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Von Frieden und Unfrieden: Ein Pazifist im sächsischen Wahlkampf
Gerhard Emil Fuchs-Kittowski, Vorsitzender des Deutschen Friedensrats, kandidiert in Görlitz für Die Linke und sorgt für Kontroversen
Der Kandidat ist mit dem Zug gekommen, wenn auch nicht mit dem ICE. Der soll irgendwann einmal Berlin und Görlitz verbinden; die Strecke soll ausgebaut werden, um nach dem Kohleausstieg in der Lausitz den Strukturwandel zu befördern. Noch aber sei die Reise umständlich, mit Umstieg in Cottbus, »wenn es denn klappt«, sagt Gerhard Emil Fuchs-Kittowski. Diesmal klappte es, und so steht er an diesem Wintermorgen vor einem Görlitzer Betrieb, der bisher Schienenfahrzeuge fertigte, in dem aber jetzt ein Strukturwandel der anderen Art stattfindet. Nach 175 Jahren wird der Görlitzer Waggonbau zur Panzerschmiede. Während drinnen Bundeskanzler Olaf Scholz und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer der Vertragsunterzeichnung durch die Konzerne Alstom und KNDS beiwohnen, warnt Fuchs-Kittowski vor dem Werk vor den Folgen jeglicher Art von Rüstung: »Wenn wir Panzer losschicken, kommen Raketen zurück.«
Fuchs-Kittowski redet bei einer kleinen Kundgebung vor knapp einem Dutzend Zuhörern in doppelter Funktion. Zum einen ist er seit drei Jahren Vorsitzender des Deutschen Friedensrates, eines überparteilichen Vereins, der für Frieden und Völkerverständigung eintritt und ebenfalls eine lange Geschichte hat, wenn auch keine 175-jährige. Sein Vorläufer entstand 1949 in Ost-Berlin; zu frühen Mitgliedern hätten die Schriftsteller Anna Seghers, Johannes R. Becher und Arnold Zweig gehört, erzählt Fuchs-Kittowski. Außerdem spricht er als Bundestagskandidat. Die Linke hat den Parteilosen, der in Brandenburg lebt, im Wahlkreis 153 als Direktkandidat aufgestellt. Bisher ist Tino Chrupalla der örtliche Abgeordnete, der 2017 als damals noch unbekannter Malermeister dem CDU-Mann Kretschmer das Direktmandat abjagte und seither zum AfD-Bundeschef aufstieg. Gegen ihn anzutreten, sei eine »sportliche Herausforderung«, sagt Fuchs-Kittowski.
In der Oberlausitz einen ausgewiesenen Pazifisten ins Rennen zu schicken, wirkt erst einmal wie ein geschickter Schachzug für die Partei. Die Region werde zunehmend militarisiert, sagt Kreischef Mirko Schultze. Nördlich von Görlitz liegt der Truppenübungsplatz Oberlausitz, auf dem erst im Januar wieder 1200 Soldaten »den Ernstfall geprobt« hätten, wie das ARD-Morgenmagazin berichtete. Die Bundeswehr baut ihre Präsenz zudem weiter aus. In Bernsdorf bei Bautzen soll ebenfalls im Zuge des Strukturwandels ein Logistikbataillon mit 700 Soldaten stationiert werden. Über die Autobahn A4 rollen regelmäßig Militärkonvois gen Osten. Und nun also auch noch ein Rüstungsbetrieb in Görlitz: »Das wollen wir nicht«, sagt Schultze.
Nicht nur Die Linke in der Region widersetzt sich. Die AfD hängt im Wahlkreis Plakate, auf denen unter dem Foto eines Feuerballs der Slogan »AfD oder Krieg« steht. Auch das BSW besetzt das Thema. In Sichtweite der Linke-Kundgebung warnt direkt vor dem Werkstor ein BSW-Landtagsabgeordneter, Görlitz könne dank der neuen Panzerschmiede selbst zur militärischen Zielscheibe werden. Fuchs-Kittowski hätte sich zunächst vorstellen können, auch bei dieser Veranstaltung zu sprechen. Zwar hat er nach eigenen Angaben Werbeversuchen des BSW widerstanden, das ihn wie einige seiner Mitstreiter für Kandidaturen habe gewinnen wollen: »Das ist ein nationalistisches Projekt und im Kern nicht mehr links«, begründet er seine Ablehnung. Zugleich aber betont er, er träume von großen Veranstaltungen für den Frieden, »bei denen alle Parteifahnen unten bleiben und nur die Friedenstaube hochgehalten wird«.
