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Luftige Einsamkeit
Abseits des Jakobsweges hat Galicien viel Stille und Natur zu bieten: Wandern von den Ancares-Bergen im Hinterland bis hinab zur Küste
Die Luft ist kühl und klar, von der Bank aus schweift der Blick frei über die tiefgrüne Hügellandschaft. Eine Straße schlängelt sich herauf, in vielen Kurven und Windungen bis hinauf zu dieser Bank – und nicht weiter. Gibt es überhaupt Menschen in dieser Gegend, fragt man sich? Hier, in den Ancares-Bergen im Nordwesten Galiciens, trifft man eher auf Füchse, Wölfe oder Bären als auf Touristen. Luftige Einsamkeit: Bis zu 2000 Meter recken sich die Spitzen der Serra dos Ancares. Es sieht aus, als sei ein grüner Teppich über den Bergen ausgelegt worden.
Galicien, eine autonome Region im Nordwesten Spaniens, ist bekannt für ihre Jakobswege – allen voran der Camino Francés (Französischer Pilgerweg), der sich knapp 800 Kilometer durch Frankreich und Spanien zieht. Es ist der heilige Jakobus, der seit Jahrhunderten die Menschen dazu bewegt, sich selbst in Bewegung zu setzen und zu pilgern. Das Ziel ist das Grab des Jakobus in der Kathedrale der Hauptstadt Santiago de Compostela. Rund 400 000 Pilgerinnen und Pilger sind pro Jahr dorthin unterwegs. Rund um die Grabeskirche des Apostels treffen tagtäglich Hunderte von Pilgern ein. Die freudige Stimmung, den Weg geschafft zu haben, ist in den Gassen und Straßen überall spürbar. Aber die Stadt ist vor allem in der Hauptpilgerzeit von Mai bis September laut und überlaufen.
Allerdings kann man dem Trubel ganz einfach entfliehen, denn es gibt genug Gegenden, die wenig bekannt sind und deswegen kaum besucht werden. Hier im Bergdorf Piornedo scheint die Zeit stehen geblieben zu sein: Die kleinen Rundhäuser aus Granitsteinen mit Strohdächern, sogenannte Pallozas, könnten aus einem Märchenbuch stammen. Sie sehen aus, als seien sie seit Jahrhunderten nicht mehr bewohnt. »So lange, wie es scheint, ist das noch gar nicht her«, sagt Maria Lopez-Alonzo. Sie streichelt eine der Dorfkatzen, die in der Sonne liegen und dösen. Dann tritt 79-Jährige in ihr ehemaliges Wohnhaus. Drinnen ist es kalt und dunkel, und nur langsam gewöhnen sich die Augen an das wenige Licht. In der Mitte des Raumes steht ein großer Webstuhl, in einer Ecke hängen eiserne Kessel über einer Feuerstelle, auf der anderen Seite Körbe und ein Verschlag für das Vieh.
Sie erzählt von ihrem Leben: Mit 17 Jahren habe sie geheiratet und sei gleich nach ihrer Hochzeit mit ihrem Mann eingezogen. »Es gab keinen Strom und nur Wasser vom Brunnen«, erinnert sie sich. »Im Winter war es sehr kalt hier oben in den Bergen.« Hier habe sie gewebt und gekocht, sogar ihre Tochter sei in den Räumen zur Welt gekommen. Und bis 1971 habe sie hier gewohnt, wie andere Bergbauern auch. »Dann sind wir umgezogen in ein modernes Haus im Dorf«, erinnert sie sich.
Die alten Häuser dienen heute nur noch als Erinnerung an die traditionelle Lebensweise – ein Museum für Touristen, die die abgelegene Region auf verschiedenen Wanderrouten erkunden. Nur ein paar Hundert Meter entfernt vom historischen Dorf bietet das Hotel Piornedo mit seinen 22 Zimmern den Besuchern eine perfekte Übernachtungsmöglichkeit. Der Ausblick durch das große Fenster der gemütlichen Lounge des Hotels ist ein ganz besonderer. Hier den Sonnenuntergang zu sehen, ist unvergesslich.
Die Bergregion setzt auf sanften Tourismus – so sind die Wanderwege zwar ausgeschildert, aber wild und ursprünglich geblieben. Am nächsten Tag führt der Weg 14 Kilometer durch Wälder und grüne Landschaften – vorbei an Stechpalmen, pinker Glockenheide, gelbem Stechginster und Sonnenröschen. Weiter unten steht eine 1000 Jahre alte knorrige Kastanie wie eine stille Zeugin längst vergangener Zeiten am Ufer des Flusses Rio do Souto. Teilweise trottet ein großer Hund ein Stück an der Seite der Gruppe und liegt den Wanderern bei einer Picknick-Pause zu Füßen. Affodill, die schöne Pyramidenpflanze, bildet mit ihrem strahlenden Weiß einen kräftigen Kontrast zu den violetten Blüten der Katzenminze.
