Ein kleiner Linksrutsch im großen Rechtsruck

Die Hälfte der Wähler stimmt rechtskonservativ und rechtsextrem ab. Immerhin ist das Ergebnis der Linken ein Hoffnungsschimmer

Nach Scholz kommt Merz – und damit keine Hoffnung auf politische Besserung.
Nach Scholz kommt Merz – und damit keine Hoffnung auf politische Besserung.

Wenn diese Bundestagswahl und dieser Bundestagswahlkampf eine Sensation haben, dann diese: die Rückkehr der Linken. Als Jan van Aken auf dem Parteitag im letzten Herbst sagte, sieben Prozent seien locker drin, erntete er Verwunderung und Belustigung. Damals stand Die Linke wie festgenagelt bei drei Prozent. Noch nicht einmal Mitte Januar war absehbar, dass Die Linke mehr als Außenseiterchancen haben würde, den Sprung in den nächsten Bundestag zu schaffen.

Ein Grund dafür, warum es Die Linke heraus aus der »medialen Todeszone« schaffte, wie es Bodo Ramelow nannte, war die Trennung von der Gruppe um Sahra Wagenknecht. Auch wenn die Führung der Linken dazu nicht die Kraft aufbrachte, sondern Wagenknecht mit ihren Extratouren gewähren ließ, bis diese selbst in einem für sie günstigen Moment den Schlussstrich zog. Die Entwicklung des BSW seither lässt alle seinerzeitigen Wünsche, Wagenknecht doch weiter in der Linken zu integrieren, als pure Illusion erscheinen.

Was Die Linke in diesem Wahlkampf geleistet hat, ist zweifellos eine Erfolgsgeschichte, und dennoch kann es nur ein Anfang sein. Denn nun steht sie vor mehreren Aufgaben. Sie muss mit ihrer weitgehend neu zusammengesetzten Fraktion eine schlagkräftige parlamentarische Opposition formieren – und nur als Opposition ist Die Linke angesichts der Positionen von Union, SPD und Grünen im nächsten Bundestag vorstellbar. Sie muss einen Weg finden, die Zehntausenden neuen Mitglieder zu integrieren und die vielen Eintritte in politische Kraft umzusetzen. Sie muss sich programmatisch erneuern, weil sich die Welt seit der Verabschiedung des geltenden Programms 2011 entscheidend verändert hat – und zwar nicht zum Besseren.

Diese Bundestagswahl kann nur ein erster Schritt beim Neuaufbau einer starken linken Kraft sein. Denn die 8 bis 9 Prozent aus der Prognose sind ein Erfolg, gemessen daran, woher diese Partei zuletzt kam. Aber zugleich war die Linkspartei bei einer Bundestagswahl seit ihrer Gründung vor 20 Jahren nur 2021 schlechter. Das heißt: Sie hat jetzt wieder Vor-Krisen-Niveau erreicht.

Die Linke hat sich zumindest vorerst von der Wagenknecht-Abspaltung erholt, das BSW dagegen nicht.

Welche Aufgaben vor der Linken liegen, zeigt der große gesellschaftliche Rechtsruck, den diese Wahl wie in einer Momentaufnahme festgehalten hat. Vor seinem Hintergrund erscheint der Erfolg der Linken als kleiner Linksrutsch. Die immer ungenierter rechtsextrem auftretende AfD konnte ihren Anteil verdoppeln; alle Beteuerungen etwa von Friedrich Merz oder Sahra Wagenknecht, die AfD zu schwächen, sie sogar zu halbieren (Merz), blieben leeres Gerede. Und zwar vor allem deshalb, weil Union wie BSW Inhalte der AfD kopierten. Dass so etwas nicht gut ausgeht, ist vielfach bewiesen.

Wagenknechts BSW hat sich in kürzester Zeit selbst entzaubert; ihr Stern sank nach einem grellen Aufleuchten schneller als seinerzeit derjenige der Piratenpartei. Zu widersprüchlich und diffus ist die Politik des BSW, zu schnell ging sie von der Elitenbeschimpfung zur Machtbeteiligung in Thüringen und Brandenburg über, zu stark ist alles nur auf eine Person zugeschnitten, für die der kleine Rest der Partei die Kulisse bildet. Was als politische, unideologische Vernunft ausgegeben wird, ist oft nur konzeptloser Pragmatismus. Etwa fünf Prozent – das wäre eigentlich ein Erfolg für eine ziemlich neue Partei; es ist aber zumindest eine schwere Ernüchterung für das BSW, das letztes Jahr schon in ganz anderen Regionen angekommen war. Zuletzt war der Wahlkampf des BSW von Panik und Hilflosigkeit geprägt. Die Linke hat sich zumindest vorerst von der Wagenknecht-Abspaltung erholt, das BSW dagegen nicht. Noch eine Partei, die den Kapitalismus konserviert – auch wenn sie ihn in Pastellfarben malt –, wird offenbar nicht so gebraucht, wie sie selbst sich das vorstellt.

