Der 1. FC Union Berlin sucht die Kraft von Köpenick

Der Verein hat sich verloren – das zeigen verunsicherte Fußballer und zurückhaltende Fans

In guten wie in schlechten Zeiten Unions Präsident: Dirk Zingler mit sorgenvollem Blick
In guten wie in schlechten Zeiten Unions Präsident: Dirk Zingler mit sorgenvollem Blick

Um das Hier und Jetzt fassen zu können, hilft schon mal der Blick zurück. Im Jahr 2011 verkaufte der 1. FC Union erstmals Anteile an seinem Stadion. Die Alte-Försterei-Aktie sorgte bundesweit für Aufsehen: Während die Berliner im dritten Zweitligajahr immer noch versuchten, sich sportlich so richtig im Profifußball zu etablieren, wurde der Verein durchaus schon zu einem Vorbild – für alternative Finanzierungsformen und Teilhabe seiner Mitglieder. Der Verkauf von rund 5400 Aktien brachte 2,7 Millionen Euro, die in den Neubau der Haupttribüne flossen.

Etwas mehr als 13 Jahre später sind die Dimensionen andere: Der Verkauf von 49 000 Stadionaktien spülte jüngst knapp 25 Millionen Euro in die Vereinskasse. Klingt nach einer Erfolgsgeschichte. Der Weg dorthin war es allemal: 2019 wurde der Traum von der Bundesliga wahr, vier Jahre später spielte der 1. FC Union in der Champions League.

Siegessicheres Lachen

Im November, als der Verkauf der neuen Stadionaktien offiziell beschlossen wurde, sprach Unions Präsident Dirk Zingler von »einer Aktie für jedes Vereinsmitglied«. Seine einfache Rechnung: 120 000 Aktien werden ausgegeben, 50 000 nimmt der Verein, »bleiben 70 000 Aktien übrig«. Siegessicher scherzte Zingler damals auf der Hauptversammlung der Stadionbetriebs AG noch, dass einfach noch mal neue Aktien ausgegeben werden, wenn die Nachfrage jetzt größer sei als das Angebot. Das Lachen darüber ist längst verhallt.

Nur wenige der mittlerweile rund 70 000 Mitglieder waren bereit, 500 Euro für ein Stück Papier zu bezahlen, um sich dann selbst Stadionbesitzer nennen zu können und ihren Verein insgesamt um 60 Millionen Euro reicher zu machen. Nur 9000 Aktien wurden verkauft, 40 000 hat der Verein selbst genommen. Dieses Ergebnis war dem 1. FC Union nach einer zuvor groß angelegten Werbekampagne nicht mehr als eine kleine Meldung wert.

Peinliche Werbung

Das selbst ernannte Magazin für Fußballkultur »11 Freunde« beschrieb die Entwicklung bei Union als »fortschreitende Selbstentfremdung«. Dieses Bild wird durch den Ausgang des Aktienverkaufs bestätigt, war aber Teil eines Textes zum 0:6 am vergangenen Wochenende in Dortmund. Zu sehen war dort eine in der Offensive chancenlose Berliner Mannschaft, die sich willenlos an die in diesem Fall gelbe Wand spielen ließ. Noch peinlicher machte den Auftritt die Ankündigung zuvor: Der Vermarktung des übertragenden Bezahlsenders folgend, hatte Union die Begegnung bei der Borussia als »Topspiel« verkauft – es spielte der 11. gegen den Tabellen-13.

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Alle, die es gut mit den Köpenickern meinen, hoffen nun, dass das halbe Dutzend von Dortmund der Tiefpunkt bleibt – es war Unions höchste Niederlage in bislang viereinhalb Erstligajahren. Auch an dieser Stelle ein Rückblick: Am 31. August 2019 feierten die Berliner gegen den BVB ihren ersten Bundesligasieg. Dieses sagenhafte 3:1 und alle weiteren Erfolge über den Klassenerhalt bis hin zur fußballerischen Reise durch Europa wurden mit der besonderen Kraft von Köpenick, dem großen Zusammenhalt im Verein erklärt. Viel ist davon nicht mehr übrig geblieben.

Ihren Erfolgsweg haben die Köpenicker im größten Jubel verlassen: Nach der Qualifikation für die Champions League im Mai 2023, wollte Union nicht mehr nur »konkurrenzfähig sein. Wir sind heute in einer Situation, entscheiden zu können, was gut für unseren Klub ist«. Damit meinte der damalige Sportchef Oliver Ruhnert vor allem die Zusammenstellung der Mannschaft. Danach ging es steil bergab.

Kein Vorbild

Im Konzert der Großen hat sich der Verein verloren, befremdliche Entscheidungen getroffen. Das traditionelle Heimspiel-Rot für einen Sponsor zu opfern, damit dessen Logo auf dem weißen Trikot besser strahlen kann? Wenig vorbildlich! Der Blick zurück hilft nicht nur die Gegenwart zu verstehen, sondern auch die Zukunft besser zu gestalten. So richtig weiß man leider nicht, wie es um die Aufarbeitung steht: Der übliche Medientermin zur Analyse der vergangenen Saison fiel nach dem knapp erreichten Klassenerhalt leider aus. Der Verein wolle nach vorn schauen, hieß es im Mai.

Ein ordentlicher Abstiegskampf – der ist manchem Fan in Köpenick vielleicht sogar lieber als das große Ballyhoo. Doch die Verunsicherung beim 1. FC Union führt bei den Fußballern mehr zu lähmender Angst, den großen Willen zeigen andere – wie Heidenheim, Augsburg oder St. Pauli bei ihren Siegen gegen Union. An diesem Sonntag kommt der Tabellenletzte Holstein Kiel in die Alte Försterei: Sollten die Berliner wieder auf ihren wackligen Abwehrbeinen stehen, kann es richtig ungemütlich werden.

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