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Gelesen – dabei gewesen

Neuererscheinungen, annotiert: Von und mit Roger de Weck, Douglas Rushkoff, und F.W. Bernstein

  • Niko Daniel
  • Lesedauer: 5 Min.

Den Journalismus retten

Man muss den Journalismus gegen die Medien und die Milliardäre verteidigen
Man muss den Journalismus gegen die Medien und die Milliardäre verteidigen

Armer alter Journalismus. Print geht dahin, Digital bringt kaum Geld, aber viel Unsinn, der behauptet, mit dem Journalismus konkurrieren zu können. Der Schweizer Journalist Roger de Weck, zuletzt Generaldirektor des Schweizer Rundfunks, hat auf seine alten Tage (er ist Jahrgang 1953) ein nachdenkliches Büchlein veröffentlicht, weil »wir den Journalismus vor den Medien retten müssen« (Untertitel). Denn die sogenannte Aufmerksamkeitsökonomie hat längst die Politik erobert. Donald Trump ist wie rechtsradikales Trashfernsehen an der Macht. »Wer nicht für mich ist, ist gegen mich, lautet das Denkmuster der Autoritären. Folglich gilt: Wer als Journalistin oder Journalist unabhängig berichtet, steht auf der falschen Seite. Unbefangenheit ist parteiisch, journalistisch-kritischer Distanz tendenziös«, fasst de Weck das Elend der rechten Umwertung der Werte wie aus dem Bilderbuch des Totalitarismus zusammen. Der Staat muss gegen diese Kräfte verteidigt werden, damit er dem Journalismus helfen kann, lautet de Wecks Vorschlag zur allgemeinen Gefahrenabwehr. Und mit Staat ist hier die EU gemeint. Das nennt er »Prinzip Trotzdem«: »Journalismus zu machen (…) trotz Medienkonzentration, trotz des Abbaus in Redaktionen, trotz der globalen Plattformen, trotz des kommerziellen Drucks, trotz erodierender Gehälter und Honorare, trotz ›Lügenpresse, halt die Fresse‹, trotz der postfaktischen Ära.«

Roger de Weck: Das Prinzip Trotzdem. Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen. Suhrkamp, 224 S., br., 17 €.

Gefährliche Milliardäre

Die Milliardäre haben Angst. Was sollen sie tun, wenn die Welt in der Klimakatastrophe kaputtgeht? Sie fragten nach beim US-Digital-Theoretiker Douglas Rushkoff. Er dachte, er sollte an einem abgelegenen Ort einen ausgezeichnet bezahlten Vortrag über die »Zukunft der Technologie« auf einem Kongress halten, traf dann aber zu seinem großen Erstaunen auf »fünf superreiche Männer aus der Welt der Tech-Firmen und Hedgefonds. Mindestens zwei von ihnen waren Milliardäre.« Sie wollten von ihm vor allem wissen, was sicherer sei: Neuseeland oder Alaska? Und fragten sich, ob sie für ihr Überleben in extrem abgesicherten Arealen vielleicht bestimmte Roboter bauen sollten, sofern es überhaupt möglich sei, sie »rechtzeitig« zu entwickeln. Für moralische Argumente und Modelle der Kooperation oder Solidarität zur Katastrophenabwehr oder zumindest -milderung waren sie keinesfalls zugänglich, berichtet Rushkoff in seinem Buch »Survival of the Richest«, in dem er sich fragt, was aus der einstigen Internet-Revolution der 70er-Jahre-Hippies geworden ist, dass solche barbarischen Kapitalisten denken, sie wären die Einzigen, die von der Menschheit übrig bleiben müssten.

