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Lehrer in Berlin: Uneinigkeit über Ausbildungszielzahlen
Wissenschaftssenatorin Czyborra will Zielzahlen für Lehrerausbildung absenken
Setzt der Berliner Senat die Zielzahlen für auszubildende Lehrkräfte herab? Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra (SPD) sprach im Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses am Montag von einem »mittelfristigem Bedarf« von 2200 Absolventen im Lehramt. Im Koalitionsvertrag war eigentlich eine Zielzahl von 2500 Absolventen festgeschrieben worden. Die Zahl ergebe sich aus dem von der Bildungssenatsverwaltung gemeldeten Einstellungsbedarf von 1500 bis 1600 Vollzeitäquivalenten. Ein beträchtlicher Teil der Absolventen werde allerdings in Teilzeit arbeiten. »Wir interpolieren daher, dass es 2200 Köpfe sein müssen«, sagte Czyborra.
Staatssekretär Henry Marx (SPD) begründete die neuen Zielzahlen mit demografischen Erwägungen. Demnach erwarte man für die kommenden Jahre einen »prognostizierten Geburtenknick«. Dieser werde sich bei der Zahl der Schüler niederschlagen. Schon in den vergangenen zwei Jahren sei die Zahl der Geburten deutlich gesunken.
Die ebenfalls anwesende Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) nannte dagegen einen deutlich höheren Einstellungsbedarf: Aktuell würden pro Schuljahr 4400 neue Lehrkräfte benötigt. »Diese Zahl steigt bis zum Jahr 2029 und wird auch danach weiter latent ansteigen«, sagte sie. Für das Jahr 2031 rechne sie mit 5300 benötigten Lehrkräften.
Die Diskrepanz zwischen den Zahlen der zwei Senatsverwaltungen erklärte Günther-Wünsch damit, dass die Bildungsverwaltung davon ausgeht, die Hälfte des Lehrkräftebedarfs mit »nicht grundständig qualifizierten Lehrkräften« abzudecken. Gemeint sind damit Seiten- und Quereinsteiger. Auch dann bleibt allerdings eine erhebliche Differenz zwischen den Angaben der zwei Senatorinnen, die trotz Nachfragen aus der Opposition auch nicht aufgelöst wurde.
Seiten- und Quereinsteiger machen schon jetzt knapp die Hälfte der neueingestellten Lehrer aus. Das eigentlich als Notlösung gedachte Modell wird nun offenbar verstetigt. Sonderlich zufrieden wirkte Günter-Wünsch damit allerdings nicht: »Auf Dauer wollen wir da eigentlich auch qualifzierte Kollegen«, sagte sie.
Dass die Berliner Hochschulen es schaffen, den gesamten Lehrkräftebedarf abzudecken, wird aber immer unrealistischer. »Wir sehen leider nur noch einen überschaubaren Spielraum, mehr Studierende zu gewinnen«, sagte Eva Terzer, Geschäftsführerin der Dahlem School of Education, die an der Freien Universität viele Aufgaben der Lehrkräftebildung übernimmt. Die Zahl der Abiturienten hat zuletzt abgenommen. Zudem werben die Unis bereits jetzt intensiv für ein Lehramtsstudium – die Luft nach oben wird also knapper. »Die Stellschraube ist eher klein«, so Terzer. Auch Julia von Blumenthal, Präsidentin der Humboldt-Universität, sprach von einer »Konsolidierung auf dem Niveau, das wir 2024 geschafft haben«.
Immerhin machen sich inzwischen die Bemühungen der vergangenen Jahre, die Zahl der Lehramtsabsolventen zu erhöhen, bemerkbar: Im Jahr 2023 hätten 2850 Abiturienten ein Bachelorstudium begonnen, referierte Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra. 2017 waren es nur 2500 gewesen. Noch deutlicher war die Steigerung bei den Abschlüssen: Hatten 2017 nur 690 Studierende ihr Studium mit einem Master abgeschlossen, waren es 2023 schon 1200. Weil nun mehr Studierende im System seien, werde sich diese Zahl noch weiter erhöhen. »Ich denke, wir haben eine gute Chance, dass wir mehr als 2000 Abschlüsse sehen werden«, so Czyborra.
Dafür wollen die Universitäten nun vor allem daran arbeiten, Studierende, die sich schon im Lehramtsstudium befinden, auch zügig zum Abschluss zu führen. Dabei müssen sie aber mit einem Hindernis kämpfen: Studierende können in Berlin aushilfsweise an den Schulen arbeiten. Weil die Schulen deutlich auskömmlicher als andere Arbeitgeber entlohnen, ist das ein ausgesprochen beliebtes Modell, um den Lebensunterhalt zu finanzieren – für nicht wenige schon ab dem ersten Semester. »Im Mittel arbeiten die Studierenden im Umfang von einer halben Stelle an den Schulen«, berichtete Wissenschaftsmanagerin Eva Terzer. Für das eigentliche Studium bleibe da häufig nur wenig Zeit und die Studiendauer verlängere sich.
1200 Lehramtsstudierende schlossen zuletzt ab – gebraucht werden eigentlich mindestens 2500.
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Damit nicht genug, stellt die Berufstätigkeit der Studierenden die Unis auch vor didaktische Herausforderungen. »Die Studierenden sind nicht ausreichend vorbereitet auf den Arbeitsalltag«, sagte Terzer. Mit mangelnden fachlichen Grundlagen und pädagogischen Kenntnissen fühlten sich die Studierenden häufig überfordert. Bei manchen führe das sogar dazu, dass sie ihr Studium abbrechen. »Sie sind sich nicht sicher, ob sie den Beruf überstehen«, so Terzer.
Stephan Breidbach, Fachdidaktiker für Englisch an der Humboldt-Universität, will deshalb, dass die Schulen die lehrenden Studierenden besser integrieren. Aktuell herrsche noch das »Modell Schlüssel in die Hand, Klassenraum auf, mach mal«. Er wünsche sich stattdessen »steigende Eskalationsstufen«: Die Studierenden sollen zunächst unter Anleitung von Fachlehrern Kleingruppen unterrichten, bevor sie alleine vor der Klasse stehen.
Dass budgetäre Überlegungen bei der Festlegung der neuen Zielzahlen eine Rolle gespielt haben, stritt Wissenschaftssenatorin Ina Czyborra ab. »Ich möchte der These widersprechen, dass die Prognosen den Sparzielen angepasst werden«, sagte sie. Aktuell verhandeln die Senatsverwaltung und die Universitäten die Hochschulverträge neu, die die Finanzierung der Unis regeln. 80 bis 100 Millionen Euro werden dort am Ende wahrscheinlich eingespart werden müssen.
Unbemerkt wird das auch an der Lehrkräftebildung nicht vorbeiziehen. »Wenn wir darüber sprechen, dass das Hochschulsystem kleiner wird, dann müssen wir auch darüber reden, wo wir Doppelstrukturen haben«, sagte HU-Präsidentin Julia von Blumenthal. »Es gibt an manchen Stellen zu viele Kapazitäten.« Gemeint seien damit ungenutzte Studienplätze. Hier sei es möglich, dass künftig weniger Studienplätze angeboten würden. Welche Fächer dies genau betreffe, wollte von Blumenthal nicht verraten. »Wenn wir Doppelangebote abbauen würden, dann würde sich das in einem kleinen Bereich bewegen, nicht bei den Kernfächern«, sagte sie.
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