Russisches Öl jetzt oder nie

Die PCK-Raffinerie in Schwedt leidet unter dem Embargo, das mit Krieg und Frieden steht und fällt

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Von der PCK-Raffinerie hängen die Stadt Schwedt, der Landkreis Uckermack und weite Teile Ostdeutschlands ab.
Von der PCK-Raffinerie hängen die Stadt Schwedt, der Landkreis Uckermack und weite Teile Ostdeutschlands ab.

Die Stadt Schwedt benötigt die Einnahmen aus der Gewerbesteuer, die bereits gesunken sind. Die Einwohner brauchen mehr oder weniger alle die 1200 Arbeitsplätze in der PCK-Raffinerie, ob sie nun selbst dort beschäftigt sind, ob ihre Angehörigen dort arbeiten oder nicht. An den Tankstellen in Berlin und Brandenburg wird Benzin und Diesel aus Schwedt gezapft. Stirbt die Raffinerie, stirbt die Stadt, heißt es. Insofern sind die Sorgen in der Bevölkerung groß seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 und noch mehr seit dem deswegen verhängten Einfuhrstopp für russisches Erdöl Anfang Januar 2023.

Bürgermeisterin Annekathrin Hoppe (SPD) sowie Aufsichtsrat und Betriebsrat des Unternehmens bitten, das Embargo aufzuheben. Es soll auch dafür demonstriert werden. Brandenburgs Wirtschaftsminister Daniel Keller (SPD) kann sich das »selbstverständlich« vorstellen, wie er sagt – aber erst, wenn in der Ukraine Frieden herrsche. Ähnlich äußert sich Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). »Ich würde mich natürlich freuen, wenn wir auch wieder in normale wirtschaftliche Beziehungen zu Russland eintreten könnten«, bestätigt er. Ein Zurückfahren der Sanktionen sei aber erst nach einem Friedensschluss möglich.

Der Bundestagsabgeordnete Christian Görke (Linke) kann die Sorgen der Belegschaft und der Bevölkerung gut verstehen. Drei Jahre währe die Hängepartie nun schon. Es müsse endlich vorangehen, sagt er am Dienstag. Görke hat da aber zunächst nicht die ab 1959 gebaute Erdölleitung Druschba im Sinn, durch die bis Januar 2023 sibirisches Erdöl nach Schwedt floss, sondern die Erdölleitung vom Ostseehafen Rostock. Die sollte eigentlich bis 2025 fertig ertüchtigt sein, aber es sei noch nicht einmal damit angefangen worden, beklagt Görke.

Bei einem Durchmesser von 55 Zentimetern können jährlich 5,5 Millionen Tonnen Öl durch diese Leitung fließen. Sie soll für sieben bis acht Millionen Tonnen fit gemacht werden. Aber besser sollte der Bund gleich eine neue Leitung bauen, die schon für die moderne Wasserstofftechnologie geeignet wäre, meint Görke. Die Ölreserven sind endlich und der Klimaschutz erzwingt eher früher als später eine Energiewende.

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Ursprünglich diente die Pipeline von Schwedt nach Rostock dazu, Produkte der Raffinerie zum Ostseehafen zu pumpen und von dort zu exportieren. Jetzt wird sie in umgekehrter Richtung benutzt, um mit Tankern aus aller Welt herbeigeschaffte 30 verschiedene Sorten Öl über Land zur Raffinerie zu transportieren. Eine neue, leistungsfähige Pipeline von Rostock hält Görke auch deshalb für notwendig, um das Überleben der Raffinerie gegen alle Eventualitäten abzusichern.

»Man kann sich russisches Öl wünschen, aber man muss auch Realist sein«, sagt Görke. »Niemand weiß, wie lange der Krieg noch geht und wann im Anschluss wieder normalisierte wirtschaftliche Beziehungen mit Russland aufgebaut werden können.« Die schnellste Lösung für die PCK-Raffinerie wäre, viel mehr Öl aus Kasachstan zu bestellen. Das sei sanktionsfrei und unkompliziert zu bekommen. Die Polen lassen es durch, was bei russischem Öl nicht mit Sicherheit gesagt werden kann.

