- Sport
- Fussball
Union Berlins Abstiegskampf-Experiment
Die Köpenicker Kicker holen ihre Punkte im Tabellenkeller lieber gegen die Topteams der Liga
Union Berlin versucht sich in der vorentscheidenden Phase der Bundesligasaison 2024/25 an einem außergewöhnlichen Experiment: Kann der Abstiegskampf auch gewonnen werden, wenn man seine Duelle gegen die direkte Konkurrenz im Tabellenkeller regelmäßig verliert (bis auf eine Ausnahme bei der TSG Hoffenheim), dafür aber gegen die Champions-League-Anwärter der Liga fleißig Punkte sammelt?
Unter Neu-Trainer Steffen Baumgart haben die Unioner in der Rückrunde zwar gegen Heidenheim, St. Pauli und Kiel verloren, dafür aber gegen vier der ersten fünf Teams der Tabelle starke acht Zähler geholt. Gegen Mainz (aktuell Platz 3) und Eintracht Frankfurt (Platz 4) gab es jeweils 2:1-Siege, dazu ein 0:0 gegen RB Leipzig (Platz 5) und am Samstag folgte das vorläufige Meisterstück dieser besonderen Köpenicker Versuchsanordnung – ein 1:1 zuhause gegen Tabellenführer Bayern München.
Eigentlich war nach der 0:6-Klatsche beim schwächelnden BVB am vorvorletzten Spieltag und der anschließenden bitteren 0:1-Heimniederlage gegen Holstein Kiel alles bereitet für die große Union-Krise. Stattdessen drehten die Eisernen am vergangenen Wochenende gegen Frankfurt einen Pausenrückstand in einen Auswärtssieg um. Nur um dann sechs Tage später auch einen späten Gegentreffer gegen den Rekordmeister erstaunlich gut wegzustecken.
Union parkt den Bus
»Wir haben jetzt in den letzten beiden Spielen gegen Mannschaften – da hat glaube ich keiner mit uns gerechnet – klar gezeigt, dass wir noch da sind, dass wir wach sind, dass wir hier noch lange nicht abschenken«, erklärte Union-Coach Baumgart nach dem Punktgewinn gegen die Bayern kämpferisch. Wegen einer Gelbsperre musste der 53-Jährige das Spiel in der ausverkauften Alten Försterei auf der Tribüne verfolgen. Von dort sah er seine Mannschaft 96 Minuten lang aufopferungsvoll verteidigen.
Statt mit Vierer- oder Fünferkette ließ Baumgart sein Team gegen die Bayern defensiv eher mit einer Sechser- bis Siebenerkette agieren. Tief in der eigenen Hälfte parkten die Unioner den sprichwörtlichen Mannschaftsbus und ließen den Münchnern so im Zentrum kaum Platz zur Entfaltung. Nur zweimal im gesamten Spiel tauchten die Bayern wirklich gefährlich vor Frederik Rönnow auf. Doch sowohl Serge Gnabry in der ersten Halbzeit als auch Jamal Musiala in der zweiten Halbzeit scheiterten am starken Union-Keeper.
Hollerbach nutzt Urbigs Geschenk
Nach vorne ging für Union allerdings noch weniger als für die Bayern. Und als dann eine Viertelstunde vor Schluss eine flache Hereingabe von Josip Stanišić an allen Unionern vorbei zum eingewechselten Leroy Sané kullerte, sodass dieser locker einschieben konnte, wirkte das wie der späte Knockout. Doch die Berliner schoben nach dem Gegentor mutig nach vorne und wurden in der 84. Minute für ihre harte Arbeit belohnt. Jonas Urbig, der erneut den verletzten Manuel Neuer im Bayern-Tor vertrat, tätschelte eine abgefälschte Flanke mittig vors eigene Tor, wo der eingewechselte Benedict Hollerbach goldrichtig lauerte und den Ausgleich besorgte.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
»Gegen die Bayern zu treffen ist natürlich ganz besonders, vor allem wenn es dann auch noch für einen Punkt reicht«, freute sich der 23-Jährige nach dem Spiel und fügte gleich auch noch eine Erklärung an, warum Union ausgerechnet gegen Frankfurt und Bayern wieder in die Erfolgsspur gefunden hat: »Wir haben uns wieder mehr auf unsere defensiven Qualitäten konzentriert und das hat uns jetzt zweimal sehr gutgetan.«
Hinten hui, vorne pfui
Die Verteidigung bleibt das Prunkstück der Eisernen und das dürfen sie vor allem gegen Mannschaften aus dem oberen Tabellendrittel zeigen, die den Anspruch haben, gegen die Berliner Punkte zu holen. Offensiv bleibt Union dagegen auch nach dem Trainerwechsel zu Steffen Baumgart zu abhängig von Fehlern des Gegners, insbesondere wenn sie selbst das Spiel machen müssen. Das gab der Union-Trainer nach dem Bayern-Duell auch offen zu: »Wir können unsere Arbeit gegen den Ball sehr gut einschätzen, aber auch unsere Arbeit mit dem Ball und da liegt noch viel vor uns.«
Fraglich bleibt, ob die Köpenicker in dieser Saison noch viel an ihrer schwachen Offensive ändern können. In 26 Spielen gelangen den Berlinern bisher nur beim 4:0-Auswärtssieg in Hoffenheim Anfang Februar mehr als zwei Tore. Nur Aufsteiger St. Pauli (20) hat weniger Treffer erzielt als die 23 der Berliner. Es dürfte deswegen eher darauf ankommen, ob die Baumgart-Mannschaft ihr Abstiegskampf-Experiment mit unerwarteten Erfolgen gegen stärkere Gegner auch positiv beenden kann.
Nach der anstehenden Länderspielpause bietet sich den Eisernen dafür direkt die erste Gelegenheit beim Auswärtsspiel gegen den sechstplatzierten SC Freiburg. Auch Leverkusen und Stuttgart stehen noch auf dem Spielplan. Wenn in diesen Partien eine ähnlich starke Punkteausbeute gelingt, wie gegen die anderen Topteams der Liga, dann sollte der Klassenerhalt kein Problem werden – obwohl mit Heidenheim und dem brisanten Duell in Bochum auch noch zwei direkte Abstiegsduelle auf die Köpenicker warten.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.