Überbietungswettbewerb bei Abschiebungen nach Afghanistan

Cyrus Salimi-Asl über die Diskussion um Abschiebungen nach Afghanistan

  • Cyrus Salimi-Asl
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach dem Anschlag vom 13. Februar 2025 ist es zu einer Spontanversammlung und Konflikten mit Anhängern der AfD gekommen.
Nach dem Anschlag vom 13. Februar 2025 ist es zu einer Spontanversammlung und Konflikten mit Anhängern der AfD gekommen.

Der Überbietungswettbewerb hat begonnen: Wer schiebt schneller nach Afghanistan ab, wer häufiger als der politische Gegner? Bayerns Ministerpräsident Markus Söder gibt den Einsatz vor: »Es braucht jede Woche einen Flug.« Repressionsaktivismus ist das Gebot der Stunde in der bundesdeutschen Politik, die nicht darauf schaut, was politisch machbar oder geboten scheint, was den Opfern und deren Angehörigen hilft, wie solche Taten in der Zukunft verhindert werden können. Dabei hat sich die Familie der bei dem Anschlag getöteten 37-jährigen Frau und ihrer zweijährigen Tochter explizit politische Instrumentalisierung verboten. Doch die Politik stellt sich taub.

Jemandem, der entschlossen ist, andere Menschen zu verletzen oder gar zu töten, ist nur schwer zuvorzukommen, wenn es keinerlei entsprechende Hinweise für eine solche Tat gibt. Das gilt für Ausländer wie für Bio-Deutsche. In viele Politikerköpfe dringt das offenbar aber nicht vor, oder besser gesagt: Diese Tatsache wird bewusst verschwiegen, um es sich mit der eigenen Wählerklientel nicht zu verderben. So kann Söder einen »Afghanistan-Sofortplan« fordern, als ob, in durch und durch rassistischer Lesart, Afghanen das Problem und quasi »von Natur aus« potenzielle Attentäter seien.

Prävention ist möglich

Dass die Prävention solcher Gewalttaten schwierig ist, bedeutet aber längst nicht, dass man sich damit abfinden muss. Insbesondere die sozialpädagogische und psychologische Unterstützung unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter ist ein wichtiger Baustein, um aus einem traumatisierten Menschen keinen potenziellen Attentäter werden zu lassen.

Zur Diskussion steht nicht, ob der Attentäter Farhad N. bestraft werden soll, sondern ob er abgeschoben wird in sein Heimatland. Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz spricht jetzt davon, dass er seine Strafe in Deutschland verbüßen müsse und erst danach abgeschoben werden solle. Aber die Politik weiß genau, dass das nicht so einfach wäre. Man müsste mit den dort regierenden Taliban zusammenarbeiten, um Menschen aus Deutschland mit dem Flieger nach Afghanistan zurückzubringen. Das aber wollte die Bundesregierung bisher explizit vermeiden, solange die Taliban ihre repressive Politik, vor allem gegen Frauen, fortsetzen.

Umgang mit Taliban finden

Das scheint jetzt vergessen. Die Taliban wollen abgeschobene Straftäter aus Deutschland gerne zurücknehmen – im Austausch für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Abschiebungen über Drittstaaten, wie beim ersten Abschiebeflug Ende August 2024, lehnen sie ab. Man darf darauf wetten, dass die nächste Bundesregierung mit den Taliban einen Modus Vivendi findet, der Abschiebungen möglich macht. Was dann mit den Abgeschobenen in Afghanistan passiert, soll uns nicht weiter interessieren.

Ein Gedankenspiel: Sollte der Attentäter von München tatsächlich ein überzeugter Islamist sein, der quasi gedanklich im Auftrag der islamistischen Taliban handelte, könnte er bei seiner Rückkehr als Held gefeiert werden. Das dürfte sicher nicht im Sinne der Angehörigen der Opfer sein, die durch eine Gefängnisstrafe des Attentäters in Deutschland zumindest eine Art kompensatorische Genugtuung erfahren könnten. Und sollte ihm in Afghanistan der Prozess gemacht werden, könnte ihm die Todesstrafe drohen, was eine Abschiebung nach menschenrechtlichen Kriterien verbieten würde.

Opfer waren algerischer Herkunft

Wolfgang Kubicki sagt, Deutschland brauche »keine jungen Männer aus arabischen Räumen und aus Afghanistan«, die kein Teil der Gesellschaft werden wollten. Nur traf dies genau auf Farhad N. nicht zu, nach allem, was man bislang weiß: Er hat eine Ausbildung gemacht, Arbeit gefunden, trainierte im Fitness-Klub und führte stolz seine Muskeln im Internet vor. Auch ein Auto hatte er sich zugelegt, mit dem er dann den Anschlag durchführte. Die Biografie klingt genau nach dem, was sich Politiker wie Kubicki unter »Integration« vorstellen dürften.

Und trotzdem wurde Farhad N. zu einem Attentäter, hat eine Mutter und ihr Kind getötet. Mit einer Sondersitzung des Bundestags wird man kaum Antworten auf die Frage nach den Motiven des Täters finden können. Es ist Zeit, den Überlebenden und den Angehörigen der Opfer solcher Anschläge genauer zuzuhören. Übrigens waren die beiden Opfer von München algerischer Herkunft: Die Mutter Amel ist in Algerien geboren und mit vier Jahren nach Deutschland gekommen, wo ihre Tochter Hafsa geboren wurde.

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