Das neue Herz von Steglitz

Im Steglitzer Kreisel bespielt »Zeit ist knapp« einen ehemaligen Outdoor-Laden mit Kunst und Kultur – aber nur übergangsweise

Salsa statt Leerstand – im Steglitzer Kreisel finden jetzt regelmäßig Tanzkurse statt
Salsa statt Leerstand – im Steglitzer Kreisel finden jetzt regelmäßig Tanzkurse statt

Eine kleine Menschentraube steht am Mittwochabend in einem Durchgang im Steglitzer Kreisel. Das Gebäude direkt am S- und U-Bahnhof Rathaus Steglitz wirkt von außen tot. Der 120 Meter hohe Büroturm, der über dem Bezirk thront, ist entkernt und nur noch ein Gerippe aus Stahlstreben. Die Einzelhandelsflächen im Erdgeschoss sind weitestgehend leer. Aber wo früher ein Outdoor-Laden war, ist wieder Leben eingekehrt. »Zeit ist knapp« nutzt seit Ende Dezember die Fläche für Kunst und Kultur.

Am Einlass zum riesigen Raum sitzt Kerem Kayanik und begrüßt kurz nach 18 Uhr die Gäste. Eintritt zahlen muss niemand, aber ein Hut für Spenden ist aufgestellt. Kayanik ist in seinem Alltag Betreuer an einer Förderschule, kommt aber so oft er kann zu »Zik«, wie alle das Projekt nennen. Er macht aber nicht nur den Einlass, sondern einmal die Woche eine »Klangstunde« für Kinder. »Ich unterstütze, so viel ich kann«, sagt er. Ehrenamtlich – wie fast alle, die dem Projekt Leben einhauchen.

Hinter Kayanik stehen Tische und Stühle. Teil des Zik ist ein kleines Café, in dem es Kaffee, Limo oder Bier gibt. Aber rein flächenmäßig macht der Café-Bereich nur einen Bruchteil aus. Während die eintrudelnden Gäste in den hinteren Teil der L-förmigen riesigen Fläche verschwinden, machen sich vor einem DJ-Pult Chiara und William Sonél warm. Die beiden sind Teil der »Berlin Salsa Community«, deren Chatgruppe mehr als 2500 Mitglieder hat. »Im Sommer sind wir immer vor dem Hauptbahnhof, an der frischen Luft«, erklärt Sonél.

Im Winter ist draußen tanzen aber unmöglich. Deswegen bieten die zwei Tanzpartner jeden zweiten Mittwoch einen Salsa-Kurs im Zik an. »Wir machen das, um unseren Tänzern die Möglichkeit zu geben, auch im Winter zu tanzen«, sagt William. Auch die beiden machen das ehrenamtlich. »Wer will, kann etwas spenden«, sagt Sonél. Man müsse Abgaben an die Gema leisten, dafür werde das Geld verwendet. Langsam trudeln die Salsa-Tänzer*innen ein, am Ende sind es rund 30, die erst unter Anleitung und dann frei »Salsa Casino«, kubanische Salsa, tanzen.

Direkt hinter der Tanzfläche steht ein Boxring, neben dem rund ein halbes Dutzend Boxsäcke hängen. Am Mittwochabend werden keine Fäuste geschwungen, aber jeden Freitag und Samstag organisiert »Gangway«, ein Straßensozialarbeitsprojekt, ein offenes Training für Jugendliche.

Ein paar Meter weiter, vorbei an einer Wand mit gerahmten riesigen Werbeplakaten aus den 80ern, ist ein Bereich mit einem dicken Plastikvorhang abgesperrt. Durch die bodentiefen Fenster sieht man gelbe BVG-Busse, die durch den Busbahnhof fahren, der in dem Steglitzer Kreisel integriert ist. Die Fahrgäste sehen von außen eine Rollschuhbahn, auf der schon kurz nach Öffnung des Zik ein halbes Dutzend Kinder und Jugendliche zu lauter Musik ihre Kreise ziehen.

Rollschuhe und Inlineskates kann man sich ausleihen und jeden Donnerstag gibt es einen »Rollschuh Market«. Wer sich auf den kleinen Rädern nicht sicher fühlt, kann bei einem Workshop mitmachen und sich die Grundlagen für sicheres Fahren beibringen lassen. Dazu gibt es einen Flohmarkt, auf dem nicht nur Rollschuhe, sondern auch Klamotten verkauft oder getauscht werden können.

Neben der Rollschuhbahn herrscht in einem kleinen abgesperrten Bereich auf den ersten Blick Chaos. Fahrräder stehen halb auseinandergebaut neben alten Filmkameras im schummerigen Licht. In Regalen türmen sich Farbeimer, ein Schweißgerät, Lautsprecher, Baustellenhelme und allerlei anderes Zeug. In einer Ecke steht ein Vergrößerer für analoge Fotos.

