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Register Marzahn-Hellersdorf: Mehr Gewalt, gleiches Geld
Trotz steigender Zahl rechter Vorfälle – Zuwendungsbescheid für Marzahner Register angepasst
»Wir, die Berliner Register, wollen gegen Diskriminierung und Ausgrenzung vorgehen. Wir dokumentieren deshalb Vorfälle, die im Alltag in Berlin passieren«, steht auf der Seite der »Berliner Register«. Die dort dokumentierten Vorfälle müssen dabei einen »rassistischen, antisemitischen, LGBTIQ*-feindlichen, NS-verharmlosenden Hintergrund haben oder sie richten sich gegen Obdachlose, Menschen mit Behinderungen oder gegen demokratisch engagierte Personen«. Jede Person kann dort Vorfälle melden, sie werden nach Bezirken geordnet. Mit mehr Vorfällen steigt aber der Aufwand für die Registerstellen. Das Register Marzahn-Hellersdorf hat deswegen für das Jahr 2025 eine zusätzliche Stelle beantragt und auch in Aussicht gestellt bekommen. Doch daraus wird nun doch nichts.
Der Berliner Senat kürzt aufgrund von Sparmaßnahmen gerade massiv den Haushalt zusammen. Betroffen sind alle Teile der Verwaltung – und eben auch die politische Bildung. Die Berliner Register werden von der Senatsverwaltung für Antidiskriminierung im Rahmen des Landesprogramms gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus gefördert. Ausgerechnet im von rechten Aktivitäten besonders stark betroffenen Bezirk Marzahn-Hellersdorf wurde jetzt ein Zuwendungsbescheid angepasst.
Auf eine nd-Anfrage teilt Tillmann Günther, Sprecher des Trägers aller Berliner Register, der Stifung SPI, mit: »Es ist richtig, dass eine ausgeschriebene Stelle für die Registerstelle Marzahn-Hellersdorf nicht besetzt werden kann. Diese Stelle war zusätzlich zum bestehenden Personalschlüssel beantragt worden, um die gestiegene Zahl an Meldungen relevanter Vorfälle bearbeiten zu können.« Nachdem der Finanzierung dieser zusätzlich beantragten Stelle wider Erwarten nicht zugestimmt worden sei, habe das bereits laufende Ausschreibungsverfahren abgebrochen werden müssen, so Günther weiter.
Die Senatsverwaltung für Antidiskriminierung bestätigt den Vorgang: »Dem Rechtsextremismus-Verzeichnis Marzahn-Hellersdorf« werde voraussichtlich, wie auch den anderen Berliner Registerstellen, ein Aufwuchs von rund 4000 Euro in der Fördersumme 2025 im Vergleich zur Fördersumme 2024 bewilligt werden, teilt ein Sprecher auf nd-Anfrage mit. »Das finale Ergebnis der zuwendungsrechtlichen Prüfung des Gesamtjahreszeitraums steht jedoch aktuell noch aus.« Im Gegensatz zu anderen Senatsverwaltungen habe die Verwaltung für Antidiskriminierung für das Jahr 2025 keine Kürzungen im Bereich der Landesantidiskriminierungsstelle vornehmen müssen, sondern konnte Aufwüchse für alle Registerstellen verzeichnen. Konkrete Stellen seien dem Projekt nicht in Aussicht gestellt worden.
Also keine Kürzung und alles gut? Das ist zumindest fraglich, ist Marzahn-Hellersdorf doch einer der Bezirke mit der am stärksten steigenden Zahl an rechten Umtrieben. Die Zahlen für das Jahr 2024 werden erst im April ausgewertet vorliegen, aber im Jahr 2023 wurden im Bezirk 531 rechte und diskriminierende Vorfälle vom Register dokumentiert – 45 Prozent mehr Meldungen als im Vorjahr. »Es wurden also durchschnittlich an jedem Tag ungefähr 1,5 rechte oder diskriminierende Vorkommnisse im Bezirk gemeldet. Das ist ein neuer Höchststand«, heißt es in einem im vergangenen Jahr veröffentlichten Bericht des bezirklichen Registers.
Seit Beginn der Erfassung rechter Vorfälle 2008 seien noch nie so viele Vorkommnisse in einem Jahr dokumentiert worden, so der Bericht weiter. Die Gründe für diesen Anstieg und die damit einhergehende Mehrarbeit für die Registerstellen liefert der Bericht ebenfalls. So sei Marzahn-Hellersdorf zum einen der »Hot Spot der neonazistischen Kleinstpartei ›Dritter Weg‹«, die in keinem anderen Bezirk durch ähnlich viele Propaganda-Delikte auffalle. Zum anderen sei der Anstieg darauf zurückzuführen, dass immer mehr Menschen Diskriminierungen meldeten, sich gegen rechts engagierten und sich somit gegen menschenverachtendes Verhalten positionierten. Die umfangreiche Dokumentation der Register liefert der Landes- und Bezirkspolitik Anhaltspunkte, um festzustellen, wo genau eine Unterstützung der Zivilgesellschaft dabei notwendig ist.
Der Bericht des Marzahn-Hellersdorfer Registers schließt mit den Worten: »Die hohe Anzahl gemeldeter Vorfälle zeigt, dass weiterhin großer Handlungsbedarf für demokratische Akteurinnen und Akteure im Bezirk Marzahn-Hellersdorf besteht.« Vor diesem Hintergrund erscheinen die Anpassung des Zuwendungsbescheids und die damit einhergehende Unsicherheit für die Planung für das Jahr 2025 eher wie ein Schritt in die gegenteilige Richtung. Tillman Günther von der SPI-Stiftung teilt mit, man werde nun nach Wegen suchen, um die Dokumentation mit den bestehenden Ressourcen bestmöglich fortsetzen zu können.
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