich genau deswegen auch noch stärker politisch engagieren, um etwas gegen die fehlende Repräsentanz zu tun. Zugleich braucht es dafür aber auch eine deutlichere Offenheit der Parteien gegenüber Muslim*innen. Wir fordern einen ernstgemeinten Einsatz für Muslim*innen, der sich in politischen Maßnahmen widerspiegelt.
Inwiefern?
Wir beobachten Frustration bei jungen Muslim*innen darüber, dass bei vielen Parteien weiterhin eine klare Haltung gegenüber Rassismus, eine Versachlichung der Debatten um den Islam sowie die Einbeziehung ihrer Perspektiven fehlt. Ich schätze aber, dass die Wahlbeteiligung hierdurch nicht verringert wird. Im Gegenteil – es führt zu mehr Engagement, um den Status quo zu ändern.
Asmaa Soliman ist Sozialwissenschaftlerin und politische Bildnerin. Seit Anfang 2020 ist sie Leiterin des Programms Young Postmigrant Alliances und der Jungen Islam-Konferenz bei der Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa.
Die rechtsextreme AfD könnte zweitstärkste Kraft werden – wie stark beunruhigt das die Community?
Natürlich beunruhigt das die Community sehr. Man macht sich starke Sorgen und hofft weiterhin, dass dieses Szenario nicht Realität wird. Falls doch, denke ich, wird sich sehr viel verändern, auch der Wille von Muslim*innen und allgemein Menschen mit Migrationsgeschichte, weiterhin in Deutschland zu bleiben. Denn ich höre von sehr vielen, dass sie mit dem Gedanken spielen, auszuwandern, quasi eine selbstbestimmte Ausreise.
Die Junge Islam-Konferenz schmiedet eine Allianz gegen Rechtsextremismus. Warum ist das notwendig?
Für uns als Junge Islam-Konferenz ist der Aufbau einer Allianz gegen Rechtsextremismus integraler Bestandteil unserer Arbeit. Unsere Ziele sind die Sicherstellung der gleichberechtigten Teilhabe von Muslim*innen und der Kampf gegen antimuslimischen Rassismus. Das sind dabei aber nicht nur unsere, sondern gesamtgesellschaftliche Aufgaben.
Wie sieht diese Allianz konkret aus?
Wir wollen Muslim*innen und Nicht-Muslim*innen erreichen. Junge Menschen beteiligen sich beispielsweise an unserer Kampagne #unboxstories. Hier geht es um positive Geschichten eines inklusiven und rassismuskritischen Europas, wobei das, was uns verbindet, in den Vordergrund gerückt wird. Die Kampagne ist von Muslim*innen und Nicht-Muslim*innen gemeinsam entwickelt, wird in die breite Gesellschaft kommuniziert und setzt sich für ein inklusives Europa ein. Die Allianzen entstehen somit bei unseren Plattformen und sollen dann auch darüber hinaus weiterhin erhalten bleiben.
Welche Gruppen von jungen Muslim*innen konnten Sie bislang am besten erreichen?
Wir erreichen mit unserer Arbeit viele Muslim*innen – insbesondere jene, die sich politisch engagieren und sich mit anderen Gleichgesinnten zusammenschließen möchten. »Haltung statt Herkunft« ist unser Motto und das reflektiert auch ganz gut unsere Teilnehmer*innenschaft. Viele beschreiben die Junge Islam-Konferenz als einen Vermittlungsort zwischen muslimisch geprägten und weiß geprägten Jugendgruppen. Das ist etwas Besonderes, das uns auch ausmacht.
Was ist, wenn man muslimisch sozialisiert, aber gar nicht gläubig ist?
Bei uns braucht sich niemand Sorgen machen, ob er oder sie religiös ist oder nicht. Es geht bei uns nicht primär um konfessionelle Zugehörigkeiten oder um religiöse Inhalte. Gleichzeitig muss sich auch niemand für seine oder ihre muslimische Identität rechtfertigen oder diskriminierende Erfahrungen machen. Wir wertschätzen die Komplexität und Vielschichtigkeit der Identitäten und stellen sie nicht infrage. Bei uns bieten wir auch Räume insbesondere für mehrfach marginalisierte Jugendliche an, wie zum Beispiel für feministische und queere Muslim*innen.
Wenn es um Muslim*innen oder um die Rolle des Islam geht, werden die Debatten hierzulande oft schnell toxisch. Wie können Diskussionen sachlich und konstruktiv geführt werden?
Wir müssen uns von Scheindebatten lösen, wie zum Beispiel, ob der Islam zu Deutschland gehöre oder nicht. Die bringen uns nicht weiter und spalten die Gesellschaft. Wir müssen uns stattdessen auf die Frage fokussieren: Wie können wir im Sinne der Demokratie, der Freiheit und des Respekts dem Islam und Muslim*innen einen gleichberechtigten Platz in der Gesellschaft ermöglichen? Dafür ist es wichtig, dass die Politik im Austausch mit muslimischen Communitys ist, ihre Lebensrealitäten versteht, und ihre Bedürfnisse, Sorgen und Ängste ernst nimmt.
Es wird kritisiert, die deutsche Berichterstattung sei oft einseitig bis muslimfeindlich. Manche Islamwissenschaftler*innen sprechen davon, dass solche Berichterstattung faktisch dem Islamismus dient. Wie sehen Sie das?
So ist das leider. Deshalb haben wir auch als Junge Islam-Konferenz die Medienakademie ins Leben gerufen, um das zu verhindern und junge Muslim*innen zu befähigen, selbst an Debatten teilzunehmen, damit nicht nur über sie gesprochen wird. Und ja, die muslimfeindliche Berichterstattung dient dem Extremismus auf allen Seiten – sowohl dem Islamismus als auch dem Rechtsextremismus.
Beide haben in vielerlei Hinsicht ähnliche Weltbilder.
Beide Ideologien berufen sich auf einen Wir-ihr-Gegensatz und konstruieren die »Anderen« als abweichend und nicht zugehörig. Sie würden sich von der vermeintlichen Norm der »Wir«-Gruppe unterscheiden und müssten deswegen abgegrenzt werden. Die Rechtsextremisten nutzen dies, um Hass gegenüber Muslim*innen zu schüren und zu behaupten, Muslim*innen gehören nicht zu Deutschen. Die Islamist*innen nutzen das Narrativ, um zu sagen: Schaut, sie hassen euch doch sowieso, ihr gehört nicht dazu, deswegen müsst ihr uns folgen.
Von der deutschen Mehrheitsgesellschaft wird dabei oft ignoriert, dass vor allem Muslim*innen im Visier der Islamisten stehen.
Islamismus ist auf jeden Fall ein wichtiges Thema. Muslim*innen sehen sich dabei immer drei Herausforderungen gleichzeitig gegenüber: Zum einen haben sie Angst, selbst Opfer von islamistischen Angriffen zu sein. Zweitens spüren sie stärkeren antimuslimischen Rassismus nach islamistischen Anschlägen. Drittens können sie auch Zielscheibe von islamistischen Predigern sein, die versuchen, sie für ihre Ideologie zu gewinnen.
Welche Rolle können die Moscheegemeinden hierbei spielen?
Moscheegemeinden müssen aktiver dabei sein, Alternativen zu islamistischen Narrativen und Predigern zu bieten. Insbesondere die Jugendprogramme müssen besser ausgestattet sein und Vorbilder anbieten, die eine muslimisch-deutsche Identität verkörpern. Interpretationen islamischer Texte, die von Islamisten genutzt werden, müssen dekonstruiert werden. All das muss viel mehr passieren.
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