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Berliner Autor Björn Kuhligk: »Die Stadt hat es verdient«

Interview: Der Autor von »Berlin-Beschimpfung« über das gespaltene Verhältnis zu seiner Heimatstadt

  • Interview: Patrick Volknant
  • Lesedauer: 7 Min.
Berlin-BeschimpfungDie Hauptstadt als liebenswerter Albtraum: Björn Kuhligk beschimpft Berlin aus Zuneigung.
Berlin-BeschimpfungDie Hauptstadt als liebenswerter Albtraum: Björn Kuhligk beschimpft Berlin aus Zuneigung.

Herr Kuhligk, Ihrer ernüchternden Definition nach dauert der Berliner Winter, in dem »der Himmel mit einer verdreckten Platte zugenagelt« ist, von Oktober bis April. Wir haben also noch nicht einmal die Hälfte hinter uns. Wie sind Sie bis jetzt durch die dunkle Jahreszeit gekommen?

Um im Sound des Buches zu bleiben: Es läuft katastrophal. Alles ist dreckig und schmierig wie immer. Über die wärmeren Tage zwischendurch freue ich mich ein bisschen. Aber die verheißen im Grunde ja auch nichts Gutes, weil der Klimawandel dafür verantwortlich ist.

Ihre Heimatstadt genießt in Deutschland keinen guten Ruf, das berüchtigte Berlin-Bashing ist Volkssport. Warum braucht es also noch Ihre »Berlin-Beschimpfung«?

Das ist dieser Hauptstadteffekt. Jeder hat eine Meinung zu Berlin, weil die Stadt allen zu gehören scheint. Manchmal werden dann Dinge, die in einzelnen Bezirken wie Neukölln passieren, kurzerhand auf ganz Deutschland projiziert. Mich hat das als Berliner lange genervt, inzwischen ist es mir aber egal geworden. Ich glaube allerdings nicht, dass das Buch in diese Kategorie fällt.

Sondern?

Wenn es denn eine Zielgruppe für unsere »Berlin-Beschimpfung« gibt, dann sind es Berliner, die schon ein paar Monate hier leben, sich für die Stadt interessieren und auch ein bisschen länger bleiben wollen. Außerdem weiß ich, dass auch ältere Menschen das Buch kaufen, um es ihren Kindern zu schenken, die schon wieder aus Berlin weggezogen sind.

Interview

Björn Kuhligk, geboren 1975 in West­berlin, ist Schriftsteller und Fotograf. Für seine Arbeiten erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, darunter das Grenz­gänger-Stipendium, den Arno-Reinfrank-Literaturpreis und das Arbeitsstipendium des Berliner Senats. Neben »Berlin-Beschimpfung« erschienen zuletzt der Essay »Grenze« im Verlagshaus Berlin sowie der Bild­band »Schöne­feld« (alle 2024) bei Favoriten­presse.

In Berlin zu bleiben, wird zumindest immer teurer und schwieriger. Im Buch kommen Sie früh auf Gentrifizierung und steigende Mieten zu sprechen.

Ich wohne mit meiner Familie in Kreuzberg und wir gehören zur letzten Welle derjenigen, die noch halbwegs anständige Mietverträge bekommen haben. Mittlerweile bleiben hier die Kinder bei den Eltern wohnen, weil es einfach zu teuer ist. Statt dass sie ausziehen, werden neue Wände und Etagen in die Altbauwohnungen eingezogen. Währenddessen sind viele verschrobene Leute, die den Kiez besonders gemacht haben, heute verschwunden.

Mit einem wohlwollenden Vorurteil über die Eingeborenen räumen Sie im Buch allerdings auf: Dass sich unter der rauen Schale des Berliners ein liebenswerter Kern verberge, weisen Sie entschieden zurück.

Das mit der Unfreundlichkeit stimmt zwar, ist mir im Grunde genommen aber auch viel lieber so. Wenn ich in Baden-Württemberg an der Kasse stehe und bezahle, werde ich zwar freundlich behandelt. Dafür habe ich dann aber das Gefühl, dass sich unter dieser Freundlichkeit sämtliche Abgründe der Menschheit auftun. Außerdem hilft mir in Berlin immer der Dialekt, den ich glücklicherweise beherrsche und der automatisch dazu führt, dass man direkter wird. Wenn mich jemand anpampt, pampe ich halt zurück.

Klingt, als hätten Sie zumindest für den Berliner Dialekt ein bisschen Liebe übrig.

Einerseits nervt er mich, weil er sich wirklich ein bisschen doof anhört. Andererseits geht mir das Herz auf, wenn ich ihn höre. Der Dialekt hat etwas Verbindendes, ich sehe ihn sogar als eine Art Gegenbewegung zur Globalisierung, um mal ein großes Wort zu benutzen. Er hat mir sogar schon einmal dabei geholfen, einen Schrebergartenplatz zu ergattern.

Es ist nicht das erste Mal, dass Sie über Berlin schreiben. Für die »Taz« und das »Magazin« haben Sie liebevolle Alltagsbeobachtungen aus der Hauptstadt niedergeschrieben. Warum jetzt das böse Blut?

