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Konsens der »Mitte«
Alle empören sich über die CDU. Doch das Problem sind längst auch die anderen Parteien, die sich nach rechts ziehen lassen, meint Sarah-Lee Heinrich
Als ich den Fünf-Punkte-Plan von Merz das erste Mal gelesen habe, sprang mir nicht sofort ins Auge, was jetzt die besonders krasse, aus dem Rahmen fallende Forderung sein soll. Mir fiel auf, wie sehr ich mich an die ständigen Asylrechtsverschärfungen gewöhnt habe. Und ich konnte den Unterschied in der Qualität zu dem, was die Regierungsparteien in den letzten Monaten von sich gegeben haben und zum Teil auch beschlossen hatten, nicht erkennen.
Die Brandmauer wäre auf Bundesebene früher oder später gefallen. Jetzt ist sie gefallen. Es wird auf Länderebene so weiter gehen, und ich glaube tatsächlich nicht, dass man darauf groß Einfluss nehmen kann. Das Problem ist nicht das Einreißen der Brandmauer, sondern der gesellschaftliche und parteipolitische Konsens der »Mitte«, dass die Ausländer doch irgendwie an allem schuld sind. Was mir Angst macht, ist nicht das Verhalten der CDU, denn darauf hab ich sowieso keinen Einfluss. Angst macht mir die Ohnmacht, mit der immer wieder an sie appelliert wird, sich gefälligst anders zu verhalten. Als würde das die CDU interessieren. Als wären sie die Einzigen.
Sarah-Lee Heinrich weiß, was Armut bedeutet. Die Ex-Sprecherin der Grünen Jugend ist in einem Hartz-IV-Haushalt aufgewachsen und engagiert sich seit vielen Jahren gegen soziale Ungleichheit. Sie wirbt für klassenbewusste Ökologie und schreibt jeden zweiten Montag im Monat in »nd.Digital« über Alltag und Ampel.
Die Ampel-Regierung, die zu großen Teilen aus Parteien besteht, die sich selbst als »progressiv« und »Mitte links« beschreiben, hat die heftigsten Asylrechtsverschärfungen beschlossen. Sie hat sich darauf eingelassen, die Ärmsten in der Gesellschaft immer weiter zum Sündenbock zu machen. Das Bürgergeld zum Horrorthema stilisiert und den Fortschritt im Vergleich zu Hartz IV fast komplett zurückgedreht. Ganz ehrlich: Wenn ein bis zwei europarechtlich kritische Aspekte aus dem Antrag der Union fliegen, traue ich SPD und Grünen vollkommen zu, dass es am Ende doch noch zu einem gemeinsamen Beschluss der »demokratischen Mitte« vor der Wahl kommt. Das wird dann als großer Erfolg gefeiert, denn dann waren’s wenigstens die Demokraten, die das Asylrecht weiter schleifen.
Und auch diejenigen, die das mit Bauchschmerzen mittragen, werden sagen, dass es nicht anders geht. »Ja, aber die Menschen wollen das doch«, »ja, aber es gibt keine anderen Mehrheiten«. Aber was tut ihr dafür, dass sich diese Mehrheiten ändern?
Als ich mich in meiner Instagram-Story über die Doppelmoral von Grünen, SPD und Demokratie-Lichtermeer-Demos aufgeregt habe, wurde mir vorgeworfen, dass ich zynisch sei und die falschen demobilisiere.
Wenn ihr erwartet, etwas wird besser, wenn ihr SPD und Grüne wählt – sorry, das sehe ich nicht.
Ich teile meine Einschätzung ja nicht, um schlechte Laune zu verbreiten, sondern weil ich keine Lust habe, dass wir uns immer wieder an Fragen aufhängen, auf die wir wenig Einfluss haben, während die Lage immer schlimmer wird. Ich habe das Gefühl, wir hängen in einem Loop fest, in dem seit zwei Jahren immer das Gleiche passiert.
Ich finde es nicht falsch, in dieser gruseligen Lage auf Demos zu gehen, nicht allein sein zu wollen und Gemeinschaft zu spüren. Es kann sein, dass die Mobilisierung jetzt einmalig ein paar Abgeordnete zu einer anderen Entscheidung gedrängt hat. Ich glaube nur, dass das bei den nächsten Malen nicht der Fall ist. Weil das nie so war. Wir sollten uns einfach keine langfristigen Veränderungen davon erwarten.
Wir können uns aus der Misere sowieso nicht rauswählen. Aber wenn ihr erwartet, etwas wird besser, wenn ihr SPD und Grüne wählt – sorry, das sehe ich nicht so. Denn sie haben uns jetzt drei Jahre in der Regierung bewiesen, dass sie vor Mehrheiten, seien sie noch so menschenfeindlich, kapitulieren. Wieso sollte es das nächste Mal anders sein?
Merz wird Teil dieser Regierung sein, weiter gegen unten und außen hetzen und dabei den jeweiligen Koalitionspartner, welcher auch immer es ist, mit nach rechts ziehen. Es wird keine Regierung geben, die aus sich heraus die Ursachen für Verwerfungen, die meiner Meinung nach in der sozialen Frage liegen, angeht. Und in dieser Situation braucht es eine Opposition.
Gesellschaft verändern können wir sowieso nur selbst, indem wir deutlich zu machen versuchen, dass die Konfliktlinie wieder zwischen oben und unten läuft und nicht zwischen innen und außen. Solange wir nicht in der Lage sind, diese Verteilungskonflikte zu führen, bleiben es leere Worte ohne Anziehungskraft. Wir müssen weiter auf soziale Veränderungen hinarbeiten, die die Konkurrenz untereinander verringern. Wir müssen als Linke zu Stärke finden, um eine solidarische Alternative möglich zu machen.
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