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EU-Agentur sieht Asyl-Trendwende

Weniger Anträge von Menschen aus Syrien, Afghanistan und Türkei, aber mehr aus Lateinamerika

Geflüchtete in einem Lager nördlich von Nikosia. In Zypern suchen besonders viele Menschen Asyl.
Geflüchtete in einem Lager nördlich von Nikosia. In Zypern suchen besonders viele Menschen Asyl.

Die Zahl der Asylanträge in der Europäischen Union und den assoziierten Ländern in Norwegen und Schweiz ist im Jahr 2024 deutlich zurückgegangen. Laut einem aktuellen Bericht der in Malta ansässigen Europäischen Asylagentur (EUAA) wurden in diesen als »EU+« bezeichneten Staaten rund 1 014 000 Asylanträge gestellt. Das ist ein Rückgang von elf Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Besonders in Deutschland gab es weniger neue Asylbewerber*innen, trotzdem wurden dort im vergangenen Jahr die meisten Anträge gestellt. Weitere Hauptzielländer von Asylsuchenden waren Spanien (166 000), Italien (159 000) und Frankreich (159 000) mit jeweils etwa 16 Prozent aller Anträge.

Auffällig ist der markante Rückgang bei den bisher drei größten Herkunftsgruppen: Anträge von Menschen aus Syrien bilden zwar weiterhin die größte Gruppe, aber ihre Zahl sank um 17 Prozent auf 151 000. Aus Afghanistan gingen sie um 24 Prozent auf 87 000 und aus der Türkei sogar um 45 Prozent auf 56 000 Anträge zurück. Aus Bürgerkriegsländern wie Myanmar oder Südsudan, die für Millionen Binnenvertriebene und Flüchtlinge in Nachbarländern sorgen, kommen indes – jedenfalls laut der EU-Statistik – kaum Menschen in Europa an.

Ebenfalls auffällig: Fast die Hälfte aller 2024 gestellten Anträge kamen von Staatsangehörigen mit einer niedrigen Anerkennungsrate von 20 Prozent oder weniger, darunter Menschen aus Pakistan, Bangladesch, Marokko, Ägypten und Tunesien. Bleibt es auch nach einem Widerspruch bei einer Ablehnung des Asylantrags, sind diese Menschen ausreisepflichtig.

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Die durchschnittliche Anerkennungsrate – also der Prozentsatz der Fälle, in denen Migrant*innen tatsächlich auch Asyl bekamen – blieb 2024 stabil bei 42 Prozent. Jedoch gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den Nationalitäten und Aufnahmeländern. Die syrische Anerkennungsrate lag in den meisten EU-Ländern über 90 Prozent, während die Anerkennungsrate für afghanische Antragsteller*innen im Durchschnitt bei 63 Prozent lag – mit deutlichen Unterschieden zwischen Ländern wie Deutschland (41 Prozent), Österreich (76 Prozent ) und Griechenland (98 Prozent).

Währenddessen zeichnen sich neue Migrationsmuster ab. Menschen aus Mali und Senegal stellten nach verstärkten Bootsankünften auf den Kanarischen Inseln mehr als doppelt so viele Anträge wie im Vorjahr. Einen auffälligen Anstieg um neun Prozent auf 74 000 Anträge gab es bei venezolanischen Staatsangehörigen – allerdings vor allem in Spanien. Dort repräsentierten Menschen aus Lateinamerika im vergangenen Jahr über drei Fünftel aller Asylsuchenden. Peruanische Staatsangehörige (27 000) beantragten 2024 vorwiegend in Italien Asyl, wo sie zur zweitgrößten Gruppe wurden. Ihre Anerkennungsquote ist jedoch unterschiedlich; in Spanien liegt sie bei zwei Prozent, in Italien bei sieben Prozent, in Frankreich bei 19 Prozent.

Mit etwa 237 000 Erstanträgen war die Bundesrepublik als bevölkerungsreichstes Land in Europa zwar auch vergangenes Jahr wieder Hauptziel vieler Menschen. Für 2024 zählt die EU-Agentur aber auch hier ein Minus von fast 30 Prozent. In etwa auf diesen Wert kam auch eine jüngst vorgelegte Statistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Allerdings wurden dabei keine Widersprüche gegen ablehnende Bescheide gezählt, denn Klagen dagegen vor Verwaltungsgerichten sind oft erfolgreich. Werden diese miteinbezogen, ergibt sich für 2024 in Deutschland eine sogenannte bereinigte Gesamtschutzquote für Asylsuchende von etwa 63 Prozent.

Die reinen Asylantragszahlen spiegeln nicht das gesamte Ausmaß der Schutzbedürftigen wider. Bis Dezember 2024 hatten auch rund 4,4 Millionen Menschen, die vor der russischen Invasion in der Ukraine geflohen waren, temporären Schutz in den EU-Staaten erhalten. Ukrainische Staatsangehörige haben mit 27 000 Anträgen aber auch deutlich mehr Asylanträge als im Vorjahr gestellt – ein Anstieg um 90 Prozent. Die Hälfte davon wurde in Frankreich und ein Viertel in Polen verzeichnet.

Schließlich differenziert die EU-Statistik die Asylzahlen auch nach Aufnahmekapazität der einzelnen Länder. Die Hauptlast tragen demnach Zypern und Griechenland mit jeweils einem Asylantrag pro 140 Einwohner*innen. Deutschland liegt hier auf Platz acht mit einem Antrag pro 352 Einwohner*innen. Zu den Pro-Kopf-Schlusslichtern gehören Tschechien (900) und die Slowakei (33 000). Am Ende der Liste steht Ungarn, für das gar keine Asylanträge angegeben sind.

Die Asylagentur nennt keine Gründe dafür, warum etwa in Deutschland weniger Asylanträge gestellt wurden. Womöglich ist dies der Migrationsabwehr der Ampel-Koalition geschuldet: Im Oktober 2023 hatte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) auf Druck der rechten und konservativen Opposition Grenzkontrollen auch zu Polen und Tschechien angeordnet und diese im vergangenen September auf alle Landgrenzen ausgeweitet.

Im historischen Vergleich liegen die aktuellen Asylzahlen auch weiterhin auf hohem Niveau. Nach einem Höhepunkt in der sogenannten Flüchtlingskrise mit über 1,3 Millionen Anträgen im Jahr 2015 und ähnlich hohen Zahlen 2016 folgte ab 2017 ein Rückgang auf etwa 673 000 Anträge. Die Zahlen sanken in Wellenbewegungen weiter, die Corona-Pandemie führte schließlich 2020 zu einem Einbruch auf rund 461 000 Anträge – seit zehn Jahren der niedrigste Wert. Zwar wurde danach wieder ein deutlicher Anstieg verzeichnet. Die aktuellen Werte sind aber in jedem Fall eine neue Trendwende.

Die Hauptlast tragen Zypern und Griechenland mit jeweils einem Asylantrag pro 140 Einwohner*innen.

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