Queere Bildungsarbeit: Der Preis des Sparkurses

Kürzungen bei der queeren Bildungsarbeit schwächen Gewaltschutz an Schulen

  • Leonie Hertig
  • Lesedauer: 5 Min.
Für queere Jugendliche werden die Zeiten durch die Haushaltskürzungen noch härter.
Für queere Jugendliche werden die Zeiten durch die Haushaltskürzungen noch härter.

»Wir haben über die Kürzungen aus den Nachrichten erfahren«, sagt Edwin Greve. Er ist als Antidiskriminierungstrainer bei der Initiative »i-PÄD«, einem Projekt des Berliner Migrationsrates, tätig. »i-Päd« – die Abkürzung steht für »Kompetenzstelle Intersektionale Pädagogik« – erfuhr, wie mehrere andere Bildungsprojekte am 20. Februar, dass die bislang laufende Förderung durch die Senatsbildungsverwaltung aufgrund von Sparmaßnahmen für 2025 hundertprozentig gekürzt wurde. Schon ab dem 1. April soll kein Geld mehr fließen.

Dabei setzen die betroffenen Bildungsträger die Ziele des schwarz-roten Senats um. So heißt es im Koalitionsvertrag: »Angebote für queere Jugendliche wird die Koalition weiter ausbauen, insbesondere in den Außenbezirken.« Und weiter: »Die Koalition wird Hasskriminalität konsequent bekämpfen. Dazu wird die bestehende Präventions-, Beratungs- und Antigewaltarbeit zum Schutz queerer Personen ausgebaut.«

Auch dieses Versprechen wird im Koalitionsvertrag gemacht: »Der Queer History Month wird weiterentwickelt.« Mit kostenlosen Lesungen, Workshops, Ausstellungen und Stadtführungen für Schulen und Bildungsträger erinnert das Projekt an queere Geschichte und Gegenwart. Doch statt einer Weiterentwicklung wird der Queer History Month nun komplett gestrichen. Dabei ist das Projekt mit 52 259 Euro vergleichsweise günstig.

Das Projekt »Queerformat – Fachstelle queerer Bildung« unterstützt Schulpersonal mit Fortbildungen, Beratungen und Materialien zu Queerfeindlichkeit in Schulen und Jugendeinrichtungen. »Ziel ist es, gleichberechtigte Teilhabe gewähren zu können und Kinder und Jugendliche vor Diskriminierungen zu schützen«, sagt Savira Pervaiz, Mitarbeiterin bei Queerformat. 1500 Pädagog*innen nutzten jährlich das Angebot. »Lehrer*innen und Fachkräfte wissen häufig nicht, wie sie mit Diskriminierungen umgehen können«, so Pervaiz.

Nach Bekanntgabe der Kürzungen teilt Staatssekretär Max Landero (SPD) von der Sozialverwaltung gegenüber »nd« mit, dass Vorkehrungen getroffen würden, um Förderprojekte zu unterstützen, die nicht länger von der Bildungsverwaltung finanziert werden. »Der Notfalltopf ist grundsätzlich auf Projekte, die bereits durch die Landesstelle für Gleichbehandlung gefördert wurden, beschränkt«, so Landero. Queerformat wird als einziges queeres Bildungsprojekt durch die Förderung der Gleichbehandlungsstelle aufgefangen – allerdings bei Kürzungen von mehr als 50 Prozent. In den ursprünglichen Sparplänen sollte das Projekt hundertprozentig gestrichen werden.

»Wir können unsere Arbeit nicht gut machen, wenn Teile des Netzes wegbrechen. Wir sind alle abhängig von der Arbeit der anderen«, sagt Pervaiz von Queerformat. »Infrastruktur mit langjähriger Erfahrung wird zerstört, wodurch Unterstützung für pädagogische Fachkräfte, Kinder und Jugendliche fehlt.« Für Queerformat selbst seien die Auswirkungen fatal. Momentan prüfe man, welche Angebote nach den Einschnitten weiterhin aufrechterhalten werden können. »Der Fokus auf marginalisierte Gruppen bei den Kürzungen sendet eine ganz klare Botschaft«, glaubt Pervaiz.

