Ort der kreativen Ich-Leistung

Museyroom (21): Das Toilettenmuseum in der südkoreanischen Stadt Suwon

  • Jürgen Schneider
  • Lesedauer: 4 Min.
Eine interessante Bettpfanne, die da im Museumspark ausgestellt ist
Eine interessante Bettpfanne, die da im Museumspark ausgestellt ist

Der Darminhalt stellt einen Reizkörper für eine sexuell empfindliche Schleimhautfläche dar«, verkündete Sigmund Freud in der zweiten seiner »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie« (1905). 1914 führte Sándor Ferenczi die »Ontogenie des Geldinteresses« auf die anale Phase zurück. Am 5. Juni 1935 schrieb Theodor W. Adorno an Walter Benjamin: »Sie sollten unbedingt alles lesen, was von Freud und dem sehr bedeutenden Ferenczi über den Analcharakter und das Analproblem existiert.« 1962 fasste die 1933 als Jüdin aus Deutschland vertriebene Psychiaterin und Psychoanalytikerin Paula Heimann die »Analität als Prototyp der kreativen Ich-Leistungen« auf. Eine solche kreative Ich-Leistung ist das »Mr. Toilet House«, das Toiletten-Museum in der 34 Kilometer südlich von Seoul gelegenen südkoreanischen Stadt Suwon. Dieses Museum heißt auf koreanisch »Haewoojae«. Das Wort leitet sich von »Haewooso« her, was soviel wie »Ort, um seine Sorgen loszuwerden« bedeutet.

Museyroom

Im Museum liegt die Kraft. Glauben Sie nicht? Gehen Sie doch mal rein! Jeden Monat stellen wir eins vor, in Text und Bild. So wie James Joyce es in »Finnegans Wake« geschrieben hat: »This is the way to the museyroom.«

In »Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste« von Johann Heinrich Zedler (Bd. 1, 1732) hieß es: »Abtritt, Häußgen, heimlich Gemach, Secret, ist der nothwendige Ort bey einer Haushaltung, dahin der Mensch seinen Leib zu erleichtern Abtritt nehmen kan. (…) Die Römer schlossen alle ihre Abtritte in Mauern ein; die Teutsche hingegen haben die unsaubre Weise, solche offen zu lassen. Mithin da der garstige Anblick und Gestanck dem Nachbar die Lufft verfälschen kan; so will nöthig seyn, darüber zu halten, und durch neue Satzungen dem üblen Gesicht und Geruch zu Hülffe zu kommen.«

Der südkoreanische Unternehmer Sim Jae-Duck wurde im Januar 1939 auf einer Außentoilette seiner Großeltern mütterlicherseits geboren, für die noch keine solche Hülffe aufgeboten worden war. Auch in Korea war in Vergessenheit geraten, dass der englische Dichter John Harington bereits 1596 ein Wasserklosett erfunden hatte. Doch sein Geburtsort, so Sim, war bewusst gewählt: »Meine Mutter folgte dem Rat meiner Großmutter, wonach auf der Toilette geborene Menschen sich eines langen Lebens erfreuen.« Sim wuchs mit dem Spitznamen »Gaeddong-yi« auf, der ins Deutsche übertragen Hundekacke bedeutet.

1995 wurde Sim Jae-Duck Bürgermeister von Suwon, startete eine Kampagne zur Verbesserung der Toiletten und nannte sich fortan »Mr. Toilet«. »Sanitäre Einrichtungen, besonders saubere und sichere Toiletten, können Millionen Menschen vor Krankheit und Tod schützen«, erklärte er. 2007 verwies er darauf, dass nach Untersuchungen der UN zwei Millionen Menschen jährlich sterben müssten, weil die Toiletten unzureichend seien und die mangelhafte Kanalisation todbringende Keime verbreite.

Sim Jae-Duck schrieb ein Buch mit dem Titel »Happy to be with you, Toilet!« und war 2007 maßgeblich an der Gründung der World Toilet Association beteiligt. Sim ließ sein Haus umbauen – in Form einer überdimensionierten Kloschüssel. Nach seinem Tod 2009 ging Sim Jae-Ducks Haus an die Stadt Suwon über. Seither steht das zweistöckige Mr. Toilet House aus Glas, Stahl und Beton den Bürgern als Museum zur Verfügung – bei freiem Eintritt, auch für den dazugehörigen knapp 2000 Quadratmeter großen Toiletten-Kulturpark.

Im 1. Stockwerk des Museums wird die Geschichte vom Plumpsklo bis zum Hightech-WC erzählt. Zu sehen sind neben koreanischem und chinesischem Nachtgeschirr sowie europäischen Bettpfannen unterschiedliche Formen und Fabrikate von Toiletten aus der ganzen Welt sowie auch die diversen Symbole, mit denen diese öffentlich gekennzeichnet werden. Zu bestaunen ist zudem die zentral positionierte einstige Toilette von Sim Jae-Duck. Sie besteht aus einem durchsichtigen Spezialglas, das sich per Knopfdruck blickdicht machen lässt. Das zweite Stockwerk ist Wechselausstellungen vorbehalten, wie etwa einer Präsentation, in der gezeigt wurde, wie Fäkalien in wertvolle Energieressourcen verwandelt werden können. 2024 war die Ausstellung »Die Geschichte der Toiletten-Kulturbewegung in Suwon« zu sehen.

In den Außenanlagen des Parks rund um das Mr. Toilet House liegen Kitsch und Klo nahe beieinander. Vorbei an einem riesigen, goldenen Scheißhaufen mit Flügeln sowie an Figuren, die ihre Notdurft verrichten, führt ein Weg zu historischen Klos Koreas. So etwa zu einer tragbaren WC-Schüssel aus Porzellan, in die sich einst die Könige entleerten. Der Stuhlaustritt der Erlauchten wurde deren Leibarzt gebracht, der untersuchte, ob die Herrschaften gesund waren.

Mehr mit Videokunst als mit Lokuskultur hat das 2008 eröffnete Nam June Paik Art Centre zu tun, das sich ebenfalls in Suwon befindet. Hier werden primär Werke von Nam June Paik (1932-2006) gezeigt. Der aus Korea stammende US-amerikanische bildende Künstler und Komponist gilt als ein Begründer der Video- und Medienkunst. In den 1960-er Jahren war Paik neben George Maciunas einer der Protagonisten der Fluxusbewegung, die sich unter dem Motto »Alles fließt« auf das Prozesshafte konzentrierte. 1962 fanden im damals städtischen Museum Wiesbaden unter Beteiligung von Paik die Fluxus – Internationalen Festspiele Neuester Musik statt. Als 2022 mit einer Ausstellung im Nassauischen Kunstverein an dieses bahnbrechende Ereignis erinnert wurde, standen dort Nachttöpfe herum. Danach gefragt, was es damit auf sich habe, antwortete die mit Fluxus verbundene Künstlerin Ann Noël: »Da kommt Fluxus-Scheiße rein.

»Meine Mutter folgte dem Rat meiner Großmutter, wonach auf der Toilette geborene Menschen sich eines langen Lebens erfreuen.«

Sim Jae-Duck

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