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  • Naziaufmarsch zum 13. Februar

Schneebälle gegen Geschichtsverfälscher in Dresden

Tausende protestieren gegen Naziaufmarsch anlässlich des 13. Februar

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Antifaschisten versperren am Dresdner Postplatz eine mögliche Route für den rechtsextremen »Gedenkmarsch«.
Antifaschisten versperren am Dresdner Postplatz eine mögliche Route für den rechtsextremen »Gedenkmarsch«.

Die Blockade am Postplatz stand. Einige Hundert gut gelaunte Menschen versperrten am Samstag in Dresden über mehrere Stunden hinweg zwischen Zwinger und Schauspielhaus den Zugang zu dem zentralen Platz im Stadtzentrum. Die Protestteilnehmer, die einem Aufruf des Bündnisses »Dresden wi(e)dersetzen« gefolgt waren, standen zwischen sogenannten Hamburger Gittern, mit denen die Polizei in der sächsischen Landeshauptstadt ganze Straßenzüge gesäumt hatte, um den rechtsextremen »Trauermarsch« anlässlich des 80. Jahrestags der Zerstörung Dresdens zu gewährleisten. Das Gitterspalier ließ erwarten, dass dieser auch über den Postplatz führen sollte.

Dazu kam es dann nicht. Der Nazi-Aufmarsch bog kurz vor dem Theater in eine Nebenstraße ab, begleitet von Pfiffen und Sprechchören. Einige hundert Meter weiter passierte er eine weitere Gegenkundgebung, aus der heraus er mit Schneebällen attackiert wurde. Die Polizei, die mit einem Großaufgebot und Beamten auch aus anderen Bundesländern in der Stadt präsent war, forderte mehrfach auf, die Würfe zu unterlassen; es kam zu Rangeleien. Der Protest blieb laut, der Marsch indes wurde nicht behindert. Er hatte verspätet begonnen, weil die Polizei erst eine bereits seit dem Vormittag bestehende Blockade auf der geplanten Marschroute geräumt hatte, wobei auch Pfefferspray zum Einsatz kam. Er wurde zudem am unmittelbaren Stadtzentrum vorbeigeführt. Allerdings gelang es den Rechtsextremen auch, ihre als »Trauermarsch« deklarierte Demonstration weitgehend ungehindert zu absolvieren.

Dieser hat eine lange Tradition und gehörte mit bis zu 8000 Teilnehmern zeitweise zu den größten seiner Art in Europa. Die rechtsextreme Szene nutzt den Jahrestag der Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945, um deutsche Kriegsschuld zu relativieren. Teils grotesk überhöhte Opferzahlen werden instrumentalisiert, um auch den Alliierten Kriegsverbrechen vorzuwerfen und diese gegen den vom NS-Regime organisierten Mord an den europäischen Juden aufzurechnen. Auch an diesem Samstag gab es wieder Plakate mit der Aufschrift »Bombenholocaust«, gegen die, anders als in früheren Jahren, von der Polizei nicht eingeschritten wurde.

Antifaschistische Proteste hatten es in vergangenen Jahren zwischenzeitlich vermocht, die Nazis in die Schranken zu weisen. Blockaden, zu denen das Bündnis »Dresden nazifrei« ab 2010 bundesweit mobilisiert hatte, verhinderten mehrfach die rechtsextremen Demonstrationen und ließen den Zuspruch bröckeln. In diesem Jahr hatte das Bündnis »Wi(e)dersetzen«, das Ende 2022 an die Stelle von »Dresden nazifrei« trat, allerdings größeren Zuspruch aus der rechten Szene befürchtet, einerseits wegen des 80. Jahrestags, andererseits, weil mit dem »Tag der Ehre« in Budapest ein konkurrierendes Treffen der europäischen Nazis nicht erneut am gleichen Wochenende stattfand.

Die Erwartung bestätigte sich am Samstag. Beobachter schätzten die Zahl der Nazis auf bis zu 3000, darunter viele sehr junge Mitglieder militanter Gruppierungen wie der in Ostsachsen aktiven »Elblandrevolte«, aber auch Szeneangehörige aus anderen Bundesländern und dem Ausland. So gab es zum Auftakt des Aufmarsches neben einer Ansprache des als Anmelder fungierenden Neonazis Lutz Giesen auch Reden von Gästen aus Tschechien und Ungarn.

Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, muss auch das Bündnis »Wi(e)dersetzen« womöglich seine Mobilisierungsstrategie überdenken. In diesem wirken Vertreter antifaschistischer Gruppen, von Parteien und Gewerkschaften, der Initiative »Herz statt Hetze«, den Seenotrettern von »Mission Lifeline« oder dem Flüchtlingsrat mit. Bei der Gründung hieß es, man wolle eine »breite Zivilgesellschaft« ansprechen.

»Wir setzten ein Zeichen für eine verantwortungsvolle Erinnerungspolitik.«

Matthias Lüth Sprecher »Dresden wi(e)dersetzen«

Für dieses Jahr hatte Sprecherin Anne Herpertz gegenüber »nd« vorab eine breite überregionale Mobilisierung angekündigt und in Anspielung auf antifaschistische Proteste gegen den AfD-Bundesparteitag vor einigen Wochen die Hoffnung geäußert, man werde »mit Riesa im Nacken größer als bisher« werden. Tatsächlich nahmen am 13. und am 15. Februar in Dresden jeweils rund 4000 Menschen an den antifaschistischen Protesten teil. Am eigentlichen Jahrestag gelang es damit auch, die AfD zur Absage einer abendlichen »Trauer«-Veranstaltung auf dem Altmarkt zu zwingen. Man habe »ein Zeichen für eine verantwortungsvolle Erinnerungspolitik« gesetzt, erklärte Herpertz’ Sprecherkollege Matthias Lüth im Nachhinein.

Ein ähnliches Resümee kann auch nach den Protesten vom Samstag gezogen werden. Allerdings ist zugleich festzuhalten, dass der Naziaufmarsch nicht verhindert oder auch nur nennenswert beeinträchtigt wurde. Dafür sorgte zum einen die Polizeitaktik, die darauf setzte, die Rechtsextremen quasi hinter Gittern durch die Stadt zu leiten, zum anderen aber auch eine nicht ausreichende zahlenmäßige Überlegenheit des Protestes. An diesem beteiligten sich auffallend viele junge Antifaschisten; der Zuspruch aus »bürgerlichen« Kreisen fiel aber deutlich schwächer aus – und das, obwohl Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) und die gesamte Rathausspitze vorab aufgerufen hatten, der »Mythenbildung und Geschichtsfälschung« von rechts entgegenzutreten: »Wir stellen uns entschieden gegen alle, die unsere Gesellschaft spalten und gegen unsere demokratischen Grundwerte arbeiten.« Der Appell stieß in der breiteren Stadtgesellschaft aber noch nicht auf ausreichend Resonanz.

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