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Stars und Sternchen

Das Museum Barberini in Potsdam zeigt Werke der Geometrischen Abstraktion aus sieben Jahrzehnten

Wassily Kandinsky, Oben und links, 1925 Öl auf Karton, 70 x 50 cm
Wassily Kandinsky, Oben und links, 1925 Öl auf Karton, 70 x 50 cm

Am Anfang war das weiße Oval. So erzählt zumindest die Ausstellung »Kosmos Kandinsky«, die derzeit im Potsdamer Museum Barberini läuft, die Genesis der Geometrischen Abstraktion. Gleich neben dem Eingang hängt im ersten Saal ein Gemälde Wassily Kandinskys (1866–1944), das im expressionistischen Stil drei bunte Figuren vor einer Landschaft zeigt – im oberen Bilddrittel allerdings ebendieses weiße Oval, das nichts mit dem Motiv zu tun hat, sondern einfach Leere und Stille vermittelt. »Weißer Klang« heißt diese 1908 entstandene Malerei. Sie markiert einen Übergang von Kandinskys expressionistischem zu seinem ungegenständlichen Werk.

Im Titel drückt sich Kandinskys Verständnis von Ästhetik aus. Von damals neuen Wissenschaften wie der Neurologie und der Psychologie beeinflusst, war er davon überzeugt, dass Farben, Formen und Töne jeweils universelle Eigenschaften zukämen, die in einem Wechselverhältnis zueinander stünden. Ein Dreieck zum Beispiel signalisiere durch seine Spitzen Aktivität und Bewegung, die Farbe Rot Leidenschaft und Dynamik. Mit derartigen Zuordnungen sollte die Wirkung von Kunstwerken Kandinsky zufolge zumindest teilweise rational erklärbar sein. In seinem theoretischen Hauptwerk »Über das Geistige in der Kunst« verknüpfte er wissenschaftliche Erkenntnisse mit spirituellen Vorstellungen.

Das Buch wurde 1911 publiziert, im selben Jahr lösten abstrakte Werke Kandinskys in einer Münchner Ausstellung einen Skandal aus. Gemeinhin gilt er deswegen als Urvater der Abstraktion. Allerdings bedeutet dies nicht – wie das Barberini-Museum mit seinem interstellaren Ausstellungstitel suggerieren könnte –, dass seither alle Künstlerinnen und Künstler, die sich mit Geometrischer Abstraktion beschäftigten, um ihn kreisten wie Planeten um eine Sonne. Vielmehr gab es schon zu Beginn Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Künstlern wie zwischen Bewegungen. Kandinskys Betonung des Geistigen der Kunst etwa stieß bei den meisten Künstlern in seiner Heimat Russland, wohin er 1914 aus seiner Studienstadt München zurückgekehrt war, auf Widerstand. Die Konstruktivisten um Kasimir Malewitsch und El Lissitzky waren materialistischer eingestellt, suchten nach objektiven Grundlagen für ihre Kunstproduktion und stellten diese in den Dienst der Revolution.

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Während in Russland 1917 Revolution gemacht wurde, gründeten in den Niederlanden Piet Mondrian, Theo van Doesburg und andere die De-Stijl-Bewegung. Diese orientierte sich an Theosophie und Idealismus und wollte durch Reduktion künstlerischer Mittel – es durften nur Schwarz, Weiß, Primärfarben und gerade Linien verwendet werden – eine universale Wahrheit zutage fördern. Auch hier kam es schon bald zur Entfremdung: 1925 verließ Mondrian die Gruppe wegen unterschiedlicher künstlerischer Vorstellungen und Meinungsverschiedenheiten.

Das Barberini-Museum hat Werke aus verschiedenen Strömungen und Episoden der Geometrischen Abstraktion, die bislang zumeist nicht zusammenhängend betrachtet wurden, zu einer eindrücklichen Schau zusammengetragen. Dabei fungiert das Label »Geometrische Abstraktion« als Überbegriff, der alle ungegenständlichen, geometrischen Formen in der Kunst fasst. Darunter fallen von Konstruktivismus und Suprematismus in Russland über Bauhaus, De Stijl und der britischen Variante des Konstruktivismus bis zur Hard-Edge-Malerei und OP-Art in den USA zahlreiche Spielarten der modernen Kunst.

Kandinskys Betonung des Geistigen der Kunst etwa stieß bei den meisten Künstlern in seiner Heimat Russland auf Widerstand.

Das Barberini-Museum nimmt zudem den langen Zeitraum von den 1900er Jahren bis hinein in die 60er Jahre in den Blick, was zusammengenommen ein großes Star-Aufgebot ermöglicht: Neben zwölf Gemälden von Kandinsky lassen sich in der Ausstellung etwa auch kleine Figuren von Malewitsch, Raster von Mondrian, bunte ineinander verschachtelte Quadrate von Frank Stella oder der minimalistische »Sommerhimmel II« von Agnes Martin betrachten.

Warum aber, mag man sich fragen, ist eine historische Überblicksausstellung nach einem einzigen Künstler benannt? Immerhin stammen 113 der 125 ausgestellten Werke nicht von diesem. Der begleitende Katalog bietet hierauf einige Antworten. Kandinskys Gemälde hätten, schreibt Barberini-Direktorin Ortrud Westheider, drei Generationen von Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt inspiriert. Und tatsächlich wird in den Katalogtexten oft angeführt, was bestimmte Künstlerinnen und Künstler mit Kandinsky zu tun hatten – sei es über einen direkten, nachweisbaren Einfluss oder über Analogien beider Werke. So brachte etwa Max Bill, ehemaliger Schüler von Kandinsky am Bauhaus in Dessau, dessen Ideen in die Zürcher Schule der Konkreten hinein, und das Schachbrettmuster, mit dem Kandinsky schon am Bauhaus experimentiert hatte, bildete die Grundlage für viele OP-Art-Werke.

Weiterhin vermittelt diese Ausstellung, dass die Geschichte der Geometrischen Abstraktion eine der politischen Umbrüche, der Vertreibung und Emigration ist. Stalin setzte den Avantgarde-Strömungen in Russland ein Ende, Hitler denen in Deutschland. Dies führte dazu, dass erst Paris und dann London die Städte waren, in denen die Geometrische Abstraktion maßgeblich weiterentwickelt wurde, bevor viele ihrer Vertreter schließlich ins Exil in die USA gingen. Auch Kandinsky selbst zählte zu den Emigranten: Im Alter von 66 Jahren zog er 1933 von Deutschland nach Paris und machte unter anderem Bekanntschaft mit den dort dominierenden Surrealisten, was sich in seiner Malerei niederschlug. Im Dezember 1944 starb Kandinsky in Neuilly-sur-Seine bei Paris.

»Kosmos Kandinsky. Geometrische Abstraktion im 20. Jahrhundert«, bis 18. Mai, Museum Barberini, Potsdam.

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