»Das wird die Werkstatt für das Zik«, sagt Sebastian »Sebi« Düwelt. Noch ist eine Folie auf dem Fenster zum Busbahnhof, aber die soll weg. Man solle sehen können, was passiert, sagt Düwelt, der sonst professioneller Musiker ist. Alles, was im Zik gebaut und repariert werden muss, geht durch die Hauswerkstatt. Aber nicht nur das: »Jeder kann kommen und Sachen reparieren lassen«, erklärt der »Captain der Werkstatt«, wie er lachend sagt. Im Moment arbeitet er an einem Lautsprecher, den ein Nachbar abgegeben hat. Repariert wird auf Spendenbasis, denn: »Es geht hier nicht ums Geld«, wie Düwelt sagt. »Wenn jemand keine Kohle hat – egal! Dann wird eben getauscht.«

Der gelernte Klavierbauer Düwelt macht nicht nur Musik, sondern ist auch bildender Künstler. »Upcyclingkunst« sei das, was er mache. Mechanische Skulpturen, die sich bewegen. Eine davon steht auch im Zik. Ein kleiner Motor bewegt eine aufgehaltene Hand über Zahnräder und Riemen, die sich in einem beleuchteten Glaskasten drehen. »Alles aus Schrott gebaut«, sagt Düwelt.

Während Düwelt durch das Zik wuselt und der Salsa-Kurs in vollem Gang ist, steht Moritz Senff hinter der Bar. Senff ist einer der Gründer des Zik. Der Steglitzer Kreisel ist nicht der erste Ort, an dem das Projekt sein Zuhause gefunden hat. »Wir waren vorher im Schloss-Straßen-Center«, erzählt Senff. In dem Friedenauer Einkaufszentrum hätten sie eigentlich bis April 2025 bleiben sollen. »Das ganze Schloss-Straßen-Center ist aber insolvent gegangen«, berichtet Senff. Der Insolvenzverwalter habe dem Zik per Sonderkündigungsrecht gekündigt.

Der Eigentümer des Steglitzer Kreisels, die Adler-Group, hatte sich schon vorher bei Zik gemeldet, sagt Senff. »Die Adler-Group und wir waren sehr daran interessiert, eine Lösung zu finden, die für beide Seiten funktioniert.« Nachdem verschiedene Optionen geprüft wurden, traf schließlich der Vorstand des Unternehmens eine Entscheidung. Seit Ende Dezember nutzt Zik nun die Räumlichkeiten und ist dort erfolgreich tätig.

»Bis zum letzten Monat haben wir unsere Arbeit überwiegend ehrenamtlich geleistet. Jetzt beginnen sich die ersten Früchte unserer Mühen auszuzahlen«, sagt Senff, der Zik gemeinsam mit Rebbek Wehner betreibt. Neben einer kürzlich eingestellten Barkeeperin sind die beiden die einzigen hauptamtlichen Mitarbeiter im Zik. Die Finanzierung der Stellen erfolgt durch das Café und den Verkauf von Kunst.

Das Projekt findet offensichtlich großen Anklang: »Steglitz hat uns ins Herz geschlossen, das ist eine tolle Erfahrung. Wir freuen uns sehr, dass unser Pionierkonzept Kultur statt Bildung so gut ankommt«, sagt Senff. Eine Nachbarin, die es bedauert, dass viele Flohmärkte von gewerblichen Händlern dominiert werden und hohe Standgebühren verlangen, hat bereits einen Kiezflohmarkt organisiert. Der Bedarf an Kultur und sozialer Infrastruktur ist offensichtlich – und nicht nur in Steglitz. »Außer in Stadtteilen wie Neukölln, Friedrichshain oder Kreuzberg gibt es viele Bezirke, die derzeit weniger kulturell versorgt sind«, so Senff.

Senff äußert jedoch Bedenken hinsichtlich der geplanten Kürzungen im Kulturbereich durch den Senat. »Das wird eine große Herausforderung«, sagt er. Gerade deshalb sind frei stehende Flächen, wie leer stehende Einkaufszentren, besonders interessant, vor allem in Gebieten, in denen es an kulturellen Angeboten mangelt. Zik selbst ist jedoch nicht von den Kürzungen betroffen. »Wir haben von Anfang an darauf gesetzt, uns unabhängig von Förderungen aufzustellen«, erklärt Senff.

Beliebt ist Zik nicht nur bei den Gästen. »Wir finden diese Initiative äußerst relevant und förderungswürdig, und es ist uns eine große Freude, ein Projekt zu unterstützen, das im Bezirk einen lebendigen, kulturell wie sozial bedeutsamen Treffpunkt schafft«, teilt ein Sprecher der Adler-Group »nd« mit. Die positive Presse über den Steglitzer Kreisel dürfte dem Skandalvermieter, der sonst eher mit Problemen in seinen Mietanlagen Schlagzeilen macht, auch gelegen kommen.

Von Dauer wird das Zik im Steglitzer Kreisel nicht sein. Der Mietvertrag läuft noch bis zum 31. Juli. Die Adler-Group beabsichtigt, das Gebäude zu verkaufen. Zu möglichen Interessenten will sich das Unternehmen nicht äußern, auch nicht, wann es verkauft werden soll. Das Zik ist zwar ein »Nomadenkonzept«, wie Moritz Senff sagt. »Wir ziehen von Leerstand zu Leerstand«. Dennoch hofft er, dass man das Projekt etwas länger im Steglitzer Kreisel halten kann. »Acht oder sieben Monate sind schon sehr, sehr kurz.« Dem Kiez würde das auf jeden Fall guttun.

»Wir ziehen von Leerstand zu Leerstand.«

Moritz Senff Zeit ist knapp
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