Die Alltagsbeobachtungen hatten immer schon einen komischen Einschlag. Bei der »Berlin-Beschimpfung« habe ich jetzt komplett losgelassen – und eine Seite an meinem Schreiben entdeckt, die mir gefällt. Aus meiner Sicht war die Arbeit fällig. Ich gehe auf die 50 zu und habe ein Anrecht darauf, den Ort zu beschimpfen, an dem ich fast mein gesamtes bisheriges Leben verbracht habe. Und seien wir mal ehrlich: Die Stadt hat es verdient.

Für die Illustrierung der »Berlin-Beschimpfung« haben Sie mit dem Illustrator Jakob Hinrichs zusammengearbeitet, unter anderem bekannt durch seine Graphic Novel von Hans Falladas »Der Trinker«. Sind Sie sich in Sachen Berlin denn einig?

Jakob und ich haben uns kennengelernt, als ich für sein – übrigens sehr gelungenes – Buch »Berliner geflügelte Worte« das Vorwort geschrieben habe. Jetzt, bei der »Berlin-Beschimpfung« habe ich mir schon während des Schreibens die ganze Zeit vorgestellt, dass er das Ganze illustriert. Und ja: Er teilt auch gewisse Ansichten, die ich auf die Stadt habe.

Neben städteplanerischen Entscheidungen wie am Alexanderplatz, »dem wachgewordenen Albtraum eines bösen Städteplaners«, zeigen Sie sich auch von der Berliner Autopolitik enttäuscht. Man könne sich, schreiben Sie, ein Beispiel am kolumbianischen Bogota nehmen, das sonntags die Innenstadt für den Autoverkehr sperrt.

Der Deutsche liebt sein Auto einfach sehr und gerade Westberlin war durch die CDU schon immer eine Autostadt. Zwischenzeitig schien sich da ein bisschen was zu bewegen, aber jetzt wird wieder knallharte Autolobby-Politik betrieben. Es sind zu viele Interessen im Spiel, das versaut einfach sehr viel.

Ganz generell gewinnt man beim Lesen Ihrer »Berlin-Beschimpfung« den Eindruck, dass es mit der Hauptstadt bergab geht.

Ich weiß nicht, ob es bergab geht, aber es geht auf jeden Fall nicht bergauf. Ich würde sagen, das Ganze stagniert gerade – mit Hang zum Abhang. Wenn man allein schon auf den Bildungsbereich schaut, sich den Zustand der Schulen vor Augen führt, dann ist das einfach beschissen. Gleiches gilt für die Kürzungen im Kulturbereich. Es gibt offenbar überhaupt kein Verständnis dafür, was Kultur eigentlich ist und welche Bedeutung sie in der Menschheitsgeschichte einnimmt, gerade bei der Entwicklung von Städten. In Berlin war noch nie alles super, ich habe schon das Gefühl, dass gerade vieles zusammenkommt. Mit Sicherheit war das auch ein Auslöser für das Buch.

Worauf lässt es sich eigentlich besser schimpfen: auf den Osten oder den Westen?

Ich glaube, über beides lässt sich gleich gut schimpfen. Beide Stadthälften waren auf eigene Art ziemlich runtergerockt: Ostberlin durch die DDR-Planwirtschaft und Westberlin durch eine Mischung aus Lobbyismus und mafiösen Strukturen innerhalb der Bauwirtschaft. Natürlich gibt es aber jede Menge Unterschiede. Das beginnt bei den unterschiedlichen Gehältern bei gleicher Arbeit und endet bei den Ampelmännchen.

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Was hält Sie denn noch in der Hauptstadt? Können Sie sich vorstellen, irgendwann doch noch aus Berlin wegzuziehen?

Was Berlin hat, ist diese große Freiheit. Ich könnte im Bademantel einkaufen gehen und es würde niemanden stören. Ich weiß nicht, ob ich das irgendwo anders in Deutschland machen könnte. Gut möglich allerdings, dass irgendwann die Leidensfähigkeit nicht mehr so stabil ist und man den Punkt erreicht, an dem man denkt, dass es woanders besser wäre.

Als kleiner Trost für die Berliner*innen bleibt vielleicht, dass Sie das Nachbarland genauso wenig verschonen. Brandenburg, schreiben Sie, sei »in seiner Gesamtheit ungefähr so aufregend wie ein Quadratkilometer Beton«.

Auch über Brandenburg habe ich schon ein Buch geschrieben. Wie bei Berlin gilt: Wenn ich keine Zuneigung verspüren würde, hätte ich das nicht getan. Alles, was einem Berlin nicht bietet, im Positiven wie im Negativen, kann man in Brandenburg finden. Ich fahre häufig hin, einfach für die Ruhe und die Natur.

Also heißt es eines Tages dann doch: Ab in den Speckgürtel?

(lacht) Nein. Tut mir leid, aber der Speckgürtel ist wirklich nicht sexy. Außerdem bezweifle ich, dass ich da im Bademantel einkaufen kann.

Björn Kuhligk: Berlin-Beschimpfung. Illustrationen Jakob Hinrichs. Favoritenpresse, 64 S., geb., 16 €.

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