Urteil gegen Lina E. rechtskräftig

Oberstes Strafgericht Deutschlands prüfte Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden und formulierte nur kleine Einwände

Am Tag der Urteilsverkündung gegen Lina E. und ihre drei Mitangeklagten, dem 31. Mai 2023, forderten Demonstrierende in Dresden immer wieder ihre Freilassung.
Am Tag der Urteilsverkündung gegen Lina E. und ihre drei Mitangeklagten, dem 31. Mai 2023, forderten Demonstrierende in Dresden immer wieder ihre Freilassung.

Der Prozess gegen Lina E. und drei weitere junge Angeklagte, der im Mai 2023 mit hohen Freiheitsstrafen endete, war einer der aufsehenerregendsten der letzten Jahre. Erkennbar war ein hoher Verfolgungseifer der eigentlich für die Verfolgung von gegen den Staat gerichteten Taten zuständigen Generalbundesanwaltschaft (GBA), die seinerzeit das Verfahren vor dem Oberlandesgericht (OLG) Dresden an sich gezogen hatte. Den Beschuldigten wurden sechs tätliche Angriffe auf Personen aus der Neonaziszene in Sachsen und Thüringen mit 13 Betroffenen vorgeworfen. Die GBA sah bei den Angeklagten und weiteren Verdächtigen außerdem die Bildung einer kriminellen Vereinigung. Lina E. unterstellte sie, deren »Rädelsführerin« zu sein.

Am 5. November 2020 war E. das zweite Mal innerhalb weniger Monate in ihrer Wohnung in Leipzig-Connewitz festgenommen und per Helikopter nach Karlsruhe zum Haftrichter am Bundesgerichtshof (BGH) transportiert worden. Danach verbrachte sie bis zu ihrer Verurteilung unter anderem wegen »mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung« am 31. Mai 2023 mehr als zweieinhalb Jahre in Untersuchungshaft in der JVA Chemnitz.

Gegen ihre Verurteilung – im Fall von Lina E. war das eine Haftstrafe von fünf Jahren und drei Monaten – gingen alle vier Angeklagten in Revision am BGH, ebenso die Bundesanwaltschaft, die höhere Strafen gefordert hatte. Beide Seiten hatten beantragt, unterschiedliche Teile des mehr als 400 Seiten langen OLG-Urteils aufzuheben und zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. Die GBA hatte insbesondere bestandet, dass E. von dem Vorwurf der Mitwirkung an einer der Taten der Gruppierung freigesprochen und nicht als Rädelsführerin eingestuft worden war.

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Über die Revisionsanträge von Lina E. und der GBA hat der BGH nun am Donnerstag entschieden und die Haftstrafe bestätigt. Die ist damit rechtskräftig, die heute 30-Jährige muss sie also antreten. Nach ihrer Verurteilung war der Haftbefehl gegen sie wegen ihres Revisionsantrags unter Auflagen außer Vollzug gesetzt worden. Die Zeit ihrer Untersuchungshaft wird jedoch als bereits verbüßt auf die Gesamtstrafe angerechnet. Der dritte Strafsenat in Karlsruhe änderte den Schuldspruch nur im Detail. Die Revisionen der Bundesanwaltschaft verwarf er in vollem Umfang.

E. war zum Verkündungstermin in Karlsruhe nicht selbst erschienen. Wie lange genau die frühere Studentin der Erziehungswissenschaft noch ins Gefängnis muss, steht noch nicht ganz fest. Ihr Anwalt Erkan Zünbül teilte mit, dies müsse noch ausgerechnet werden.

Der BGH prüfte das Urteil ausschließlich auf Rechtsfehler. Es wurden also keine Zeugen gehört oder neue Beweise erhoben. Rechtsfehler habe es nicht gegeben, betonte der Vorsitzende Richter Jürgen Schäfer bei der Urteilsverkündung. An die Adresse der Verurteilten gerichtet mahnte er: »Das Mittel der politischen Auseinandersetzung ist das Wort, nicht die Gewalt.« Das Zusammenschlagen oder Zusammentreten von Menschen könne nicht durch politische, weltanschauliche oder religiöse Motivation gerechtfertigt oder entschuldigt werden.

Der BGH teilt laut seiner Pressemitteilung zum Urteil die Einschätzung des OLG Dresden, dass Lina E. »Mitglied einer militant-linksextremistischen Gruppierung mit Schwerpunkt in Leipzig« war, deren Aktivität darauf gerichtet gewesen sei, »gewaltsam gegen einzelne Angehörige der rechtsextremen Szene vorzugehen und so mittels massiver körperlicher Gewalt rechtsextremistische Bestrebungen zu bekämpfen«. E. habe sich »an einer größeren Zahl solcher Angriffe« beteiligt, bei denen »zumeist mit Schlagwerkzeugen auf die Opfer eingewirkt wurde und die Geschädigten zum Teil schwer verletzt wurden«.

Dem OLG bescheinigte der BGH-Senat, eine Rädelsführerschaft von Lina E. in der Vereinigung zurecht verneint zu haben. Es habe zwar »tragfähig begründet, dass die Angeklagte eine herausgehobene Stellung in der Gruppierung hatte, indes rechtsfehlerfrei nicht festzustellen vermocht, dass sie prägenden Einfluss auf die Ausrichtung, Struktur und Tätigkeiten der Vereinigung als solche hatte«, teilte der BGH mit.

Lina E. hatte sich der Gruppe, die insbesondere in rechten Medien als »Hammerbande« bezeichnet wurde, laut dem OLG-Urteil spätestens im Jahr 2018 angeschlossen. 2019 und 2020 soll sie an drei Überfällen auf Mitglieder der rechtsradikalen Szene und einem Angriff auf einen Kanalarbeiter beteiligt gewesen sein, den die Gruppe irrtümlicherweise als Neonazi identifiziert hatte. Die Opfer wurden teils schwer verletzt. Zudem hat Lina E. laut OLG versucht, in einem Baumarkt zwei Hämmer zu stehlen und einen Ladendetektiv in den Bauch gestoßen. Sie wurde deshalb auch des »Diebstahls mit Waffen« für schuldig befunden.

Über die Revisionsanträge der drei Mitangeklagten Jonathan Philipp M., Jannis R. und Lennart A. will der BGH noch entscheiden. Sie waren zu Freiheitsstrafen von drei Jahren und zwei Monaten, zwei Jahren und fünf Monaten sowie drei Jahren verurteilt worden. Alle drei befinden sich bislang auf freiem Fuß.

Der Dresdner Prozess war von den Medien intensiv begleitet worden. Der MDR produzierte im Nachhinein eine sechsteilige Podcast-Serie über Lina E. unter dem Titel »Die Fascho-Jägerin?!«.

Für rechte Kreise sind sie und die anderen Verurteilten perfekte Feindbilder. Nach der Karlsruher Entscheidung meldete sich am Donnerstag sofort der sächsische AfD-Landtagsabgeordnete Carsten Hütter zu Wort und forderte den Landesinnenminister Armin Schuster (CDU) auf, »Antifa-Gruppen« allgemein »mit allen im Rechtsstaat zur Verfügung stehenden Mitteln« zu bekämpfen. Lina E. habe »mit ihrer Hammerbande Straftaten an der Schwelle zum Terrorismus systematisch« organisiert.

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