- Anreise: Mit dem Flugzeug nach Santiago de Compostela, z.B. mit Iberia, Vueling oder Air Europa, mit Umsteigen in Madrid oder Barcelona.
- Übernachten: Hotel Piornedo
www.hotelpiornedo.com
Stadthotel Mercure Lugo Centro
all.accor.com/B344 - Weitere Infos: www.turismo.gal
Ein neuer Morgen, ein neuer Ort: Stille inmitten uralter Mauern, nur unterbrochen vom gleichmäßigen Rhythmus der eigenen Schritte bei der morgendlichen Joggingrunde. Alle anderen Geräusche schluckt der Nebel, der die Stadtmauern und die Turmspitzen der Kathedrale Santa Maria wie eine graue Decke umhüllt. Lugo, die kleine Stadt in der Mitte Galiciens, scheint noch zu schlafen, als es in Laufschuhen Stufe um Stufe die historische Stadtmauer hinaufgeht. Mit ihren 2266 Metern Länge umrundet die Mauer die gesamte historische Innenstadt – und von ihr herunter ist der Blick in die kleinen Gässchen und auf die Plätze atemberaubend.
»Lugo ist die älteste Stadt Galiciens und ihre Gründung geht auf die expansive Politik der Römer in der Zeit von Kaiser Augustus zurück«, erklärt wenig später die Stadtführerin bei einem Rundgang. Auf dem Plateau am Ufer des Flusses Miño siedelten einst die Kelten, bevor die Römer die Stadt unter dem Namen Lucus Augusti führten. »Die Stadtmauer aus dem 3. Jahrhundert ist seit dem Jahr 2000 als Unesco-Weltkulturerbe anerkannt«, fügt sie hinzu. Die Mauer ist dick – zwischen sechs und acht Meter sogar – und bis zu zwölf Meter hoch. 85 Türme und zehn Tore gehören zum Mauer-Ensemble.
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Durch Lugo verläuft der Camino Primitivo, der als der älteste aller Jakobswege gilt und schon im 9. Jahrhundert begangen wurde. Während aber der Camino Francés im Lauf der Jahrhunderte immer bedeutender wurde, nutzten immer weniger Pilger den Camino Primitivo. Und so sind heute auch seine Pilgerstädte weniger überlaufen und fühlen sich wie ein Geheimtipp an.
An diesem Vormittag machen sich fünf Pilger gemeinsam auf den Weg: Luis Mendiboure aus Uruguay, Tomás Nieto aus Valencia, Benjamin Wood aus dem australischen Melbourne sowie Moisés und José haben noch etwa 100 Kilometer vor sich, bis sie Santiago de Compostela erreichen werden. Sie machen einen kurzen Stopp an der Kathedrale und erzählen, dass sie sich unterwegs kennengelernt haben und nun gemeinsam weiterwandern. »Wir haben diesen Weg gewählt, weil er ruhiger und nicht so überlaufen ist«, erzählt Luis. Das sei eine gute Entscheidung gewesen. Und so wandern sie weiter – immer den Markierungen mit den goldenen Muscheln folgend.
Stille inmitten uralter Mauern, nur unterbrochen vom gleichmäßigen Rhythmus der eigenen Schritte.
Ein weiteres Highlight Galiciens befindet sich an der Küste unweit der Hafenstadt Ribadeo: Vier Meter – so groß ist der Tidenhub, der Unterschied zwischen Ebbe und Flut am sogenannten Kathedralenstrand. Die »Praia as Catedrais« am Atlantik ist nicht die einsamste Bucht Galiciens, aber eine der spektakulärsten. Und besucht man sie in der Nebensaison, muss man zuvor auch kein Ticket buchen. Um die Touristenströme in Schach zu halten, ist der Eintritt rund um Ostern und in den Sommermonaten von Juli bis Oktober pro Tag auf 4800 Menschen limitiert.
Während der Flut befindet sich der Strand fast vollständig unter Wasser. Doch wer bei Ebbe hierherkommt, kann durch die dunklen Schiefer-Felsentürme hindurchlaufen, die die Naturgewalten aus Atlantikwasser, Wind und Sand in Jahrtausenden geformt haben. Auch wenn das Wasser sich zurückzieht, tobt hier das Leben: Kleine Schnecken und ganze Kolonien von Entenmuscheln haben die Felsen zu ihrem Wohnort erkoren.
Die Füße hinterlassen Spuren im hellen Sand – laufen durch das Naturkunstwerk aus Säulen, Türmen und Höhlen, deren Gesteinsschichten wie übereinanderliegende Matten in den Himmel hineinragen. Und schon nach einigen Hundert Metern ist man auch hier mit der Natur allein – und kann die Wildheit ganz für sich erleben.
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