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Van Aken und Stegner: Militärische Debakel und Wege zum Frieden
Interview mit dem Linke-Vorsitzenden Jan van Aken und dem SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner
Herr Stegner, hat Donald Trump mit seinem Telefonat mit Wladimir Putin und der Ankündigung von Verhandlungen über ein Kriegsende in der Ukraine das Tor zum Frieden in dem Land aufgestoßen? Ist die Initiative ein friedenspolitischer Fortschritt – auch wenn Trump gleichzeitig autoritär regiert und Konzernchefs mit direkter politischer Macht ausstattet?
Ralf Stegner: Man könnte sagen: im Prinzip ja. Alles, was in Richtung Beendigung des Krieges geht, könnte zunächst einmal etwas Positives sein. Aber ich bin nicht besonders hoffnungsfroh, dass es am Ende so kommt. Eine Entscheidung über einen Krieg in Europa, die ohne die Ukraine und ohne Europa getroffen wird, geht vermutlich nicht gut aus. Womöglich läuft es so wie in Afghanistan. Dort hat die US-Regierung im Alleingang ein Abkommen mit den Taliban getroffen. Das Ergebnis war ein Debakel. Die Vorstellung, Trump macht einen Deal mit Putin, holt sich die Bodenschätze aus der Ukraine, und die Europäer schicken Truppen, um das abzusichern, ist abenteuerlich. Trotzdem sage ich: Der Krieg muss so bald wie möglich aufhören.
Herr van Aken, Die Linke fordert seit Langem Verhandlungen und einen Waffenstillstand. Und sie meint, eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine wäre ein Problem. Geht die US-Regierung jetzt also in die richtige Richtung?
Jan van Aken: Sorry, aber das ist nicht die Position der Linken. Wir haben über eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine nicht zu entscheiden, das können nur die Menschen in der Ukraine tun. Meine Vermutung ist: Russland ist es so wichtig, dass die Ukraine nicht in die Nato geht, dass das eine Bedingung eines Waffenstillstands ist. Was aber aus meiner Sicht fatal wäre: wenn Trump und Putin etwas aushandeln, und am Ende gibt es einen Diktatfrieden für die Ukraine. Wir werden sehen, was wirklich herauskommt. Im Moment ist mein Eindruck: Die USA werfen die Ukraine vor den Bus, weil sie sich von einem Deal mit Russland Vorteile versprechen.
Was ist ein Diktatfrieden?
Van Aken: Im Moment ist meine Sorge, dass die Ukraine gar nicht mitbestimmen kann, sondern schlucken muss, was ihr vorgesetzt wird. Zum Beispiel, dass die vier Oblaste Luhansk, Donezk, Saporischja und Cherson, die Russland annektiert hat, russisch bleiben. Und die Krim sowieso. Das nenne ich einen Diktatfrieden. Die Alternative ist ein Frieden, der gerecht ist. Das heißt, es wird etwas vereinbart, das am Ende in einer Volksabstimmung von einer Mehrheit der Menschen in der Ukraine geteilt wird. Aus der Friedensforschung weiß man, dass Abkommen, die nicht von einer Mehrheit unterstützt werden, sowieso nicht halten.
Jan van Aken ist einer von zwei Vorsitzenden der Partei Die Linke. Zusammen mit Heidi Reichinnek tritt er bei der Bundestagswahl am Sonntag als Spitzenkandidat an. Der Friedensaktivist befasst sich seit vielen Jahren mit Abrüstung und Friedenspolitik. Er hat von April 2022 bis Oktober 2024 für die Rosa-Luxemburg-Stiftung zu internationalen Konflikten gearbeitet. Von 2004 bis 2006 arbeitete er als Biowaffeninspekteur für die UN. Im vorigen Jahr ist sein Buch »Worte statt Waffen. Wie Kriege enden und Frieden verhandelt werden kann« erschienen.
Ralf Stegner ist Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags und abrüstungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Er befasst sich damit, wie Konflikte auf diplomatischem Weg gelöst werden können. Als Vorsitzender eines Untersuchungsausschusses zum Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan hat er den beteiligten Ministerien vorgeworfen, bei der Evakuierung von afghanischen Ortskräften Bürokratie vor Humanität gestellt und nach Manier eines Katasteramtes gehandelt zu haben. Von 2014 bis 2019 war er stellvertretender SPD-Vorsitzender.
Herr Stegner, Ihr Parteifreund Rolf Mützenich hat voriges Jahr für Aufsehen gesorgt mit seiner Forderung, den Konflikt einzufrieren. Läuft das, was die US-Regierung jetzt sagt, darauf hinaus?
