Tag gegen Polizeigewalt in Berlin: Wo ist die soziale Sicherheit?

Am internationalen Tag gegen Polizeigewalt demonstrierten 200 Menschen auf dem Leopoldplatz in Berlin-Wedding

  • Jule Meier und Julian Daum
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Kundgebung am Samstag auf dem Leopold Platz im Berliner Ortsteil Wedding
Die Kundgebung am Samstag auf dem Leopold Platz im Berliner Ortsteil Wedding

»Senkt Mieten statt Bomben zu werfen« steht auf einer Wand am Leopoldplatz in Berlin-Wedding geschrieben. Die Sonne scheint auf die schwarzen Buchstaben und auf den Platz vor dem Jobcenter. Am Samstag haben sich dort rund 200 Menschen versammelt – sie demonstrieren anlässlich des internationalen Tags gegen Polizeigewalt und erinnern an Menschen, die infolge von Polizeieinsätzen verletzt wurden oder starben.

»Fethullah Aslan starb in einer Berliner Psychiatrie – die Polizei verbirgt wichtige Informationen« ist auf einem Plakat zu lesen, das eine Frau gebastelt hat. Sie legt es am Ende der Kundgebung zu den vielen weiteren Namen und Geschichten, die auf dem Asphalt vor dem Jobcenter Platz finden – unter ihnen Oury Jalloh und Kupa Ilunga Medard Mutombo.

Für die Gruppen, die zur Kundgebung aufgerufen haben, ist die Polizei »der verlängerte Arm einer kapitalistischen und rassistischen Ordnung«. »Ein System, das auf Repression und Ausgrenzung anstatt auf Solidarität und sozialen Zusammenhalt« setze, stellt für sie keine Sicherheit dar. Statt mehr Geld für die Sicherheitsbehörden fordern sie mehr Geld für die soziale Infrastruktur. Den Leopoldplatz haben sie sich nicht ohne Grund für ihren Protest ausgesucht: Seit dem 15. Februar ist dieser eine von drei Waffenverbotszonen, in denen die Polizei in Berlin anlasslos Menschen kontrollieren und durchsuchen kann.

Der Kurde Fethullah Aslan starb mit 28 Jahren in einem Berliner Krankenhaus.
Der Kurde Fethullah Aslan starb mit 28 Jahren in einem Berliner Krankenhaus.

Ein prominenter Berliner, an den am Samstag erinnert wird, ist der Bürgerrechtler Biplab Basu, der die Beratungsstelle ReachOut zur Unterstützung von Opfern von rechter und rassistischer Gewalt mitgründete. Er starb vor knapp einem Jahr. »Anfang der 2000er Jahre hat die rassistische Hetze zugenommen«, sagt eine Sprecherin von Reachout über die Gründungszeit. Die Polizei sei ihrer Meinung nach als Täterin zuletzt am 8. März mit massiver Gewalt physisch und psychisch gegen Demonstrant*innen vorgegangen. Während der internationalistischen Demonstration »Until total liberation« wurden am Frauenkampftag mehrere Personen aus dem Palästinablock gewaltsam festgenommen. »Das hinterlässt Wunden, die nicht immer gleich sichtbar sind«, sagt sie.

»Bei Blockaden gegen Zwangsräumungen müssen wir damit rechnen, auf die Glocke zu kriegen«, sagt ein Sprecher vom Bündnis »Zwangsräumung verhindern« und »Görli 24/7«. Statt eines Zauns um den Görlitzer Park in Kreuzberg, wie der schwarz-rote Senat es plant, bräuchte es »Zäune um Eigentümer«.

Für den Berliner Zefanias M. sind Polizeibeamte »Gangster«, wie er sagt. Er verklagt das Land Berlin derzeit auf Schmerzensgeld. Im Rahmen einer Polizeimaßnahme sei er zehn Minuten lang mit dem Knie im Nacken fixiert worden – zu Unrecht, wie er sagt. Während der Fixierung verlor er das Bewusstsein.

Die marxistische Jugendgruppe Young Struggle und Sprecherinnen für das Interbüro, einem internationalistischen Treffpunkt für politische Organisierung in Wedding, weisen auf die massive Gewalt gegen palästinasolidarische Proteste in der Hauptstadt seit dem 7. Oktober 2023 hin. Diese äußere sich in unbegründeten Festnahmen, in der Vielzahl an Festnahmen und im brutalen Agieren der Polizei sogar gegenüber alten und minderjährigen Menschen.

