Stefan Horngacher vor der WM: »Bloß nicht kompliziert werden«

Der Bundestrainer im Interview über Mensch und Material in der deutschen Skisprung-Krise

  • Interview: Lars Becker
  • Lesedauer: 4 Min.
Auch Karl Geiger muss das gute Fluggefühl erst wieder finden.
Auch Karl Geiger muss das gute Fluggefühl erst wieder finden.

Die deutschen Skispringer sind stark in den Winter gestartet, seit der enttäuschenden Vierschanzentournee aber in der Krise. Was sind die Gründe?

Die Gründe sind vielfältig. Eine genaue Analyse, warum wir die Leistung über die Saison nicht hochhalten können, muss im Frühjahr erfolgen. Der aktuelle Stand ist absolut nicht zufriedenstellend für uns Trainer genau wie für die Sportler. Wir sind dran, um die Dinge zu bearbeiten. Karl Geiger und Philipp Raimund sind nicht zum Weltcup nach Japan geflogen und haben dafür im Training gute Fortschritte gemacht, ihre Sprünge werden deutlich besser. Und wir hoffen, dass auch der Trainingslehrgang in Oberstdorf noch viel gebracht hat.

Liegen die Probleme eher am Trainings-Zustand oder beim Material?

Der technische Ablauf beim Springer ist das Erste, wo wir schauen. Das Zweite ist dann das Material. Aktuell versuchen wir, das Material über die Techniker und die Anzug-Schneiderei weiterzuentwickeln. Aber der Großteil der Misere liegt schon im technischen Bereich: Es hängt viel davon ab, wie ich den Ski im Flug in den Wind bringe, da haben wir ein großes Defizit.

Interview


Stefan Horngacher ist seit sechs Jahren Bundestrainer der deutschen Skispringer. Trotz der größten Krise seiner Amtszeit hofft der 55-jährige Österreicher bei den Nordischen Ski-Weltmeisterschaften, die an diesem Mittwoch in Trondheim eröffnet werden, auf deutsche Medaillen auf den norwegischen Schanzen.

Probleme bei einzelnen Sprüngen gibt es ja immer wieder. Aber warum treten die Probleme in diesem Winter in der kompletten Mannschaft auf?

Das ist definitiv ein Thema, über das wir uns Gedanken machen. Eigentlich sind alle körperlich topfit. Es gibt ein paar technische Fehler, aber die Situation spricht dafür, dass irgendwas im Materialbereich nicht hundertprozentig passt. Wir sind immer noch die Schnellsten beim Runterfahren in der Spur, aber wir haben einfach nicht diesen Flugsupport oder das Fluggefühl, das andere hier zeigen. Wie gesagt, das kann am Material liegen, aber auch daran, dass die Verkrampfung zu groß ist bei den Sportlern.

Was am meisten verblüfft, ist die Entwicklung von Pius Paschke nach dem grandiosen Saisonstart. Er wirkt zunehmend verzweifelt.

Der Pius ist leider Gottes ein Springer, der ein bisschen kopfgesteuert ist, wenn sein Feingefühl nicht unbedingt passt. Wenn er dann verkrampft, kann es auch ganz wild werden. Das hat er oft genug durchgemacht, aber er ist auch oft genug wieder rausgekommen aus der Situation. Als Trainer brauchen wir einen klaren Plan und eine einfache, umsetzbare Korrektur für ihn. Das bringt nichts, wenn man ihm jetzt fünf Sachen erzählt. Es gilt generell für uns Trainer in dieser Situation, dass wir jetzt bloß nicht kompliziert werden.

Wie kann man den Hebel bei den Sportlern umlegen?

Ob Andreas Wellinger, Paschke oder Geiger – es sind immer noch die gleichen Sportler, die schon sehr, sehr erfolgreich waren. Es liegt jetzt am ganzen Team, an Trainern, Betreuern und den Sportlern, gemeinsam wieder heranzukommen an die Weltspitze. Die WM beginnt ja auf der kleinen Schanze in Trondheim, das ist ein wichtiger Punkt für uns, der uns helfen kann. Auf der kleinen Schanze sind wir traditionell immer sehr stark und haben auch in der Vorbereitung nur auf der kleine Schanze trainiert.

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Wie kann man einem Team in der Krise Selbstvertrauen vermitteln?

Am meisten Selbstvertrauen holt man sich immer noch, wenn das Gefühl am Ende des Tages passt. Wenn der Sportler aus dem Training rausgeht und sagt: »Heute war es cool, heute habe ich richtig gespürt, wie der Ski gedrückt hat, wie mein Körper geflogen ist.« Das stärkt das Selbstvertrauen am allermeisten. Die Sportler springen ja Ski, weil es eine coole Sache ist, weil man fliegen kann. Gute Ergebnisse helfen auch. Und wenn man da zuletzt den Weltcup in Lake Placid sieht, wo Andi Wellinger als Letzter oben sitzt und zeigt, dass er schon mit den Besten mithalten kann, dann macht das natürlich wieder Hoffnung.

Haben Sie also Medaillenhoffnungen für die WM in Trondheim?

Wenn du in einer Minusspirale bist, dann geht es immer sehr lange nach unten. Jetzt hoffe ich, dass wir ganz unten angekommen sind und uns relativ schnell wieder nach oben spiralisieren können. Wir sind sicher keine Favoriten, aber wir wollen unsere Außenseiterchance nutzen. Wir fahren sicher nicht nur mit dem Ziel dahin, dass wir vielleicht mit Glück im Team eine Medaille machen. Die Ausgangssituation ist nicht wahnsinnig gut, aber wenn wir in den Flow reinkommen und ein, zwei technische Fehler abstellen können, kann es auch relativ schnell gehen. Bei Weltmeisterschaften gibt es auch eigene Gesetze. Wir arbeiten darauf hin, dass wir in Trondheim schon beim ersten Wettkampf wieder vorn mitspringen können.

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