Stegner: Nein. Rolf Mützenich ist völlig zu Unrecht gescholten worden. Er hat nicht von Permafrost gesprochen, sondern davon, dass es regional und zeitlich befristete Feuerpausen geben muss, die Verhandlungen erst ermöglichen. Damals wurden alle, die über Diplomatie gesprochen haben, wahlweise als Putin-Freund oder Appeasement-Unterstützer gehandelt. Jetzt sehen wir, dass diejenigen, die nur auf Militärlogik gesetzt haben, sich geirrt haben. Der Glaube, man könne Putin militärisch an den Verhandlungstisch zwingen, hat sich nicht bewahrheitet. Die Perspektive der AfD und von Frau Wagenknecht und ihren Freunden, die auf eine Unterwerfung der Ukraine hinausläuft, taugt auch nicht. Wir – also die Sozialdemokratie, nicht die Ampel – haben im Bundestag immer den differenzierten Ansatz vertreten: Wir unterstützen die Ukraine in ihrer Verteidigung und drängen gleichzeitig auf diplomatische Anstrengungen. Wenn man sagt, wir diktieren euch jetzt die Bedingungen für einen Frieden, sind das keine diplomatischen Anstrengungen. Da gebe ich Herrn van Aken recht.
Van Aken: Was die Militärlogik angeht, habe ich gerade einen Déjà-vu-Moment. Ich habe acht Jahre im Bundestag gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan argumentiert. Immer wurde mir entgegengehalten: Wollen Sie wirklich die afghanischen Mädchen alleinlassen? Nach 20 Jahren wurde die Bundeswehr dann zurückgezogen, und es war klar, dass der Einsatz gescheitert ist und dass der so auch nie hätte funktionieren können. In den letzten drei Jahren haben wir als Linke zum Krieg in der Ukraine immer wieder gesagt: Es braucht Verhandlungen, wir brauchen China, die Brics-Staaten für Verhandlungen. Wenn die anderen wenigstens darüber gelacht hätten – aber es wurde gar nicht hingehört. So, und jetzt kommt Trump und macht einen Move, und es sieht so aus, dass er die Ukraine verkauft, und Europa zeigt sich schockiert. Da sage ich: Ja, es ist falsch, was die USA tun, aber ihr habt es drei Jahre verpennt, eine eigene Initiative mit China auf den Weg zu bringen.
Stegner: Es bleibt wichtig, in die Verhandlungen Mächte einzubeziehen, die in der Lage sind, Russland zu beeinflussen. Dazu gehört China, aber auch Indien und Brasilien. Man sollte der russischen Regierung deutlich machen, dass es honoriert wird, wenn sie substanzielle Zugeständnisse macht. Länder wie China können eher auf Russland einwirken als die EU.
»Viele haben gesagt, wir funktionieren nur noch«
Sie haben gesagt, ein Abkommen muss von der Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert werden. Was die Mehrheit in der Ukraine will, weiß aber niemand. Wie viel Rückhalt Selenskyj noch hat, ist auch unklar. Wie schätzen Sie das ein: Welche Chancen hätte eine von Selenskyjs Regierung mitverhandelte Vereinbarung?
Van Aken: Als ich im Herbst in der Ukraine war, habe ich eine Erfahrung gemacht, die mich auch schockiert hat. Das war noch vor der Trump-Wahl, und ich habe mich mit humanitären Hilfsorganisationen unterhalten. Ich habe alle gefragt, was sie von der US-Wahl erwarten – und ein komplettes Desinteresse erlebt. Viele haben gesagt, wir funktionieren nur noch, wir sind am Ende unserer Kräfte, wir versuchen, das zu tun, was nötig ist – und am nächsten Morgen stehen wir wieder auf und machen weiter das, was nötig ist. Viele haben jegliche Perspektive verloren. Unsere linken Genossinnen und Genossen sagen: Je näher man an die Front kommt, umso eher sind die Menschen bereit, auch etwas für den Frieden zu geben. Insgesamt ist die Stimmung schwer einzuschätzen. Ich glaube aber, dass die Chance da ist, dass ein Abkommen am Ende akzeptiert werden kann. Sicher weiß man das nie. Dass Selenskyj innenpolitisch Probleme hat, habe ich natürlich auch wahrgenommen. Aber ehrlich gesagt fürchte ich, so eine richtig gute Wahl haben die Ukrainerinnen und Ukrainer nicht mehr. Klar ist für mich eins: Dieser Krieg muss zum Ende kommen.