Wie fing das im World Wide Web an? »Es dauerte nicht lange, da fand man in fast allen Reden, Artikeln, Studien, Dokumentationen oder Weißbüchern über die entstehende digitale Gesellschaft Verweise auf irgendein Tickersymbol eines Börsenwerts«, erinnert sich Rushkoff. Er nennt das »blindes Wachstumsstreben«: »Unternehmen verstehen sich als Kolonisatoren und betrachten die Bevölkerung der Länder, auf deren Märkte sie vordingen, als indigene Einheimische, die ausgebeutet werden müssen.« Immerzu geht es ihnen darum, Monopole zu errichten, ganz so wie es Lenin und seine Genossen schon vor über 100 Jahren festgestellt haben. Wenn allerdings im »postmodernen Wirtschaftskrieg« die Erde tendenziell unbewohnbar wird, träumen die Milliardäre davon, die Reset-Taste zu drücken, gegen die Gesellschaft, gegen den Staat und unterstützt von Horden sexuell frustrierter, toxischer Männer, die sich heute schon im Internet mobilisieren lassen. Es ist wie bei Dagobert Duck in Entenhausen: »Je mehr Milliarden der Milliardär besitzt, desto größer wird seine Furcht und desto umfangreicher seine Gegenmaßnahmen.« Nur sind diese Gegenmaßnahmen nicht lustig, wir spüren sie schon jetzt.

Douglas Rushkoff: Survival of the Richest. Warum wir vor den Tech-Milliardären noch nicht einmal auf dem Mars sicher sind. A. d. Engl. v. Stephan Gebauer. Suhrkamp, 288 S., br., 22 €.

Genie Bernstein

F.W. Bernstein (1938-2018) war der erste Professor für Karikatur in Deutschland. Er lehrte von 1984 bis 1999 an der UdK in Berlin. Er war ein Genie der »Hochkomik«, um mal einen Begriff der Zeitschrift »Titanic« zu gebrauchen, zu deren Mitgründern er zählte, nachdem er mit anderen die Satirezeitschrift »Pardon« verlassen hatte, die das nicht verkraftete und dann ziemlich schnell zugrunde ging. Dort hatte er mit seinen ebenfalls genialen Freunden Robert Gernhardt und F.K. Waechter die Neue Frankfurter Schule begründet, als sie 1964 die »Welt im Spiegel« aus der Taufe hoben, eine Fake-Zeitung als Doppelseite in einem Monatsmagazin. Wie gut das war, merkten die deutschen Feuilletons erst Jahrzehnte später – logisch. Und erst in diesem Jahrhundert verstanden sie, dass komische Literatur und Kunst zum Kanon gehört. Den Büchner-Preis hat trotzdem niemand von den drei Freunden bekommen.

F.W. Bernstein war auch ein großer Postkartenschreiber. Und die Motive zeichnete er selbst, fast täglich. Diese – größtenteils verschickte – Postkartenkunst hat jetzt sein Freund und Grafiker Henner Drescher eingesammelt und zu dem sehr schönen Buch »Postkarten vom Ich« vereinigt. Es sind sozusagen notierte Zeichnungen, Bilder und auch kleine Gemälde, die immer nur ein Thema haben: die verschiedenen Zustände und Stimmungen von Bernstein selbst. Sehr frisch, witzig und auch berührend. Man sieht ihn als »dICHter« (mit Lorbeerkranz) oder als »KranICH«, auch als »Ausdrucksstudie Muss mal« (Hände vor dem Hosenlatz) oder als Harlekin, der sich fragt: »Ob ich so durchs Narren-Examen komme?«, oder als Leser in einem Kochtopf auf den Schultern eines anderen mit der Forderung: »Immer einen kühlen Topf bewahren«.

In einem sehr instruktiven Vorwort nennt Andreas Platthaus, der Comic-Experte der »Faz«, dies eine »große Ahnungsgalerie«, um festzustellen: »Es dürfte keinen Künstler geben, der sich selbst derart zum Gegenstand seines eigenen Werks, und auch keinen, der sich selbst dabei derart zum Gegenstand seines eigenen Spotts gemacht hat.« Platthaus weist darauf hin, dass Bernstein dabei zwei »Ahnherren« Pate gestanden hätten: »Goethe als Meister des Bildungsromans und Wilhelm Busch als Meister der Bildgeschichte.«

F.W. Bernstein: Postkarten vom Ich. Herausgegeben von Henner Drescher. Favoritenpresse, 208 S., geb, 24 €.

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