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Sven Hannawald: »Wahnsinn, die riskieren unsere Sportart!«
Ex-Skisprung-Star und TV-Experte Sven Hannawald ist entsetzt über den Manipulationsskandal beim norwegischen Team und fordert hartes Durchgreifen
Herr Hannawald, Sie haben während der gesamten Nordischen Ski-WM Kritik an den Anzügen der Norweger geübt, auch zu Beginn. War das nur ein Verdachtsmoment oder steckten konkrete Informationen dahinter?
Mir fällt schon seit Längerem auf, dass manche Springer am Anfang der Saison mit ihrer Technik nicht wettbewerbsfähig sind und dass sich das im Laufe des Winters ändert, ohne dass die Athleten den Sprung umstellen. Ich rede jetzt natürlich von Norwegen am meisten, weil ich da extreme Anzüge sehe. Ich sehe aber auch Großschanzen-Weltmeister Domen Prevc und die Slowenen. Ihr Sprungstil hat zu Saisonbeginn nicht funktioniert. Eigentlich muss man bei den engen Anzügen wieder technisch sauber springen. Wenn die Anzüge eng sind, hast du nicht die Fläche, dass du dich einfach nach vorn schmeißen kannst, da hält dich nichts. Aber jetzt geht das wieder: Das Bild des Skispringens hat sich verschoben und das hat etwas mit den Anzügen zu tun. Aber man kann doch nicht einfach sagen: Macht, was ihr wollt, es gibt doch Regeln!
Die deutschen Skispringer waren zu Saisonbeginn stark und sind dann komplett eingebrochen.
Wie kann es sein, dass wir am Anfang der Saison vom erfolgreichsten deutschen Saisonstart sprechen, seitdem es Skispringen gibt. Und zwei Monate später sind wir auf dem Weg zur schlechtesten Saison der Geschichte. So viele Fehler kannst du in einen Sprung gar nicht einbauen. Wir diskutieren darüber, ob der deutsche Bundestrainer noch der Richtige ist. Obwohl er seine Springer im Sommer mit viel finanziellem Aufwand auf das geltende Reglement vorbereitet hat. Was jetzt ad absurdum geführt wird.
Bei der WM in Trondheim geriet auch Karl Geiger wegen eines vermeintlich zu großen Anzugs und seines urplötzlichen Flugs auf Platz vier direkt aus der Krise in die Kritik. Waren die deutschen Skispringer so unter Zugzwang, dass sie in Sachen Anzüge irgendwie nachziehen mussten?
Natürlich. Die Anzüge sind nun mal der wichtigste Teil des Flugsystems, und wenn du dort nicht konkurrenzfähig bist, weil andere das Reglement bis weit über die Grenze ausreizen, hast du keine Chance. Karl macht das nicht freiwillig. Karl möchte auch nicht das ganze Jahr, in dem er sich vorbereitet hat, einfach so hinwerfen. Nur weil es zwei, drei Idioten gibt, die wieder anfangen zu bescheißen. Und dann möchte er natürlich mithalten.
Nach dem Manipulations-Skandal im Skispringen und der Kombination bei der Nordischen Ski-WM von Trondheim sind die Weltmeister Marius Linvik und Johann Andre Forfang aus Norwegen vorläufig suspendiert worden. Der Internationale Skiverband Fis sperrte zudem vier Trainer und Material-Experten der WM-Gastgebernation und verschärfte die Sprunganzug-Regeln drastisch. Deutschlands letzter Vierschanzentournee-Sieger Sven Hannawald, 50, heute TV-Experte bei der ARD, rechnet im Interview mit den Betrügern und der Fis ab.
Norwegen hat das mit seiner Anzug-Schneiderei und WM-Manipulationen mit steifen Bändern noch mal deutlich getoppt.
Wir reden da von offensichtlichem Betrug. Als ich die Posts der Betrüger Lindvik und Forfang gelesen habe, ist mir schlecht geworden. Sie wollen nichts davon gewusst haben, was mit ihren Anzügen passiert ist. Wir reden von einer der sensibelsten Sportarten, die es auf der Welt gibt. Wollt ihr uns alle auch noch verarschen oder was ist mit euch? Wenn ich betrüge, dann muss ich geradestehen dafür. Mit allen Konsequenzen. Jeder Skispringer kontrolliert sein Material x-mal. Weil ich mich ja in eine freie Luftfahrt begebe. Wenn da irgendwas anders ist, kann es sein, dass ich stürze. Und im schlimmsten Fall kann ich sterben dabei. Was die beiden jetzt erzählen, ist eine Verhöhnung und an Dreistigkeit nicht mehr zu toppen.
Glauben Sie auch mit Blick auf die Disqualifikation des norwegischen Kombinierers Graabak an eine systematische norwegische Material-Manipulation über die Sportarten hinweg?
In jeder Sportart wird man misstrauisch, wenn sich Sportler eklatant absetzen oder urplötzlich verbessern. Ein Graabak hatte in der Saison keine Chance im Springen, dann macht er irgendeinen Vorbereitungs-WM-Lehrgang und ist Weltspitze. Auch ein Riiber, der seit Jahren aus irgendwelchen Gründen einen anderen Anzug springen kann als gefühlt die restlichen Kombinierer, wirft Fragen auf. Wenn du dich zehn, 15 Meter entfernst vom normalen Feld, ist doch für jeden naiven Blinden ersichtlich, dass da was anders läuft und mit verschiedenem Maß gemessen wird.