Plakat zur Erinnerung an den durch Polizeikugeln getöteten Kupa Ilunga Medard Mutombo
Plakat zur Erinnerung an den durch Polizeikugeln getöteten Kupa Ilunga Medard Mutombo

Polizeigewalt sei Alltag, erzählen die diversen Sprecher*innen am Samstag. »Solange es Polizei gibt, gibt es Polizeigewalt«, sagt ein Sprecher der Gruppe »Ihr seid keine Sicherheit«, die sich für die Abschaffung der Polizei einsetzt. Ob nun Waffenverbotszonen oder kriminalitätsbelastete Orte, für die sich die Polizei Sonderbefugnisse erteilt, das Ergebnis sei dasselbe: Menschen werden von der Polizei kontrolliert, können festgenommen, abgeschoben oder gar getötet werden.

Auf nd-Nachfrage bei den anwesenden Beamt*innen, welche Gedanken sie angesichts der Redebeiträge zu Polizeigewalt haben, sagt einer von ihnen: »Wir schützen auch das Recht, mehr habe ich dazu nicht zu sagen.« Rund 60 Beamte sind zum Schutz der Kundgebung im Einsatz gewesen. Acht Mannschaftswagen stehen auf dem Leopoldplatz – sie wechseln hin und wieder ihre Position um wenige Meter oder fahren um die Kundgebung herum.

In den sozialen Medien kursierten in den vergangenen Monaten massenhaft Videoaufnahmen, auf denen zu sehen ist, wie Berliner Polizeibeamt*innen Gewalt gegen Demonstrierende ausüben. Die Begründung auch hier: Recht schützen. Häufig sind es »strafbare Parolen« oder vereinzelte Flaschenwürfe, die von der Pressestelle als Eskalationsgrund genannt werden. Um diese Videos geht es einige Kilometer entfernt vom Leopoldplatz, in den Neuköllner Räumen des Online-Radios Refuge Worldwide. Die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP Berlin) hat dort mit der Initiative Ides of March zum Gespräch geladen. Auch KOP Berlin wurde von Biplab Basu gegründet.

»Wer sich gegen Polizeigewalt wehren will, braucht einen langen Atem.«

Gonca Sağlam KOP Berlin

Vor einer beklemmenden Videoinstallation mit den Gewaltszenen des Künstlers Aram Barthal sitzen Medien- und NGO-Vertreter*innen. Zu sehen sind unter anderem Aufnahmen der Demonstration am 8. März. Polizeibeamte*innen schlagen mehreren Frauen mehrfach mit der Faust ins Gesicht. Bei solchen Szenen »geht es nicht vornehmlich um individuelle Beamt*innen, die vielleicht auf Konfrontation mit Protestierenden konditioniert sind«, führt Gonca Sağlam von KOP Berlin aus. Sie hätten vielmehr auch einen systemischen Kern. Dazu gehörten unter anderem eine mangelnde Rechenschaftspflicht der Institution Polizei im herrschenden Justizsystem.

Zum Hintergrund: Es gibt in Deutschland keine unabhängige ermittelnde Institution, die Polizei ermittelt zunächst gegen sich selbst, bevor ein Fall bei der Staatsanwaltschaft landet. Die rechtliche Auseinandersetzung mit Polizist*innen sei außerdem oft von einer systematischen Täter-Opfer-Umkehr gekennzeichnet, erklärt Sağlam.

Deutlich wird das am Beispiel des Journalisten Ignacio Rosaslanda, der ebenfalls Teil des Panels ist. Er berichtet vom Mai 2024. Damals wurde er von einem Polizisten verprügelt, als er über die Besetzung des sozialwissenschaftlichen Instituts der Humboldt Universität (HU) Bericht erstattete. Studierende hatten zur Solidarität mit palästinensischen Studierenden und zum Protest gegen die Zerstörung in Gaza aufgerufen.

Rosaslanda erzählt, dass er danach selbst angezeigt worden war, weil er den Beamten zuerst angegriffen haben soll. Da seine eigenen und die Aufnahmen der Polizei deutlich zeigten, dass das nicht der Fall war, wurde er schließlich »wegen Mangels an Beweisen« freigesprochen, so Rosaslanda. Gonca Sağlam kennt viele ähnliche Fälle, bei denen es zu Gegenanzeigen durch Beamt*innen kommt. Verfahren dauern Monate und sind mit Kosten verbunden. All das erschwere es, sich gegen erfahrenes Unrecht zu wehren. »Wer das versucht, braucht in Deutschland einen langen Atem«, sagt Sağlam.

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