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- Deutsche Polizei in Gaza
Militarisierter Einsatz am Grenzübergang Rafah
In einer EU-Mission sollen Polizei und Zoll aus Deutschland mit Militär und Gendarmerien kooperieren
Vor zwei Wochen hat das Bundeskabinett grünes Licht für eine mögliche deutsche Beteiligung von Bundespolizei, Landespolizei und Zoll an dem EU-Grenzeinsatz am Übergang Rafah gegeben. Zwischen Gaza und Ägypten sichern dort zwei Dutzend »Spezialteams« aus drei EU-Staaten die Kontrolltätigkeiten unbewaffneter Angehöriger der Mission Eubam Rafah ab. Mit dem Beschluss habe man sich gegenüber Brüssel für eine deutsche Teilnahme bereit erklären wollen, erklärt die Bundesregierung. Damit soll in der Region »eine Sicherheitsarchitektur geschaffen werden, die ein Wiedererlangen der Kontrolle des Gazastreifens durch die Hamas verhindert«. Konkrete Pläne für eine Entsendung gebe es aber noch nicht, bestätigt das Innenministerium dem »nd«.
Im Rahmen der Operation soll es täglich einigen Dutzend palästinensischen Zivilist*innen möglich sein, zu Fuß oder im Krankenwagen nach Ägypten auszureisen – im Fokus stehen Verletzte und deren Begleitpersonen. Dazu ist der Übergang von 9 bis 15 Uhr geöffnet. Vorkontrollen erfolgen durch das israelische Militär (IDF) und anschließend durch unbewaffnete Angehörige der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), die nach einer Vereinbarung auf das Tragen von Abzeichen verzichten. Ägypten stellt dazu Container, Wasser und weitere logistische Ressourcen bereit. Israel und die PA haben den EU-Einheiten das Tragen von Waffen erlaubt, deren Einsatz soll aber ausschließlich der Selbstverteidigung dienen.
Das Vorhaben in Rafah könnte hart an der Grenze des in Deutschland geltenden Trennungsgebots von Militär und Polizei verlaufen. Wie aus dem »nd« vorliegenden Einsatzplan hervorgeht, sind die Kommandostrukturen eng mit der IDF verzahnt. So werden etwa Waffen der Missionsteilnehmer in einem israelischen Stützpunkt am wenige Kilometer entfernten Grenzübergang Kerem Shalom gelagert. Die Missionsmitglieder bewegen sich dorthin in gepanzerten Fahrzeugen – wohl auch, weil die Hamas die israelische Anlage in Kerem Shalom wiederholt angegriffen hatte.
Der konkrete Einsatz der EU-Truppe erfolgt in einem 60 Meter langen Korridor. Ein zweiter Ring um diese Anlage wird von der PA und dessen Umgebung von der IDF kontrolliert. Dort hat Israels Militär auch nicht näher definierte geheimdienstliche »Aufklärungs- und Überwachungsfähigkeiten« installiert. Eubam entsendet einen Beamten in ein Lagezentrum des israelischen Verteidigungsministeriums, um sicherheitsrelevante Nachrichten auszutauschen und den Einsatz zu koordinieren.
Mit der 2005 begonnenen EU-Mission in Rafah wollte die EU als neutrale dritte Partei eine Kontrollfunktion an dem wiedereröffneten Grenzübergang einnehmen und den regelmäßigen Waren- und Personenverkehr aus und in das Palästinensergebiet ermöglichen. Auch die Bundespolizei beteiligte sich daran. Israel ordnete nach der Entführung des israelischen Soldaten Shalit im Juni 2006 allerdings die teilweise Schließung an. 2007 wurde die Mission eingestellt, nachdem die Hamas im Gazastreifen die Regierung übernommen hatte.
Die nun Ende Januar neu gestartete Eubam-Mission gilt als »nicht exekutiver Einsatz«. Trotzdem geht sie über die »aktive Beobachtung der Grenzabfertigung« durch die palästinensischen Behörden oder einen »Kapazitätsaufbau der palästinensischen Behörden im Bereich Grenzmanagement« hinaus. Denn nach der weitgehenden Vernichtung der Infrastruktur durch Israels Gaza-Krieg mit geschätzt 50 000 Toten ist die Region hochmilitarisiert.
Laut Bundesregierung soll in Rafah »eine Sicherheitsarchitektur geschaffen werden, die ein Wiedererlangen der Kontrolle durch die Hamas verhindert«.
Wohl deshalb wird der EU-Einsatz bislang nur von den drei wichtigsten europäischen quasimilitärischen Polizeieinheiten getragen: der Gendarmerie aus Frankreich, der Guardia Civil aus Spanien und den Carabinieri aus Italien. Es handelt sich dabei um die Gründerstaaten der Europäischen Gendarmerietruppe (EGF), die einst als EU-Organisation geplant war und im Rahmen von EU- oder UN-Militäreinsätzen »Sicherheit und Ordnung« gewährleisten sollte.
Unter anderem Deutschland hatte sich aber wegen eines zu militärisch ausgerichteten Profils gegen die Einrichtung als EU-Truppe ausgesprochen, die deshalb seit 2006 als multilaterale Organisation agiert. Die EGF hat die Koordination des Rafah-Einsatzes übernommen - nun sollen sich ihr auch deutsche Polizeikräfte unterordnen.
Die Eubam-Mission in Rafah läuft zunächst bis zum 2. März; bis dahin gilt die erste Stufe der Vereinbarung zwischen der Hamas, Ägypten und Israel zum Gefangenenaustausch. Im Auswärtigen Dienst in Brüssel bereitet man sich jedoch auf eine Verlängerung vor. Die EU-Mission könnte auch wichtig werden, wenn Israel wie angekündigt eine Regierungsbehörde zur Förderung der »freiwilligen Ausreise« von Bewohner*innen des Gaza-Streifens in Drittländer einrichtet.
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