Ihr Ex-Kollege Martin Schmitt hat erklärt, dass es Methoden gibt, die Kontrollen auszutricksen, indem man bestimmte Bewegungen macht. Sehen Sie das genauso?
Ja, ich habe das sogar auf Kamerabildern gesehen. Da sieht man ganz klar, was manche Skispringer oben auf dem Anlaufturm veranstalten, damit sie durch die Schrittmessung durchkommen. Wenn die dann aber zwei normale Schritte machen, wandert der Schritt des Anzugs da hin, wo er in der Luft auch ist und deswegen können die so springen, wie sie springen.
Aber das deutet ja eigentlich darauf hin, dass der Fis-Materialkontrolleur Christian Kathol auch im Boot sitzt und bei Manipulationen wegschaut.
Die Regeln sind wahnsinnig kompliziert. Was mich an Kathol etwas ärgert, ist, was er bei der WM trotz vorliegender Videos über Manipulationen gesagt hat: Er kennt die Anzüge, er kennt die Nähte. Die Chips sind sicher, eine Manipulation erkennt man sofort. Zwei Stunden später weiß ich, dass man die Scanner zum Lesen der Chips bei Amazon bestellen und auch die Chips leicht kaufen kann.
Was ist die Lösung?
Genau wie wir Messungen vom Körper mit 3D-Scannern haben, brauchen wir einen Scanner, der den Anzug am Körper vor dem Sprung vermessen kann. Dann hast du diese Inkonstante Mensch aus den Kontrollen raus. Ich kann das völlig nachvollziehen, was da passiert. Es gibt zwar klare Regeln. Aber jetzt kommt so ein Springer zu mir mit einem zwei Millimeter zu großen Anzug. Dann gucke ich den an. Der guckt mich an. Was passiert mit Menschen? Zwei Millimeter, das ist ja nichts. Was macht der Mensch? Er sagt: Bitte, näh den Anzug um und mach es nie wieder! Deswegen sage ich: Einem Computer ist das scheißegal, ob das 0,05 Millimeter sind. Es zeigt rot, der Springer wird disqualifiziert. Wenn die Springer keinen Spielraum mehr spüren, dann kommen die automatisch freiwillig mit einem halben Zentimeter Luft mehr in ihren Anzügen.
Marius Lindvik oder Johann Andre Forfang sind von der Fis vorläufig suspendiert worden. Die richtige Entscheidung?
Auf jeden Fall! Ich würde diese zwei Kandidaten komplett raushauen und sperren. Dann kriegen alle drumherum, die den gleichen Mist benutzt haben, ein schlechtes Gewissen. Ich habe gar kein Mitleid mehr mit den beiden, so wie sich jetzt aufführen. Für die WM würde ich alle Ergebnisse von ihnen streichen, alle Medaillen abnehmen. Sie sollen darüber nachdenken, dass sie die Zukunft unserer Sportart aufs Spiel setzen. Man muss ihnen Luft fürs Hirn geben, das anscheinend komplett vernebelt ist.
Rechtlich wird das mit der Streichung der WM-Ergebnisse vermutlich schwer durchzusetzen sein.
Ja, aber das wäre mir egal. Man muss genau das Exempel statuieren, das es im Skispringen anscheinend braucht. Was macht diese Ethik-Kommission bei der Fis? Kaffee trinken oder was? Man hat nicht den Eindruck, als würde die Fis wirklich ernsthaft daran interessiert sein, das abzuklären.
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Ein Beschluss ist, dass künftig jeder Springer nur noch einen Sprunganzug bis zum Saisonende zur Verfügung hat. Dieser soll vor und nach den Wettkämpfen weggeschlossen werden.
Das ist jetzt wieder so ein Schnellschuss vor den Bug. Skispringer brauchen ihr Material für ihre Sicherheit. Nicht irgendwo. Weiß man, ob ein Externer dann am Anzug was macht? Langfristig muss man die Regeln so einfach wie möglich machen und den menschlichen Faktor eliminieren. Wir haben ein gutes Beispiel. Die Luftdurchlässigkeit der Anzüge prüft bereits eine Maschine. Und wenn da 0,01 angezeigt wird, ist Game over. Dann gibt es diese Bescheißerei nicht mehr. Die Maschine ist kalt, die hat kein Herz, kein Gefühl, gar nichts.
Ist das die schlimmste Krise seit dem Magersucht-Skandal rund um die Jahrtausendwende?
Es ist jetzt schlimmer, weil wir von Betrug sprechen. Die Norweger haben kriminelle Energie gezeigt. Es braucht jetzt ein rigoroses Zeichen von der Fis. Im Grunde genommen haben wir im Skispringen den Vorteil, dass wir eigentlich vom Körperlichen her dopingfrei sind. Diuretika, um Körpergewicht zu reduzieren, sind auf dem Schirm und Wachstumshormone bringen Skispringern nichts, weil die Athleten sonst zu schwer werden. Und dann fangen die Norweger mit diesem Betrügerscheiß an. Wahnsinn, die riskieren unsere Sportart!
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