- Politik
- Sondersitzung des Bundestags
Juristische Fake News
AfD und BSW wollen Die Linke mit Falschbehauptungen nötigen, gemeinsam mit der Rechtsaußenpartei den alten Bundestag auszubremsen
Eine neue Sau wird durchs politische Dorf getrieben: Die Linke könne, wird von interessierter Seite behauptet, die Sondersitzung des alten Bundestags am Dienstag ganz einfach verhindern. In dieser Sondersitzung soll das Milliardenpaket – in der Summe und über Jahre hinweg kann es bis zu einer Billion Euro oder sogar darüber hinaus reichen – für Verteidigung, Rüstung, Infrastruktur und Klimaschutz beschlossen werden. Mit der Mehrheit von Union, SPD und Grünen; letztere haben in Verhandlungen den künftigen Schwarz-Rot-Koalitionären einige Zugeständnisse abgerungen. Im alten Bundestag haben diese drei Parteien noch eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die benötigt wird, um Änderungen bei der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse vorzunehmen. Im neuen Bundestag müssten für zwei Drittel der Stimmen auch Linke oder AfD mitmachen. Doch die lehnen die geplanten Hunderte Milliarden Euro für die Aufrüstung ab.
Beide Parteien haben versucht, mit Eilanträgen beim Bundesverfassungsgericht die Sondersitzung des alten Bundestags zu verhindern, damit der am 23. Februar gewählte neue Bundestag die folgenschweren Entscheidungen diskutieren und treffen kann. Der konstituiert sich am 25. März. Die Verfassungsrichter in Karlsruhe lehnten jedoch die Anträge ab, mit der hauptsächlichen Begründung, dass der alte Bundestag voll handlungsfähig ist, solange er im Amt ist, also solange der neue Bundestag noch nicht zusammengetreten ist. Eben weil das neue Parlament noch nicht konstituiert ist, nennen sich die künftigen Fraktionen, die in Karlsruhe insistierten, Vor-Fraktionen.
Nun wird behauptet und kolportiert, dass AfD und Linke den alten Bundestag ausbremsen könnten. Man beruft sich in der Auslegung der Karlsruher Entscheidungen auf Grundgesetzartikel 39, in dessen Absatz 3 es heißt: »Der Bundestag bestimmt den Schluss und den Wiederbeginn seiner Sitzungen. Der Präsident des Bundestages kann ihn früher einberufen. Er ist hierzu verpflichtet, wenn ein Drittel der Mitglieder, der Bundespräsident oder der Bundeskanzler es verlangen.« Wie man hört, hat die AfD einen solchen Antrag gestellt.
Mit Bezug auf Artikel 39 schrieb der namhafte Jurist Ulrich Vosgerau am Freitag auf der Plattform X, dass sich der neue Bundestag »auf Initiative eines Drittels seiner Mitglieder hin jederzeit selbst konstituieren könnte«. Diese Behauptung wird seither in den sozialen Netzwerken vor allem von AfD- und BSW-Leuten und ihren Anhängern hoch und runter gebetet. Vor allem das BSW wirft der Linken vor, Aufrüstung und Kriegstreiberei willentlich nicht aufzuhalten. Die Linke könne die Kriegskredite stoppen, indem sie »einen formalen Akt – die Einberufung des neuen Bundestages« – beschließt, behauptet etwa der EU-Abgeordnete Fabio De Masi.
Wer ist jener Ulrich Vosgerau, der mit seinem Tweet den Stein ins Rollen brachte? Der Rechtsanwalt, der unter anderem die AfD-Bundestagsfraktion und den Faschisten Björn Höcke vor Gericht vertrat, hat sich immer wieder in mindestens rechtskonservativen Zusammenhängen hervorgetan. Er gehörte dem Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung an, er ist Mitglied der radikal marktliberalen Friedrich-A.-von Hayek-Gesellschaft, der auch namhafte AfD-Politiker angehören und die letztes Jahr dem argentinischen Präsidenten Javier Milei einen Preis verlieh. 2015 bezeichnete Vosgerau Angela Merkels Flüchtlingspolitik als »Herrschaft des Unrechts« und setzte damit den Ton für die rechte Polemik gegen die damalige Kanzlerin. Im November 2023 nahm er als Referent an jenem Treffen von Rechten, Rechtskonservativen und Rechtsextremisten in Potsdam teil, auf dem unter anderem Remigrationspläne erörtert wurden. In der Folge distanzierte sich die Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer von Vosgerau.
Dessen Behauptung, eine Minderheit des neuen Bundestags könne dessen sofortige Konstituierung erzwingen, ist seit Freitag der neue Hit bei AfD und BSW. Juristisch ist die These indes nicht haltbar. Denn schon dem Wortlaut nach bezieht sich Grundgesetzartikel 39, Absatz 3 klar auf ein bereits konstituiertes Parlament und dessen Umgang mit laufenden Sitzungen. Der Rechtsanwalt und Linke-Politiker Gregor Gysi, der als Alterspräsident am 25. März den neuen Bundestag eröffnen wird, bezeichnete Vosgeraus Haltung als juristischen Unsinn. Laut den jüngsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts müsse »mehr als die Hälfte der neu gewählten Abgeordneten die Einberufung verlangen. Das ist aber in Anbetracht der Haltung von Union, SPD und Grünen keinesfalls zu erreichen.« Der Ältestenrat habe stellvertretend bereits getagt, die Mehrheit habe den Antrag auf eine frühere Konstituierung abgelehnt. In der Karlsruher Entscheidung heißt es, eine schnelle Konstituierung des Bundestags setze voraus, dass dieser den entsprechenden Willen bildet und sich auf einen Termin verständigt. Das kann aber nur in Gestalt einer Parlamentsmehrheit geschehen und nicht von einer Minderheit erzwungen werden.
Insofern ist alles, was AfD und BSW jetzt als Soundverstärker von Vosgerau verbreiten, nicht mehr als politisches Getöse. Das aber, zumal es sich um etwas komplizierte Vorgänge handelt, Empörung produzieren soll, die man dann wieder politisch ausschlachten will, wie die Juristin und frühere Linke-Abgeordnete Halina Wawzyniak in ihrem Blog schreibt.
Dahinter steht noch eine andere Frage, die BSW und Linke deutlich unterscheidet. Während Die Linke, zuletzt ihre Vorsitzende Ines Schwerdtner, klar sagt, dass sie mit Faschisten nicht zusammenarbeitet, fordern BSW-Politiker genau das von ihr. So schrieb die Noch-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen auf X, Die Linke »müsste nur ein Mal über das unsinnige Brandmäuerchen springen, um mit den Falschen das Richtige zu machen: den neu gewählten Bundestag einzuberufen«. Aber das ist gar nicht der Punkt. Das BSW – und nicht nur dieses – drängt Die Linke, mit den Falschen das Falsche zu tun. Oder das rechtlich nicht Mögliche. Das ist zwar inzwischen im Internet zahlreich erklärt worden, aber die Fake-News-Maschine wird aus durchsichtigen Gründen unermüdlich angekurbelt.
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