Die Sparmaßnahmen haben reelle Konsequenzen: Laut einer Studie der Charité aus dem Jahr 2019 erlebten die Hälfte aller teilnehmenden trans* Menschen zwischen zwölf und 18 Jahren Mobbing, selbstverletzendes Verhalten oder Suizidgedanken. Vielen queeren Jugendlichen mangele es an sozialer Unterstützung und sicheren Räumen, Erfahrungen von Diskriminierungen lösten weiteren Stress aus. Das erkläre, warum queere Kinder und Teenager mit viermal höherer Wahrscheinlichkeit versuchen, Suizid zu begehen. Genau diese Faktoren versuchten i-Päd und Queerformat zu minimieren.

»Wir können unsere Arbeit nicht gut machen, wenn Teile des Netzes wegbrechen.«

Savira Pervaiz Queerformat

Nach den Kürzungen steht die Initiative i-Päd vor dem Aus: Der Verein entwickelt gemeinsam mit Lehrkräften Maßnahmen gegen Diskriminierung und sexuelle Gewalt. Der Bedarf ist groß: Die Kriminalstatistik der Berliner Polizei verzeichnete für 2024 pro Tag drei Taten sexuellen Missbrauchs bei Kindern und Jugendlichen in der Hauptstadt.

Dabei zeigen die Workshops laut dem Träger sichtbare Erfolge: »Die Kinder lernen, dass sie nicht alleine sind, fühlen sich gesehen und lernen Dinge einzufordern und sich mitzuteilen, wenn etwas sie bedrückt«, sagt i-Päd-Mitarbeiterin Tuğba Tanyılmaz. Bei den angekündigten Kürzungen würden elf Menschen ihre Vollzeitstelle verlieren, hinzu kämen 15 freie Mitarbeiter*innen. Durch die kurzfristige Ankündigung des Senats bliebe den Mitarbeitenden kaum mehr als ein Monat, um neue Arbeit zu finden. Zudem werde i-Päd auch nicht mehr in der Lage sein, Seminare in der Ausbildung von Referendaren anzubieten. »Schulen haben immer mehr Angst vor dem Rechtsruck«, so Tanyılmaz. »Wenn uns auch die Verwaltung im Stich lässt, wer ist dann für uns da?«

Die Otto-Wels-Grundschule in Kreuzberg erfährt die Auswirkungen der Kürzungen: In dieser in der Südlichen Friedrichstadt, einer der ärmsten Gegenden Berlins, angesiedelten Schule müssen 32 Prozent aller Kinder nicht selbst für Schulbücher aufkommen. Viele Familien beziehen Transferleistungen und leben in beengten Wohnverhältnissen. Sollte die Schule künftig auf die Workshops von i-Päd verzichten müssen, würden Lehrkräfte noch überforderter sein als ohnehin schon, sagen Mitarbeitende der Otto-Wells-Grundschule, die anonym bleiben wollen, gegenüber »nd«.

Projekte wie i-Päd hätten in der Vergangenheit die Sozialarbeiter*innen unterstützt, die sich mit Kindesschutz beschäftigen. Allein sei das für die Lehrkräfte nicht zu bewältigen. »Durch das Wegfallen der Arbeit wird die Gewalt an Schulen steigen. Dadurch werden wir mehr Ausfälle der Lehrkräfte erfahren, was zu einem Teufelskreis führen wird.« Umso schlimmer ist es laut den Mitarbeitenden, dass auch die Angebote außerhalb der Schule gekürzt und queeren Kindern sichere Räume genommen würden.

Auf die Frage, ob die Senatsbildungsverwaltung einen Wortbruch in den Kürzungen sehe, antwortete ein Sprecher gegenüber »nd«: »Diese Maßnahmen wurden weder leichtfertig noch willkürlich getroffen, sondern mit dem klaren Ziel, die verfügbaren Mittel auch unter schwierigen finanziellen Bedingungen gezielt und nachhaltig einzusetzen.« Ziel bleibe es, sicherzustellen, dass zentrale Bildungs- und Unterstützungsangebote langfristig erhalten werden.

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