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Arbeit! Arbeit! Arbeit!

Versuchsweise anwesend: Das Buch »Stressed/Desserts« erzählt vom Überleben im Büro

Und auf einmal arbeitet man ewig in eimem Büro und weiß nicht mehr, wieso.
Und auf einmal arbeitet man ewig in eimem Büro und weiß nicht mehr, wieso.

Wenn man das englische Wort »stressed«, das sowohl »betont« als auch »überlastet« bedeutet, umdreht, dann heißt es »Desserts«, also »Nachtisch«, nicht zu verwechseln mit »deserts«, der Mehrzahl von »Wüste«. Mit diesen Effekten spielen Olga Hohmann und Chiara Marcassa, die im Frankfurter Windpark-Verlag ein sogenanntes Wendebuch herausgebracht haben, das »Stressed Desserts« heißt – die genaue Bedeutung kann man je nach Stimmungslage selbst aussuchen. Die eine Hälfte stammt von der Künstlerin und nd-Kolumnistin Hohmann, die andere Hälfte von der Theaterregisseurin Marcassa, wer die eine Autorin nach der anderen lesen will, muss das Buch umdrehen. Das ist doch wirklich einmal eine multipolare Literaturordnung.

Die beiden Autorinnen sind in der Mitte getrennt durch wie fotokopiert aussehende Fotos von der Herstellung des Buchs, was so wirkt, als wäre es in einem Copyshop gedruckt worden – doch das Endprodukt sieht aus wie ein richtiges Buch. Vorne steht drin: »Der Inhalt dieses Buches wurde am 24.08.2024 innerhalb von 28 Arbeitsstunden auf einem Risograph EZ 570 E der Riso Kagaku Corporation gedruckt.« Der Name »Riso Kagaku« bedeutet übrigens »ideale Wissenschaft«.

Eine seltene Demonstration der Transparenz von Produktionsabläufen – in Deutschland, wo die Frage, wieviel man genau verdient, immer noch zu einem gut zu hütenden Geheimnis erklärt wird, ist das ein aufklärerischer Ansatz. Konsequenterweise geht es sowohl bei Hohmann als auch bei Marcassa um das große Thema »Arbeit«. Ganz so, wie es die SPD 1994 zur Europawahl auf ihren Plakaten verlangte: »Arbeit! Arbeit! Arbeit!«

Marcassas Anteil an diesem Buch ist eine Novelle, sie handelt von einer »relativ jungen Arbeitnehmerin, wie es sie in den Städten zuhauf gab«, die in einem »traditionsreichen Unternehmen« namens »Eisengold« arbeitet. So heißt auch diese Novelle, es handelt sich um eine Firma aus der Druckbranche. »Ihr war nicht bekannt, wie es zu dieser Arbeit kam und sie erinnerte sich nicht, was sie vor ihrer Anstellung oder jenseits derer erlebt hatte.« Ihre Zeit in der Firma wird durch »den Doktor« bestimmt, einen ihrer Vorgesetzten, »der ihre Anwesenheit über die Grenzen der beruflichen Verpflichtungen hinaus« genießt und gegen den sie Gewaltfantasien entwickelt, die aber nicht in die Tat umgesetzt werden.

Hohmanns Anteil an diesem Buch ist etwas fragmentierter gehalten und stützt sich teilweise auf »Spaß und Verantwortung«, wie ihre immer wieder lehrreichen Kolumnen in dieser Zeitung heißen, die sie hier auf einleuchtende Weise neu komponiert und erweitert. Auch sie berichtet aus dem Leben im Büro: »Während der Monate, in denen ich im ›Office‹ arbeitete, versuchte ich vor allem herauszubekommen, was meine Aufgabe dort wäre. Irgendwann versuchte ich in erster Linie, körperlich anwesend zu sein.« Eines Tages verschwindet das »Office«, nur im Internet ist es noch zu finden. Der beste Dialog geht so: »Er: ›Ich denke in Bildern.‹ Ich: ›Ich denke in Fun Facts.‹ Er: ›Du denkst echt in Fun Facts.‹«

Olga Hohmann/Chiara Marcassa: Stressed/Desserts. Windpark Books, 240 S., 20 €.

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