SPD-Basis irritiert über Sondierungsergebnis

Zahlreiche Aktive kritisieren unter anderem von Schwarz-Rot geplante Rückkehr zu Hartz-IV-Schikanen

Union und SPD trafen sich zu weiteren Sondierungsgesprächen.
Union und SPD trafen sich zu weiteren Sondierungsgesprächen.

Manches im Sondierungspapier von Union und SPD liest sich, als hätte die SPD wesentliche Punkte durchsetzen können: Der Renteneintritt nach 45 Beitragsjahren soll erhalten bleiben. Auch das Rentenniveau soll nicht weiter sinken. Und beim Mindestlohn sind in dem Dokument als Zielmarke für das kommende Jahr 15 Euro pro Stunde festgehalten.

Freilich ist im Papier auch zu lesen, dass weiter die Mindestlohnkommission über die Höhe dieser Entgeltuntergrenze entscheiden soll. Dieser gehören neben Repräsentanten der Gewerkschaften und Wissenschaftlern auch Interessenvertreter der Wirtschaft an. Bei der letzten Verhandlungsrunde war der Mindestlohn, der derzeit bei 12,41 Euro liegt, gegen das Votum der Gewerkschaften durchgesetzt worden.

Gänzlich gegen die von der SPD zuletzt vertretenen Positionen sind die Vorhaben beim Bürgergeld. Hier haben sich CDU und CSU auf ganzer Linie mit ihrem im Bundestagswahlprogramm festgehaltenen Plan durchgesetzt, vermeintlich faulen Erwerbslosen die Daumenschrauben anzulegen und ihnen gegebenenfalls alle Leistungen zu kürzen. Für alle, die »arbeiten können«, soll laut Sondierungspapier wieder der sogenannte Vermittlungsvorrang gelten. Das heißt: Letztlich haben Betroffene kaum eine Chance, Jobs abzulehnen, auch wenn diese Dequalifikation und mieseste Bezahlung bedeuten.

»Mitwirkungspflichten und Sanktionen im Sinne des Prinzips Fördern und Fordern« wollen Union und SPD »verschärfen«. Und weiter: »Bei Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen.« Bei all dem werde man die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beachten. Dieses hatte allerdings 2019 Totalsanktionen für rechtswidrig erklärt und lediglich befristete Teilsanktionierungen von maximal 30 Prozent des Regelsatzes als zulässig befunden. Diese gibt es bereits. Die Kürzung oder Streichung der Wohnkosten, das hatten die Karlsruher Richter ebenfalls betont, sind nicht zulässig.

Folgerichtig kommt nicht nur aus den Gewerkschaften, aus Sozialverbänden und von der Linkspartei scharfe Kritik an diesen Plänen wie auch an den Beschlüssen zur Asylpolitik. Auch in den Reihen der SPD rumort es. So betonte der Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion, Tim Klüssendorf, mit Blick auf die Passagen zu Bürgergeld und Migration: »In den Koalitionsverhandlungen muss hier dringend nachgebessert werden, damit eine Zustimmung der SPD möglich ist.«

Auch der Vorsitzende der bayerischen Jusos, Benedict Lang, erklärte am Montag: »Wenn sich in den Koalitionsverhandlungen nicht deutlich was bewegt, dann wird der Koalitionsvertrag für weite Teile der Partei – auch über die Jusos hinaus – nicht zustimmungsfähig sein.« Die SPD-Nachwuchsorganisation lehnt die Angriffe auf das Bürgergeld, die geplante Abschaffung der täglichen Höchstarbeitszeit und die verabredeten Punkte im Bereich Migration ab. »Dass die SPD-Spitze diese Einigung als Erfolg verkauft, zeigt, wie weit der Rechtsruck fortgeschritten ist«, beklagt Lang. Bei der SPD ist ein Mitgliederentscheid über eine mögliche Koalition geplant.

Vor der im Sondierungspapier angekündigten Umstellung von einer täglichen auf eine wöchentliche Höchstarbeitszeit warnte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Dies, »gekoppelt mit Anreizen für mehr Überstunden«, berge »hohe Risiken für die Gesundheit der Beschäftigten«, mahnte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. »Wie so unverzichtbare Ruhezeiten gewährleistet bleiben und Missbrauch zulasten hart arbeitender Menschen abgewendet werden sollen, bleibt offen.« Im Spondierungspapier heißt es, die Maßnahme solle »im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie« stehen.

»Dass die SPD-Spitze diese Einigung als Erfolg verkauft, zeigt, wie weit der Rechtsruck fortgeschritten ist.«

Benedict Lang Vorsitzender der Jusos Bayern

Piel betonte zudem, dass Sanktionen Bürgergeldbeziehende nicht schneller in Arbeit bringen. Bereits in der im September 2022 veröffentlichten Langzeitstudie »Hartz plus« wurde nachgewiesen, dass Leistungskürzungen nicht aktivieren, sondern für einen längeren Verbleib in Hartz IV sorgen. An die Untersuchung erinnerte Otmar Tibes, Gründer des Blogs »Politik & Ökonomie« und Sozialdemokrat.

Dass es beim Sanktionsregime nicht darum geht, Menschen in existenzsichernde Arbeit zu bringen, haben selbst Verfechter der einst von der damaligen rot-grünen Bundesregierung beschlossenen Hartz-Reformen eingeräumt. Vielmehr ging es um eine Drohkulisse gegenüber denjenigen, die noch Arbeit haben: Wer gegen schlechte Arbeitsbedingungen und miese Löhne aufmuckt, landet im Hartz-Disziplinierungskarussell.

Gegen die Vorhaben der mutmaßlichen künftigen Koalitionäre positionierte sich auch Alexander Jorde, der 2017 bekannt wurde, als er der damaligen Kanzlerin und erneuten Kanzlerkandidatin der Union, Angela Merkel, in der ARD-»Wahlarena« bohrende Fragen zum Zustand des Gesundheitswesens stellte. Der Krankenpfleger ist seit 2018 SPD-Mitglied. Auf der Plattform X konstatierte er mit Blick auf das Sondierungspapier: »Zwei Seiten zu Migration. Zu Pflege und Gesundheit: Drei Sätze.« Er werde »keinem Koalitionsvertrag zustimmen, in dem de facto der Achtstundentag abgeschafft wird«, kündigte Jorde an.

Die gesetzlichen Regelungen in Deutschland wie auch in der EU lassen indes längst eine hohe Flexibilität zu. Laut Arbeitszeitgesetz kann die tägliche Arbeitszeit von acht auf zehn Stunden verlängert werden, wenn es innerhalb von sechs Monaten bei durchschnittlich acht Stunden bleibt. Ebenso flexibel ist die Regelung zur wöchentlichen Arbeitszeit, die auf bis zu 60 Stunden verlängert werden kann, wenn der Durchschnitt innerhalb von vier Kalendermonaten bei 48 Stunden bleibt.

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