»Über Waffen kann jeder Trottel öffentlich reden«
Ist es vorstellbar, dass es zu einem Kriegsende-Abkommen kommt, das Verzicht auf besetzte Territorien beinhaltet? Oder würde das den Konflikt immer weiter verlängern?
Stegner: Das ist für uns schwer zu beurteilen. Die Erfahrung lehrt, dass es manchmal eine Weile dauert, bis die Dinge sich in eine Richtung entwickelt haben, die einem akzeptabel erscheint. Diplomatie ist mühselig, sie ist nicht öffentlich, man kann sich damit zunächst nicht profilieren. Über Waffen kann dagegen jeder Trottel öffentlich reden, auch wenn er einen Regenschirm nicht von einem Gewehr unterscheiden kann.
Van Aken: Ich würde immer sagen: Option Saarland. Auch hier war nach dem Zweiten Weltkrieg viele Jahre nicht klar, wohin das Saarland gehört. So etwas ist auch in Istanbul 2022 für die Ukraine angedacht worden. Das könnte erst einmal ein Weg sein: dass man den Menschen in den betroffenen Gebieten Zeit lässt, und auch den beteiligten Ländern.
Das hat mit den Minsker Abkommen 2014/15 nicht funktioniert. Damals ist ein Waffenstillstand vereinbart worden und eine Dezentralisierung der Ukraine, die die Besonderheiten von Gebieten wie Donezk berücksichtigt.
Stegner: Wenn etwas einmal nicht gelungen ist, heißt das nicht, dass es nie funktioniert.
Die EU wurde nicht beteiligt am Vorstoß der USA. Und das Erste, was europäische Spitzenpolitiker sagen, ist: Wir können uns vorstellen, Truppen zu stellen. Was ist die politische Logik dahinter?
Stegner: Das ist Scheinriesentum. Und es hängt mit den problematischen Verhältnissen zusammen, die in Europa herrschen. All diese nationalistischen Regierungen und Parteien, das sind Miniaturausgaben von »America First«. Austria First, Hungary First und so weiter. Ich möchte nicht, dass der Trump’sche Führungsstil weiter Schule macht in Europa. Da müssen wir andere Wege finden, wir brauchen mehr demokratische Zusammenarbeit. Was Deutschland betrifft, das größte Land in der EU, da müssen sich die Dinge bei der Wahl an diesem Sonntag erst mal sortieren.
Chinesische Blauhelme als Sicherheitsgarantie
Herr van Aken, können Sie sich vorstellen, dass nach einem Friedensschluss auch deutsche Soldaten als Teil einer Friedenstruppe in die Ukraine gehen?
Van Aken: Nein. Ich könnte mir vorstellen, dass es klassische Blauhelme gibt. Ob auch Deutsche dabei sind, darüber müsste ich noch dreimal nachdenken. Ein deutscher Soldat kurz vor Stalingrad – das ist schon problematisch. Die entscheidende Frage aber ist: Über welche Art von Friedenstruppen reden wir eigentlich? Ich rege mich seit Wochen darüber auf, dass das oft im Unklaren gelassen wird. Auch wenn es jetzt heißt, diese und jene EU-Staaten können sich vorstellen, dass Friedenstruppen in die Ukraine gehen. Meinen die im Krieg oder nach einem Waffenstillstand? Ich kann mir das ausschließlich vorstellen im Format der klassischen Blauhelme, nach einem Waffenstillstand, dem alle Seiten zugestimmt haben. Die Blauhelme sind neutrale, unbewaffnete Beobachter, die eine Waffenstillstandslinie kontrollieren. Das tun sie zum Beispiel seit Langem in Korea und Zypern. Alles andere ist Wahnsinn. Alle robusten Auslandseinsätze sind im Kern gescheitert.
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Welche Staaten sollten sich daran beteiligen?
Van Aken: Es sollte auf jeden Fall ein guter Anteil chinesische Blauhelme dabei sein. Das wäre eine materielle Sicherheitsgarantie. Waffenstillstände werden oft missbraucht für die Vorbereitung auf einen verstärkten Angriff. Chinesische Soldaten würde Russland nicht angreifen, dafür ist China viel zu wichtig für Russland.
Derzeit wird Sicherheitspolitik in der EU vor allem militärisch definiert. Minister Pistorius von der SPD will den Verteidigungshaushalt deutlich aufstocken; die Bundeswehrbeauftragte, auch SPD, hat ein dreifaches Sondervermögen verlangt. Herr Stegner, wie kann Ihre Partei, die Sie zur Friedensbewegung rechnen, mit dieser Position glaubwürdig Vorschläge zur Lösung von Konflikten machen?