Im Moment liefert Kasachstan 100 000 Tonnen im Monat, also 1,2 Millionen Tonnen im Jahr. Möglich wären zwei Millionen Tonnen, ist Görke gesagt worden, der extra mehrfach in die Hauptstadt Astana reiste. Kasachisches Öl habe die gleiche chemische Zusammensetzung wie das Öl aus Sibirien. Es führt bei seiner Verarbeitung nicht zu einem erhöhten Schadstoffausstoß, verursacht keine grenzwertige Schwefelbelastung, erfordert nicht spezielle Filter, die eine ganze Stange Geld kosten.

»Man kann sich russisches Öl wünschen, aber man muss auch Realist sein. Niemand weiß, wie lange der Krieg noch geht.«

Christian Görke Bundestagsabgeordneter

Görke wirbt am Dienstag einmal mehr für seine Idee, dass Kasachstan in die Raffinerie mit einsteigen sollte. Als neuntgrößter Ölstaat der Welt könnte es die Anteile des russischen Staatskonzerns Rosneft übernehmen, dem derzeit 54 Prozent der PCK-Raffinerie GmbH gehören. Diese Anteile sind wegen des Krieges in der Ukraine von der Bundesregierung unter Treuhandverwaltung gestellt, die bis September verlängert ist. Der September komme jedoch schneller, als man denke, warnt Görke. Russlands Präsident Wladimir Putin habe eine Übernahme durch die Kasachen als mögliche Lösung bezeichnet. Derweil könnten Bund und Land die Anteile übernehmen, die der Shell-Konzern loswerden möchte.

Das Argument von Finanzminister Robert Crumbach (BSW), Brandenburg könne sich dies angesichts der Haushaltslage nicht leisten, will Görke nicht gelten lassen. Der Staat könnte ja einen Kredit aufnehmen. Mit der Raffinerie hätte er einen Gegenwert. Das Geld für den Kaufpreis wäre also nicht verloren.

Eine in der Potsdamer Staatskanzlei abgehaltene Industriekonferenz gibt am Dienstag eine zweiseitige Erklärung ab, die einen Abschnitt zur PCK-Raffinerie enthält. Schwedt trage wesentlich zur Versorgungssicherheit in Ostdeutschland, aber auch darüber hinaus bei, heißt es. »Der russische Angriffskrieg hat die Raffinerie vor enorme Herausforderungen gestellt, die seitens des Unternehmens und der Beschäftigten bislang in anerkennenswerter Weise bewältigt wurden.« Der Standort dürfe nicht infrage gestellt werden und bedürfe eines Höchstmaßes an Unterstützung durch Bund und Land.

Nur zu 80 Prozent ist die Raffinerie gegenwärtig ausgelastet. »Die Ukraine braucht Frieden. Wir begrüßen es sehr, dass sich Herr Woidke und weitere SPD-Minister den Positionen des BSW annähern«, sagt BSW-Landtagsfraktionschef Niels-Olaf Lüders. »Wir haben immer betont, dass diplomatische Bemühungen mit Verhandlungen über ein Ende der Sanktionen verknüpft werden sollten. Für die Industriebetriebe in unserem Land ist die mögliche Wiederaufnahme von russischen Öllieferungen eine gute Nachricht.«

AfD-Fraktionschef Hans-Christoph Berndt meint, es würde der Wirtschaft »sehr guttun«, wieder russisches Öl zu beziehen. Auch die Erdgasleitung Nord Stream 2 sollte repariert und genutzt werden. Bei der Bundestagswahl am 23. Februar erhielt die AfD in Schwedt 37,5 Prozent, die SPD 16,6, BSW 13,1, Linke 8,8.

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