Allerdings war abzusehen, dass auf der BSW-Kundgebung in Görlitz auch Vertreter der AfD und des Bündnis Oberlausitz geduldet werden, eines regionalen Ablegers der rechtsextremen Freien Sachsen. Eine ähnliche Veranstaltung im November hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Nun war erneut von einer »großen Querfront-Demo« die Rede. In der Linken gingen alle Warnleuchten an. Es wurde viel telefoniert. Schließlich erklärte Fuchs-Kittowski, es könne »keinen gerechten Frieden mit Faschisten geben«, also könne man nicht an deren Seite für den Frieden kämpfen. Eine Ansprache hielt er nur auf der Kundgebung der Linken.
»Wir haben hier keine Plattform und können unsere Vorstellungen nicht verbreiten.«
Gerhard Emil Fuchs-Kittowski Pazifist
Gerhard Emil Fuchs-Kittowski wurden sowohl der Antifaschismus als auch der Pazifismus quasi in die Wiege gelegt. Sein Urgroßvater Emil Fuchs, ein evangelischer Theologe, engagierte sich ab 1921 als einer der ersten Pfarrer in der SPD und war in der religiösen Gemeinschaft der Quäker aktiv. Für beides wurde er in der NS-Zeit drangsaliert. Später wirkte er als Theologieprofessor an der Uni Leipzig darauf hin, dass Menschen, die den Dienst an der Waffe verweigerten, in der Nationalen Volksarmee der DDR als Bausoldaten dienen durften. Der Urgroßvater sei ein wichtiges Vorbild, sagt Fuchs-Kittowski: »Ich bin stolz, dass ich seinen Namen trage.« Auch weitere Familienmitglieder waren im NS-Widerstand aktiv. Sein Großonkel Klaus Fuchs war als Physiker an der Atombombenentwicklung in den USA beteiligt, arbeitete aber gleichzeitig als Spion für die Sowjetunion. Er wurde enttarnt, 1950 zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt, aber 1959 in die DDR entlassen, wo er später dem Zentralkomitee der SED angehörte.
Fuchs-Kittowski entstammt einer illustren Familie; auch sein Vater und sein Bruder, die beide Informatiker sind, haben eigene Einträge bei Wikipedia. Er selbst habe in der DDR ein Medizinstudium begonnen, sei aber wegen »bürgerlich-rudimentärer Ansichten« exmatrikuliert worden. Nach dem Ende der DDR, das er als 27-Jähriger erlebte, studierte er Volkswirtschaftslehre, begann aber bald, sich beruflich mit der Restitution von jüdischem Vermögen zu beschäftigen. Parallel engagierte er sich in der Friedensarbeit, seit einigen Jahren auch als Mitglied und ab 2021 als Vorsitzender des Friedensrates.
Spätestens seit dem 24. Februar 2022 ist das ein schwieriges Amt. Der Überfall Russlands auf die Ukraine hat in der Friedensbewegung viele alte Gewissheiten erschüttert und Menschen getrennt, die zuvor Verbündete waren, bei denen sich jetzt aber zeige, dass sie »ganz unterschiedliche Sozialisierungen« hätten und deshalb völlig verschiedene Sichten auf den Krieg, sagt ein Mitstreiter Fuchs-Kittowskis, der ihn bei Wahlkampfterminen begleitet und mit ihm im Vorstand des Friedensrates sitzt. Dort tausche man Argumente zivilisiert aus: »Es werden keine Zensuren verteilt.« Gemeinsame Beschlüsse zu fassen, sei aber schwierig geworden: »Was der eine verlangt, ist dem anderen ein Dorn im Auge.«
Was der eine verlangt, ist, die Ukraine in ihrem Überlebenskampf auch mit Waffen zu unterstützen, was schnell den Vorwurf der Kriegstreiberei einträgt. Was die anderen verlangen, ist, keine Waffen zu liefern und auf Diplomatie zu drängen. Wer so argumentiert, bekommt oft vorgeworfen, die Ukraine ans Messer liefern zu wollen.
