Berlin: Klimakrise als Tourismuschance

Berlins Tourismuschef hält Proteste gegen Kürzungen im Kulturbereich für schädlich

Berlin könnte künftig gerade im Sommer mehr Touristen anziehen.
Berlin könnte künftig gerade im Sommer mehr Touristen anziehen.

Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) ist ein wenig aufgekratzt. Visit-Berlin-Chef Burkhard Kieker zeigt sich grundzufrieden, als beide gemeinsam die Berliner Tourismusbilanz für 2024 vorstellen. Als Ort haben sie sich das Radisson Collection Hotel an der Karl-Liebknecht-Straße in Mitte ausgesucht. Das Hotel, das Ende 2022 weltweit Schlagzeilen machte, als am frühen Morgen der haushohe Kunststoffzylinder des Sea-Life-Aquariums platzte. Hunderttausende Liter Wasser mitsamt 1500 exotischen Fischen ergossen sich in die Lobby und weiter auf die Straße.

Etwas über zwei Jahre danach hat Anfang Februar das Hotel wieder aufgemacht. »Sehr positiv« findet das Giffey und freut sich, dass damals »kein Mensch zu Schaden gekommen ist«. Nun ja, fast. Zwei Menschen sind verletzt worden. Angesichts der Katastrophe grenzt das dennoch an ein Wunder. Statt dem Aquarium dominiert das Atrium nun ein »Living Tree«, ein großer, mit Grünpflanzen bewachsener Turm. Der sei eine »tolle Lösung« und »sehr schön«, so Giffey beim Pressetermin am Mittwochnachmittag.

Doch Hauptgrund der Freude ist laut Tourismuswerber Burkhard Kieker, »dass wir wieder dem Ü30-Club beitreten durften«. 30,6 Millionen Übernachtungen zählte das Statistische Landesamt Berlin-Brandenburg in der Hauptstadt 2024. Eine Steigerung um 3,4 Prozent im Vergleich zu 2023.

Nur ungefähr zehn Städte weltweit spielten in dieser Liga. »Wir sind in guter Gesellschaft mit Hongkong, Paris, London, Bangkok, Singapur und dann hört es auch schon fast auf«, so Kieker.

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Die Anzahl der Berlin-Besucher stieg im Jahresvergleich sogar um 5,2 Prozent auf 12,7 Millionen. Die Besuchsdauer hat sich also etwas verkürzt. Fast zwei Drittel der Gäste sind aus dem Inland, das Wachstum war mit 2,4 Prozent etwas verhaltener. Kieker hält die »Hasenfüßigkeit« der Deutschen wegen der Wirtschaftslage für den Grund. Die größte ausländische Gruppe waren Briten mit etwas über einer halben Million, dahinter folgen US-Amerikaner mit etwas unter einer halben Million. Hier lagen die Zuwachsraten bei 12,2 beziehungsweise 11,4 Prozent.

Die schwierigen Weltläufte zeigen die Länder mit den größten Besuchereinbrüchen 2024, nämlich Russland (rund 20 800 Gäste, minus 16,5 Prozent) und Israel (etwa 62 300 Gäste, minus 11 Prozent).

Vor diesem Hintergrund sei man froh, dass man über die 30 Millionen Übernachtungen gekommen sei. Auch wenn man noch deutlich vom bisherigen Rekordjahr 2019 mit 34,4 Millionen Nächtigungen entfernt ist.

Nicht fehlen darf auch das Lamento über die unbefriedigenden Flugverbindungen zum BER. Da werde man mit der neuen Bundesregierung sprechen, um die »Wettbewerbsfähigkeit im Flugverkehr« zu erhöhen, kündigt Kieker an.

Bis dahin schmückt man sich eben damit, dass laut Qualitätsmonitor Deutschland-Tourismus 2023/2024 die Hälfte der Berlin-Besucher mit der Bahn anreist, sechs Prozentpunkte mehr als in der Ausgabe 2021/2022. Mit dem Flugzeug waren es zuletzt 15 Prozent, 2019 laut Kieker noch 35 Prozent.

»Ja, es wird noch einige Einschränkungen geben im Kultur- und Kunstangebot.«

Franziska Giffey (SPD) Wirtschaftssenatorin

Doch Kieker wittert auch in der Klimakrise eine Chance. Es gebe einen neuen »Megatrend«, der mit dem Begriff »Coolcation« beschrieben werde. »Die Sommer werden heißer, insbesondere im Mittelmeerraum. Es gibt viele Menschen, Familien mit Kindern, denen ist das zu heiß«, erläutert Kieker. Es werde in kühlere Gefilde ausgewichen, die inzwischen Temperaturen wie im Mittelmeer hätten. »Da sind wir, glaube ich, sehr gut aufgestellt«, gerade wegen der Wasserlandschaft, freut sich der Tourismuschef.

Franziska Giffey ist so wohlgelaunt, dass sie Kritik der Opposition an sich in fast allen Punkten abperlen lässt. »Hohe Übernachtungszahlen allein sind noch keine Tourismuspolitik«, erklärte Julian Schwarze, tourismuspolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus, im Vorfeld der Pressekonferenz. Berlin müsse seinen Tourismus aktiv steuern, forderte er.

Doch eine Sache bringt Giffey dann doch ein bisschen in Rage. Nämlich die Frage, ob die drastischen Kürzungen im Kulturetat nicht den Tourismus gefährdeten. Im Qualitätsmonitor gaben 61 Prozent der Gäste an, wegen des Kunst- und Kulturangebots nach Berlin zu fahren – knapp hinter den Sehenswürdigkeiten das zweitwichtigste Motiv. »Ja, es wird noch einige Einschränkungen geben im Kultur- und Kunstangebot«, sagt sie nach einem langen Exkurs zu Haushaltsnöten und -entwicklungen. »Aber noch mal, es wird sehr, sehr, sehr viel weiter stattfinden.« Man müsse »ausstrahlen, dass wir als Stadt uns weiter entscheiden, in dieser großen Ordnung, in die Kultur, in die Kunstlandschaft der Stadt zu investieren«.

Man müsse aufpassen, ob die Maßstäbe nicht verrutscht seien, sagt Kieker. »Wir leben in einem kulturellen Schlaraffenland. Und wenn da mal zwei Jahre nicht die Sonne scheint, dann wird es trotzdem nicht eingehen, dieses Schlaraffenland«, ist er überzeugt. Er habe den Eindruck, »dass durch den massiven Protest, der völlig legitim ist, mehr Schaden und mehr Aufmerksamkeit bis in den letzten Winkel der Welt auf das Thema gerichtet wurden als durch die Kürzungen selber«.

Schließlich gibt es noch eine Führung durchs wiedereröffnete Hotel. »Alles so Grau in Grau hier«, sagt Franziska Giffey kurz vor Abschluss der Tour und guckt gleich betreten.

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