Dass Wagenknechts Partei Teil des verbreiteten Trends nach rechts geworden ist (obwohl sie von rechts und links nichts mehr wissen will), ist um so bedauerlicher, da wir nun ohnehin eine durch Wahlen bestätigte strukturelle rechte Mehrheit haben: bestehend aus der rechtsextremen AfD und der deutlich nach rechts gerückten Union. Man kann Friedrich Merz nicht mehr glauben, dass er nie mit dieser AfD gemeinsame Sache machen werde.

Merz ist das kalte Herz des Bürgertums; assistiert und getrieben von den Linnemanns, Spahns, Söders und Lindners peilt er eine Diktatur der gnadenlosen Effizienz im Interesse des großen Geldes an, die bis in den persönlichen Bereich der Menschen hineinreichen wird. Die Schwachen in der Gesellschaft haben von ihm nichts zu erwarten. Eine von Merz geführte Regierung wird die von der Ampel und den Vorgängerregierungen hinterlassenen sozialen Schieflagen und Widersprüche nicht beheben, sondern eher noch zuspitzen. Denn Merz betreibt kompromisslosen Klassenkampf von oben. Dass er dennoch gewählt wird, und neben ihm eine erstarkte AfD, stellt Fragen an die gesamte bisherige Wirtschafts-, Sozial- und Demokratiepolitik.

Der künftige Kanzler blinkt nicht nur rechts, er ist bei Bedarf auch bereit, mit den Rechten zu paktieren. Das wissen die SPD – die das mit Abstand schlechteste Ergebnis seit 1949 kassierte, eine regelrechte Demontage – und die Grünen, die immerhin als einzige Ampel-Partei ihr Ergebnis von 2021 etwa halten konnten. Mit Merz’ Erpressungspotenzial werden sie in einer Koalition mit der Merz-Union rechnen müssen, um die sie sich faktisch schon bewerben. Vorleistungen werden bereits erbracht: bei SPD und Grünen etwa in der Migrationspolitik; bei der SPD auch mit dem Bekenntnis, über eine Arbeitspflicht für Bürgergeldempfänger nachzudenken. Wobei die SPD eher eine komplette Runderneuerung braucht, als sich als Mehrheitsbeschafferin für Merz weiter zu verschleißen.

Was nun bevorsteht, ist ein düsteres Kapitel in der Geschichte der Bundesrepublik. Das darf man behaupten, ohne in Schwarzmalerei zu verfallen. Denn zu Optimismus besteht wenig Anlass. Wir gehen in eine Ära der gigantischen Aufrüstung, die mit Sozialabbau bezahlt werden soll. In eine Ära des verschärften nationalstaatlichen Egoismus, verbunden mit Rassismus. In eine Ära von noch mehr rechtem Hass und rechter Hetze. Das alles unter dem Druck des rechtsautoritären Trump-Regimes in den USA, das sich gnadenlos in die Angelegenheiten anderer Länder, auch vermeintlicher Verbündeter, einmischt und jetzt schon Eindruck auf die CDU- und CSU-Führung macht. Selbst Trumps Friedensangebot in Sachen Ukraine folgt lediglich einer kühlen Kosten-Nutzen-Rechnung; sollte sie einmal anders ausfallen, kann sich das Blatt schnell wenden.

In solchen Zeiten ist eine handlungsfähige linke Partei dringend nötig. Deshalb ist es gut, dass Die Linke wieder da ist und neue Kraft gewonnen hat. Noch vor Kurzen wurde beklagt, dass die Partei wegen der Überalterung ihrer Basis kaum noch Kampagnen bestreiten kann. Die massive bundesweite Haustürkampagne in diesem Wahlkampf, die in Deutschland ihresgleichen sucht, hat das Gegenteil bewiesen und Maßstäbe gesetzt. Es sieht so aus, als gäbe es viel zu tun für eine kämpferische Linke.

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