Stegner: Ich verstehe es, wenn der Verteidigungsminister über den Zustand der Bundeswehr spricht, das ist sein Job. Dass Deutschland bündnis- und verteidigungsfähig sein muss, würde ich nie bestreiten. Aber ich bin dagegen, der Rüstungsindustrie die Wünsche von den Augen abzulesen und Exportweltmeister bei Waffen zu werden. Phantomziele wie fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung, das ist das Letzte, was wir uns leisten können und sollten. Wir haben wirklich keinen Mangel an Waffen in der Welt, sondern es fehlen Ressourcen, um die wahren Probleme lösen zu können: den Hunger, die Umweltzerstörung, die Ursachen der Migrationsbewegungen, Bürgerkriege und so weiter. Da gibt es eine Menge zu tun. Wenn wir die Friedensbewegung den Populisten überlassen und den Rechtsradikalen, dann gute Nacht. Ich ringe in meiner Partei um Mehrheiten für diese Position.
Wie passt dazu Ihre Zustimmung zum 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr?
Stegner: Dem habe ich zugestimmt, weil sich die Bundeswehr in einem beklagenswerten Zustand befindet, was unsere Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit angeht. Das kann man sagen, ohne Befürworter von grenzenloser Aufrüstung zu sein und ohne die Meinung zu vertreten, dass da die Zukunft unserer Industrie liegt. Im Übrigen sind Abrüstungsabkommen noch nie zwischen Freunden in Friedenszeiten geschlossen worden, sondern immer in Zeiten von Spannungen. Zu solchen Vereinbarungen müssen wir wieder kommen. Mich sprechen viele Menschen an, die sich Sorgen machen um den Frieden, auch bei uns. Ich sehe nicht, dass sich die Bürgerinnen und Bürger nach einer militärischen Großmacht Deutschland zurücksehnen.
Van Aken: Aber Herr Stegner, soweit ich das sehe, Ihre Partei, die SPD, teilt doch Ihre Positionen nicht. Oder sehe ich das falsch?
Stegner: Ich glaube, das sehen Sie falsch. Ich denke, die Mehrheit in der SPD ist der Meinung, wir sollten uns in Richtung Abrüstung bewegen, wir sollten Diplomatie betreiben, wir sollten Teil der Friedensbewegung bleiben. Sicher kann ich mir das manchmal offensiver vorstellen. Aber dass es nicht so ist, hängt auch mit dem Zeitgeist zusammen, damit, wie man angefeindet wird, wenn man nicht dem Primat der Militärlogik folgt.
Van Aken: Ich meine, dieses 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr ist eine konkrete Aufrüstung, die Stationierung der US-Mittelstreckenraketen ist eine konkrete Aufrüstung – und Aufrüstung ist falsch.
US-Mittelstreckenraketen: »Ich kritisiere diese Stationierung«
Müsste nicht erst recht jetzt, da die US-Regierung das Bündnis mit europäischen Staaten infrage stellt und sogar droht, Dänemark Grönland abzupressen, im Gegenzug die von den USA beschlossene Stationierung neuer Mittelstreckenraketen in Deutschland zur Disposition gestellt werden?
Stegner: Ich kritisiere diese Stationierung. Vor mehr als 40 Jahren habe ich gegen den Nato-Doppelbeschluss demonstriert, den Helmut Schmidt durchgesetzt hat. Aber dieser Beschluss hatte immerhin einen Verhandlungsteil. Das ist jetzt nicht der Fall; ich finde es zwingend erforderlich, dass darüber verhandelt wird. Mich stören aber auch die russischen Raketen in Kaliningrad. Es muss eine Initiative geben, die Mittelstreckenraketen insgesamt wegzubekommen. Übrigens ist die Behauptung, die Nato sei Russland insgesamt unterlegen, falsch. Wir sind bei see- und luftgestützten Waffen den Russen deutlich überlegen. Also ich glaube, da ist das letzte Wort nicht gesprochen.
Van Aken: Ich bin unabhängig davon, wie sich die US-Regierung jetzt positioniert, gegen die Raketenstationierung.
Herr van Aken, in der Linken gab es Streit um die Haltung zum Krieg in der Ukraine, es gibt noch immer Differenzen zu Sanktionen gegen Russland. Auch über den Nahost-Konflikt wird gestritten. Wie kann Die Linke eine glaubwürdige Position zu Lösung dieser kriegerischen Konflikte einnehmen?
