Strausberg: Der AfD den Steigbügel gehalten

Kritik an Bürgermeisterin von Strausberg wegen ihrer Reaktion auf eine Störung des Holocaust-Gedenkens

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Historischer Stacheldrahtzaun auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Auschwitz, fotografiert am 27. Januar 2025
Historischer Stacheldrahtzaun auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Auschwitz, fotografiert am 27. Januar 2025

Bei der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung von Strausberg (Märkisch-Oderland) ist am Donnerstagabend Ronny Kühn von der Linksfraktion an Bürgermeisterin Elke Stadeler (parteilos) herangetreten und hat ihr einen Steigbügel überreicht. Wie Kühn dem »nd« am Freitag erzählte, hat die Bürgermeisterin diesen Steigbügel zunächst verwundert angenommen und erst nach einer ganzen Weile zurückgegeben. Offenbar dämmerte es der Kommunalpolitikerin nicht gleich, was Ronny Kühn mit seinem Geschenk sagen wollte – dass Stadeler sich zum Steigbügelhalter der AfD mache.

Am 27. Januar war in Strausberg wie andernorts auch daran erinnert worden, dass sowjetische Truppen vor 80 Jahren das Konzentrationslager Auschwitz befreit hatten. Der 27. Januar ist seit dem Jahr 2005 internationaler Holocaust-Gedenktag.

In Strausberg kam es dieses Jahr zu einer Störung. An der Bonhoeffer-Stele in der Wriezener Straße hatte Nils Weigt von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten und Antifaschistinnen (VVN-BdA) in seiner Rede aus einer von Jens-Christian Wagner vorgenommenen Analyse von Wahlprogrammen zitiert. Wagner ist Direktor der KZ-Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und schätzte unter anderem ein: »Aus den Reihen der AfD werden notorisch geschichtsrevisionistische und holocaustverharmlosende Positionen verbreitet.«

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Davon fühlte sich der Stadtverordneten Horst Baldszus (AfD) provoziert. Er stürmte schließlich nach vorn. Damit nicht genug, soll nach dem Gedenken der Stadtverordnete Nicolai Schirocki (AfD) noch vor Ort mit jungen Antifaschisten in Streit geraten sein und ein Klappmesser gezogen haben. Als herbeigerufene Polizisten den 35-Jährigen später stellten, hatte er dann allerdings kein Messer bei sich. Schirocki äußert sich nicht zur Sache. Er hat seinen Austritt aus der Partei erklärt, was ihm der AfD-Kreisvorsitzende Falk Janke nahegelegt hatte.

Der 79-jährige Stadtverordnete Horst Baldszus räumte bereits am 27. Januar und auch am Donnerstagabend noch einmal ein, dass sein Verhalten nicht angemessen gewesen sei. Baldszus versuchte sich in einer Erklärung damit zu entschuldigen, dass er mit seiner Frau an der Bonhoeffer-Stele war, deren Großvater in der KPD gewesen und 1935 als Kommunist von den Faschisten ermordet worden sei. »Die Hetzrede des Herrn Weigt war so unerträglich, dass ich nach vorn ging und mich dagegen wehrte, die Wähler und Mitglieder der AfD auf so einer Veranstaltung als Nazis zu stigmatisieren.«

Die Vorkommnisse hatten Ende Januar für Schlagzeilen gesorgt. Für zusätzliche Empörung sorgt nun, wie Bürgermeisterin Stadeler reagierte. Vor Ort war sie nicht sofort entschieden eingeschritten und rechtfertigte dies am Donnerstagabend damit, dass sie unter Schock gestanden und nicht gleich gewusst habe, was sie tun sollte. Das ist durchaus verständlich. Mit der Störung war nicht zu rechnen, Polizei war nicht vor Ort. Das erschien auch nicht notwendig, da in früheren Jahren immer alles reibungslos gelaufen war, wie sich der Stadtverordnete Ronny Kühn erinnert.

Kein Verständnis bringen Ronny Kühn und Nils Weigt aber dafür auf, wie sich die Bürgermeisterin nach dem 27. Januar geäußert hatte: Sie müsse sich überlegen, ob sie künftig bei Gedenkveranstaltungen auf Dritte zurückgreifen werde, weil sie es dann nicht steuern könne. Die AfD nicht wieder zum Holocaust-Gedenktag einzuladen, lehnte Stadeler ab. »Ich grenze niemanden aus. Die Partei ist demokratisch gewählt und es gibt eine gute Zusammenarbeit.« So zitiert die »Märkische Oderzeitung« (MOZ) die Bürgermeisterin.

»Geradezu eine klassische Täter-Opfer-Umkehr.«

Kerstin Kaiser Linke-Stadtverordnete

Elke Stadelers Sprecher Jörn Jürschik bestätigt auf Nachfrage, dass die Bürgermeisterin dazu stehe. In der Stadtverordnetenversammlung schilderte Stadeler darüber hinaus, beide Seiten seien laut geworden. Ein Ausschluss der VVN-BdA vom Gedenken sei nun nicht etwa beschlossene Sache, stellte die Stadtverwaltung klar. Es läuft aber indirekt darauf hinaus. Denn seinerseits hat Nils Weigt in einem MOZ-Interview angekündigt, »dass wir zu keiner Gedenkveranstaltung mehr kommen, zu der die AfD eingeladen ist«.

Das Stören einer Gedenkveranstaltung sei »keine freie Meinungsäußerung«, urteilt die Stadtverordnete Kerstin Kaiser (Linke). Dem hätte die Bürgermeisterin entgegentreten müssen. Stattdessen habe sie Nils Weigt kritisiert – »geradezu eine klassische Täter-Opfer-Umkehr«. Wer Störungen und Gewaltabsichten der AfD-Stadtverordneten verharmlose und stattdessen die VVN-BdA rüge, »der rollt – ob gewollt oder ungewollt – der AfD und ihrer Geschichtsverdrehung den roten Teppich aus«. So steht es in einer Erklärung, die Kerstin Kaiser im Stadtparlament abgab und die »nd« schriftlich vorliegt. Darin heißt es: »Ich erwarte von Ihnen, Frau Bürgermeisterin, dass Sie ihre Positionen klarstellen und Ihre indirekte Drohung, Reden Dritter – hier also des VVN-BdA – von Gedenkveranstaltungen auszuschließen, öffentlich zurücknehmen.«

Kaiser erinnerte an die 2013 in die brandenburgische Verfassung eingefügte Antirassismus-Klausel, in der steht: »Das Land schützt das friedliche Zusammenleben der Menschen und tritt der Verbreitung rassistischen und fremdenfeindlichen Gedankenguts entgegen.« Entsprechend aktiv zu handeln, sei auch die Bürgermeisterin verpflichtet. »Es gibt kein unpolitisches Gedenken und keinen unpolitischen Ausgleich mit Positionen der AfD, die Grundgesetz und Verfassung entgegenstehen.« Dass jemand demokratisch gewählt sei, bedeute übrigens nicht automatisch, dass er auch demokratisch Politik mache, sagte Kaiser auf die AfD gemünzt.

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