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Fuchs-Kittowski, der sich als »radikaler Pazifist« bezeichnet, kennt das. Zuletzt fragte die »Sächsische Zeitung«, ob der Görlitzer Linke-Kandidat ein »Russland-Versteher« sei. Auslöser war ein im Internet aufgetauchtes Interview mit dem russischen TV-Sender RT Deutsch, in dem er im September 2023 seine Sicht auf den Krieg vortrug. Er sprach von einem »Nato-Russland-Krieg auf ukrainischem Boden«, in dem Russland ein »Selbstverteidigungsrecht« wahrnehme, und fügte an, »Bösewicht« in einem Konflikt könne auch sein, wer »den anderen nötigt, zur Waffe zu greifen«.
Sowohl der Inhalt seiner Botschaft als auch das gewählte Medium trugen ihm Kritik ein, auch in der Partei, für die er kandidiert. Die Bundestagsabgeordnete Anke Domscheid-Berg erklärte, RT sei der Propagandasender eines Aggressors: »Mit denen redet man nicht.« Zudem halte sie die »Täter-Opfer-Umkehr«, die Fuchs-Kittowski betreibe, für »unerträglich«. Den Krieg habe »Putin angefangen, und (nur) er kann ihn jederzeit beenden«. Andere Kommentatoren zitieren den heutigen Linke-Bundeschef Jan van Aken, der 2023 erklärte, wer »einen Aggressionskrieg in reine Selbstverteidigung umdefiniert, redet allen internationalen Militär-Aggressionen das Wort«. Van Aken erwiderte auf ein Papier des Gesprächskreises Friedens- und Sicherheitspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung, das ähnliche Positionen vertrat wie Fuchs-Kittowski. Wer Russland nur als Opfer darstelle und »jede Position jenseits der eigenen als Kriegstreiberei diffamiert«, so van Aken, »dem ist politisch nicht mehr zu helfen«.
Wenn man Fuchs-Kittowski auf seine Äußerungen anspricht, antwortet er bei einem Kaffee im Görlitzer Büro der Linken in allergrößter Ausführlichkeit. Dass er mit dem Sender RT Deutsch gesprochen habe, dessen Ausstrahlung seit März 2022 in der EU verboten ist, begründet er damit, dass man sich in seiner Funktion »Gesprächsmöglichkeiten nach allen Seiten erhalten« müsse. Zudem beklagt er, dass Pazifisten wie er in der Bundesrepublik »keine Plattform haben und wir unsere Vorstellungen nicht verbreiten können«.
Was den Krieg anbelangt, sei es »gar keine Frage«, dass Russland »auch mit Schuld trägt«, betont Fuchs-Kittowski. Gleichzeitig wirbt er dafür, zu verstehen, welche Motive den Angreifer getrieben hätten, wobei »Verstehen nicht heißt, Verständnis aufzubringen«, wie er hinzufügt. In seiner Interpretation habe der Westen legitime Sicherheitsinteressen Russlands nicht berücksichtigt: »Wir sind dem Tiger zu nahe gekommen.« Er drängt auf diplomatische Verhandlungen, in denen Deutschland die Position eines »Vermittlers« einnehmen solle, statt Partei zu ergreifen.
In Öffentlichkeit und Medien erntet Fuchs-Kittowski etliches Unverständnis. Seine Sätze könnten »aus der Pressestelle des Kremls stammen«, schrieb die »FAZ« nach einem Besuch bei ihm. Auch in der Linken äußern manche Jüngeren oder Genossen aus Großstädten Verwunderung über Positionen des Direktkandidaten in Wahlkreis 153. Im ländlichen Ostdeutschland aber, wo es verbreitet Skepsis gegenüber der deutschen Haltung zum Krieg gibt, teilen viele seine Sicht. Bei der Basis komme Fuchs-Kittowski gut an, sagt Kreischef Schultze, »auch bei jungen Leuten«. Womöglich trägt der Pazifismus ihres Kandidaten der Partei in der Region zusätzliche Stimmen ein. Fuchs-Kittowski wiederum könnte sich vorstellen, die Genossen in der Oberlausitz auch künftig zu unterstützen. Auch wenn so bald kein ICE aus Berlin nach Görlitz fährt.
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