Van Aken: Ich sehe diesen Streit gar nicht. Natürlich gibt es in einer Partei unterschiedliche Positionen, aber das haben wir im Oktober auf dem Parteitag klug geklärt. Da hat die Partei wirklich zusammengefunden und spricht jetzt mit einer Stimme. Es sind wirklich nur Einzelne, die mit der dort formulierten Position nicht einverstanden sind. Aber wer Gräueltaten der israelischen Armee in Gaza oder die Hamas feiert, der hat keinen Platz in unserer Partei. Und was die Ukraine betrifft: Die Leute, die eine reine Kreml-Perspektive haben, die haben die Partei verlassen, und das ist gut so.
Bis heute gibt es auf Linke-Parteitagen und anderswo Debatten über die Sanktionen gegen Russland.
Van Aken: Da gibt es ja auch viel zu berücksichtigen: Wen genau treffen die Sanktionen, welche Rolle spielen sie in den internationalen Beziehungen? Fakt ist, dass Sanktionen immer ein Mittel der Starken gegen Schwache sind und damit eine Einseitigkeit haben. Auf der anderen Seite ist es besser, einen Konflikt ohne militärische Gewalt zu lösen. In diesem Spannungsfeld diskutieren wir – und ich denke, das wird auch ein Teil unserer zukünftigen Programmdebatte in den nächsten zwei Jahren sein.
»Fortschrittliche Mehrheiten stärken«
In friedenspolitischen Fragen sind Sie beide nicht meilenweit voneinander entfernt. Darum noch eine Frage zu politischen Mehrheiten: In Italien amtiert eine rechtsextreme Regierung. In Deutschland steht bei der Bundestagswahl eine deutliche Stärkung von CDU/CSU und AfD bevor. Wie kann perspektivisch der Weg für eine Mitte-links-Mehrheit bereitet werden?
Van Aken: Das wird eine entscheidende Aufgabe in den nächsten vier Jahren sein. Die CDU hat klargemacht, dass sie im Zweifelsfall auch die Stimmen der AfD mitnimmt für rechte Mehrheiten. Dieses Erpressungspotenzial ist jetzt also da. Das heißt, für die SPD wird es eine ganz harte Große Koalition, die auf sie zukommt. Unser Job als Linke wird es sein, der antifaschistische Pol zu bleiben und fortschrittliche gesellschaftliche Mehrheiten zu stärken. Also Mehrheiten für eine soziale Politik von allen, die nicht bereit sind, mit der AfD zusammenzuarbeiten. Und da rutscht leider gerade etwas weg.
»Es bleibt wichtig, in die Verhandlungen Mächte einzubeziehen, die in der Lage sind, Russland zu beeinflussen.«
Ralf Stegner
Stegner: Ich werde nicht kapitulieren. Dass im Bundestag eine konservative Partei mit Liberalen und Links-rechts-Populisten eine Abstimmungsmehrheit mit rechtsradikalen Demokratiefeinden sucht, ist ein Dammbruch. Wer das macht, legt die Axt an unsere Demokratie. Dem muss entgegengewirkt werden. Ich bin überzeugt, dass die Deutschen keine zweite Lehre aus der Geschichte brauchen. Ich wünsche mir progressive Mehrheiten.
Was müsste jemand in diesem Jahr politisch leisten, damit Sie ihn für den Friedensnobelpreis vorschlagen?
Van Aken: Das wäre eine gerechte friedliche Lösung für Palästina und Israel; ich sehe allerdings überhaupt nicht, dass das in diesem Jahr zu erreichen ist. Und ein Frieden für die Ukraine, bei dem die Mehrheit der Menschen dort sagt, das ist gerecht, hätte sicher auch einen Friedensnobelpreis verdient.
Käme da jemand infrage?
Van Aken: Wir sagen seit drei Jahren, die Achse Brüssel–Peking könnte eine entscheidende Rolle spielen. Aber dazu müssten beide Seiten bereit sein.
Stegner: Man muss nicht Pazifist sein, um Kriegsgegner zu sein. Jeder, der auch nur einen Millimeter dazu beiträgt, dass dieser schreckliche Krieg in der Ukraine aufhört und in Palästina kein neuer folgt, hätte den Preis verdient. Manchmal bleiben ja die wirklichen Helden unbekannt. Leider gibt es viele Leute, die mit Kraft in die entgegengesetzte Richtung ziehen. Da sind schon kleine Schritte in die richtige Richtung eine Heldentat.
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