- Politik
- »Bezahlte Antifa«
Union macht den Trump: 551 Fragen gegen die Zivilgesellschaft
Unionsfraktion im Bundestag übernimmt in Anfrage extrem rechte Narrative über »bezahlte Antifa«
In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist man offensichtlich noch immer sauer über die Brandmauer-Proteste Ende Januar, nachdem Friedrich Merz im Bundestag gemeinsam mit der AfD für eine restriktivere Migrationspolitik abstimmen ließ. Merz und seine Fraktion haben die Brandmauer gebrochen und das wurde ihnen auch hunderttausendfach vorgeworfen. Bei den Demonstrationen, die vielerorts auch an den Parteizentralen der Christdemokraten vorbeizogen, wurde Merz als Wegbereiter des Faschismus benannt.
Das kam bei der CDU/CSU nicht gut an. Schon vor gut zwei Wochen erklärte der stellvertretende Fraktionschef Mathias Middelberg in einem Interview, dass wer mit Aktionen gegen Parteien »Stimmung mache«, seinen finanziellen Status riskiere. Middelberg verwies dabei auf das Förderprogramm »Demokratie leben« des Bundesfamilienministeriums und erklärte, man müsse bei solchen Programmen die Begünstigten »scharf prüfen« und Förderungen gegebenenfalls einstellen. Aus Bayern wurde in der Woche vor der Bundestagswahl bekannt, dass die Polizei dazu angehalten wurde, Demonstrationen gegen CDU und CSU in einem internen Kalender extra zu erfassen. Polizist*innen protestierten dagegen, sie fühlten sich parteipolitisch von der Landesregierung instrumentalisiert.
Nun wurde ein neuer Höhepunkt der Kampagne der CDU gegen ihre zivilgesellschaftlichen Gegner*innen bekannt: eine Kleine Anfrage mit dem Titel »Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen«. Auf 32 Seiten stellt die Fraktion 551 Fragen zur finanziellen Förderung von 18 zivilgesellschaftlichen Organisationen. Das Spektrum ist dabei breit, reicht von den Omas gegen Rechts und der Amadeu-Antonio-Stiftung über Foodwatch und den BUND bis hin zum Netzwerk Recherche und den Investigativjournalist*innen von »Correctiv«. Über sie alle will die CDU unter anderem wissen, ob sie aus öffentlichen Töpfen gefördert werden und wann das jeweils zuständige Finanzamt ihre Gemeinnützigkeit zuletzt überprüft hat. Zudem gibt es zu jeder Organisation zahlreiche Detail- und Einschätzungsfragen, etwa ob die Bundesregierung die Internetseite der Omas gegen Rechts für parteipolitisch neutral hält.
Zum Recherchebüro Correctiv möchte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wissen, wie die Bundesregierung einen Artikel über rechte Hardliner in der CDU »vor dem Hintergrund des gemeinnützigkeitsrechtlichen Neutralitätsgebots« bewertet. Correctiv selbst hat mittlerweile Antworten zu allen Fragen veröffentlicht, darin heißt es, man könne nicht für die Bundesregierung sprechen, der Beitrag sei »anhand von journalistisch geprüften Informationen und Belegen« entstanden. Zu einer Frage nach der Zusammenarbeit mit Stiftungen schreibt Correctiv, auch mit der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung zu kooperieren.
-
/ Sebastian HaakThüringen: Fallweise Kooperation mit der AfDWidersprüchliche Aussagen aus Erfurter Koalition zu Kooperationen mit extremer Rechter
-
/ Christian KlemmJens Spahn: Mitverantwortlich für Normalisierung der AfDDer Unionsfraktionsvize hat den Rechten nun die Hand ausgestreckt, kommentiert Christian Klemm
-
/ Jana FrielinghausSPD und Union: Druck von rechts, Druck durch ZollkriegWegen Absturz der Umfragewerte fordern CDU-Politiker noch schnellere »Asylwende«
Sieben der 18 von der CDU/CSU erwähnten Organisationen haben Stellungnahmen zu der Kleinen Anfrage veröffentlicht:
»Transparenz ist für uns ein hohes Gut. Da sich viele der Fragen auf Interna von Correctiv beziehen, die die Bundesregierung nicht beantworten kann, geben wir hier selbst Auskunft auf die uns betreffenden Fragen.«
Jenseits dessen ist interessant, dass die AfD schon im September 2022 eine ganz ähnliche Anfrage gestellt hat. Die extrem rechte Partei fragte damals nach der Förderung von Nichtregierungsorganisationen; die abgefragten Organisationen in der alten Anfrage der AfD und der neuen der CDU stimmen zu einem Großteil überein. Die Stimmungsmache gegen zivilgesellschaftliche Organisationen hat ihren Ursprung in der extremen Rechten. Akteure von AfD und neuer Rechter sprechen bei antifaschistischen und antirassistischen Protesten seit geraumer Zeit von »Pro-Regierungsdemonstrationen«. Besonders häufig wurde der Begriff gegen die Brandmauer-Demos ins Feld geführt.
Matthias Quent, Professor für Soziologie an der Hochschule Magdeburg-Stendal, fühlt sich auch an zahlreiche Anfragen der AfD erinnert. »Umfang, Breite und Formulierung der Fragen sowie der adressierten Organisationen lassen sich als tiefes Misstrauen gegenüber ehrenamtlichem Engagement in Deutschland deuten«, kritisiert der Wissenschaftler. Angesichts der Gefahren für bürgerliche Freiheiten und dem Vormarsch autoritärer und oligarchischer Staatsformationen in der Welt und dem Erstarken der extremen rechten in Deutschland handele es sich bei der Anfrage um ein »besorgniserregendes Misstrauenszeugnis«. Für Quent ist klar, »der demokratische Verfassungsstaat basiert auf dem Engagement von Bürgerinnen und Bürgern sowie von Vereinen und Initiativen«, dazu gehörten auch kritische Einwände gegen gesellschaftliche Entwicklungen.
Die Omas gegen Rechts aus Hamburg erklären sich die Anfrage der Union mit einem mangelnden Verständnis von Friedrich Merz für solidarisches Engagement: »Es gibt Dinge, die Merz nicht versteht und nie verstehen wird: dass man sich ohne Bezahlung und nur aus Überzeugung für etwas einsetzt, das keinen materiellen Gewinn bringt. Sowas wie Grundgesetz und Demokratie.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.