Spiel mit dem Feuer

Peter Steiniger zur Wiederkehr des Wettrüstens in Europa

Nach den Aufrüstungsplänen sollen Deutschland und die anderen EU-Staaten ihre militärischen Fähigkeiten deutlich ausbauen.
Nach den Aufrüstungsplänen sollen Deutschland und die anderen EU-Staaten ihre militärischen Fähigkeiten deutlich ausbauen.

Russland soll dasselbe Schicksal erleiden wie vor mehr als drei Jahrzehnten die Sowjetunion: Der Pro-EU-Politiker Donald Tusk, Ministerpräsident des – wie in hiesigen Leitmedien zu lesen war – »Frontstaates« Polen, hat auf dem Brüsseler Sondergipfel einen neuen Rüstungswettlauf vorausgesagt, den der Kreml wieder verlieren werde. Was das Erstere angeht, ist keine besondere prophetische Gabe für eine solche Prognose erforderlich. Schließlich hat Tusk selbst gerade zusammen mit den anderen Staats- und Regierungschefs der Union nach den Vorstellungen der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen »Geschichte geschrieben« und den Weg für ein gigantisches Programm zum Hochfahren der Rüstung in Europa freigemacht.

Die stärkere Bewaffnung ist Brüssels Antwort darauf, dass die USA nicht mehr als Leitstern glänzen, nachdem Präsident Donald Trump einen Deal mit Russland zur Beendigung des Ukrainekriegs sucht und Kiew mit der Aussetzung der Militärhilfen im Stich lässt. Auch ohne den großen Bruder will die EU künftig stark und souverän dastehen. Dabei entspricht »ReArm Europe« perfekt Forderungen der Trump-Administration, dass ihre europäischen Partner gefälligst weit mehr für ihre eigene Verteidigung löhnen sollen. Denn auf eigenen Beinen steht deren Wehrindustrie längst nicht. Den Branchen-Primussen und den US-Tech-Konzernen winkt damit eine stolze Rüstungs-Dividende.

nd.Kompakt – unser täglicher Newsletter

Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen.

Die USA haben unter Trump ganz offen nur ihre eigenen Interessen im Auge. Die Ansage, dass sie in Europa nicht um jeden Preis als Schutzmacht in Aktion treten würden, bedeutet entsprechend längst nicht, dass sie politisch und militärisch hier das Feld räumen, ihre Basen und Kommandozentralen übergeben. Ebenso wirklichkeitsfremd ist die mit schiefen historischen Parallelen unterfütterte Feindbild-Propaganda gegen Russland zur Legitimierung der Rüstungsmilliarden. Weder Putins angebliche Wunderwaffen noch militaristische Reden sogenannter Patrioten ändern etwas an den realen Kräfteverhältnissen, die Moskau ein Vordringen auf Nato-Territorium nicht erlauben. Das schließt wiederum die Eskalation des Konflikts zu einem direkten auf dem Boden der Ukraine nicht aus, solange dort kein Waffenstillstand und Regelungen für eine durch neutrale Kräfte überwachte Entmilitarisierung der Kampfzone gefunden sind.

Der neue Kalte Krieg von bis an die Zähne bewaffneten Blöcken bis zur Implosion des Gegners, wie er Donald Tusk vorschwebt, bringt die Zivilisation allerdings ebenso in Gefahr. Schon im letzten stand sie oft genug dicht am Abgrund und es war der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow, der deshalb ein gemeinsames Haus mit gemeinsamer Sicherheit entwarf. Der triumphierende Westen verspielte diese historische Chance. Neue Waffensysteme, kürzere Vorwarnzeiten und KI-gesteuerte Systeme ohne Gewissen bedeuten heute eine noch kürzere Lunte am Pulverfass als damals.

Der Pole Tusk kennt den östlichen Nachbarn gut und auch die auf beiden Seiten aus der Geschichte gewachsenen Ängste. Russlands Führung wird daher eine solche »Einladung« annehmen: Das Land hat bereits den Weg zur Kriegswirtschaft eingeschlagen und ist längst nicht isoliert. Mit China besitzt es den stärksten geopolitischen Rivalen der globalen Führungsmacht USA als Verbündeten. Das neue Wettrüsten vernichtet die Ressourcen, die nötig wären, um jene Ziele zu erreichen, die die zunehmend machtlose Uno definiert hat, um ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen und die natürlichen Lebensgrundlagen auf dem Planeten dauerhaft zu bewahren. Es heißt nicht umsonst totrüsten.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -